Freiheit und Sozialismus? Ehescheidung in Ost und West.



Als ich irgendwann, so in den späten 1970ern, irgendetwas von irgendjemanden über das Recht in unserem ostdeutschen Bruder - und Schwesternstaat mitbekam, konnte ich mir nicht so richtig vorstellen, dass diese Vorschriften auch in der Realität Eins zu Eins umzusetzen sind. Vor allem das 1977 kodifizierte Arbeitsgesetzbuch der DDR, in dem unter anderem auch fest gelegt war, welche Personengruppen besonderen Kündigungsschutz erhalten, aber auch die schwulstigen Grundsätze der sozialistischen Arbeitsbedingungen sowie der daraus erwachsenden Arbeitspflicht unter dem Gesichtspunkt, dass jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten zu fördern ist, kamen mir in der Tat eher spanisch, denn sozialistisch vor. Dass nun die große Bandbreite jener kämpferischen Helden der Arbeit, aus der braunen Vergangenheit Deutschlands heraus, dann noch besonderen Kündigungsschutz genossen, wenn sie zum anti - faschistischen Arbeiterdenkmal hoch stilisiert waren, hatte für mich eher einen Alibi - Charakter. Weil die einstigen und noch aktuellen Faschisten ( was völlig zutreffend war ) im Westen, nämlich beim Klassenfeind, hausten und dort ihr Unwesen trieben, gab es in der DDR - nach offizieller Lesart -  quasi keine mehr und deshalb - so der daraus abzuleitende Umkehrschluss - besaß die Deutsche Demokratische Republik eben nur Anti - Faschisten.

Tja, neben dem Arbeitsrecht besuchte ich später einen Grundkurs im DDR - Zivilrecht, dass sich exakter benannt, Zivilgesetzbuch der Deutsche Demokratischen Republik nannte ( ZGB ). Das ZGB war - nach meinen groben Erinnerungen - natürlich auch in Abschnitten, Kapiteln sowie Einzelbestimmungen untergliedert. Für einen Juristen eine übliche Systematik. Auch die jeweilige Zielrichtung einer Einzelnorm war überwiegend erkennbar. Was befremdlich wirkte, war dann das Vokabular in diesem Gesetzbuch.

https://de.wikipedia.org/wiki/Zivilgesetzbuch_(DDR)

Gleiches gilt für das zunächst ab dem 20. Dezember 1965 gültige Familiengesetzbuch, genauer " Familiengesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik " ( FGB ), welches dann durch das Einführungsgesetz zum ZGB vom 19. Juni 1975 geändert wurde.


https://de.wikipedia.org/wiki/Familiengesetzbuch_(DDR)


Einst ging selbst eingefleischten Vertretern des BRD - Alleinstellungsanspruchs aus meiner Zunft, die Einführung des FGB ( DDR ) nicht am Allerwertesten vorbei. So veröffentlichte der Kollege Thomas Raiser in dem Verbreitungsorgan der herrschenden Meinung ( h.M. ), der Juristenzeitung ( JZ ) vom 1. Juli 1966, S. 423-428 einen Fachaufsatz zu dem " Sozialistischen Familienrecht " und ließ sich " Zum ersten Familiengesetzbuch der `DDR `" aus. Nach den Gepflogenheit der reaktionären Clique von Schmierfinken rund um das Verlagshaus " Adolf " Springer, wurde das Kürzel DDR selbstverständlich in Anführungszeichen gesetzt.

http://www.vaeternotruf.de/familiengesetzbuch.htm

Die erdrückende Mehrheit jener Ignoranten gab sich einst der Illusion hin, dass der bessere, weil westdeutsche Teil, der Deutschen nur lange genug warten müsse, dann hätte sich das sozialistische Experiment auf dem Boden des Großdeutschen Reichs von selbst erledigt, weil es pleite gegangen sei. Nun, aus der Geschichte wissen wir längst, dass das Siechtum noch weitere 33 Jahre anhielt, ehe die " Spreewald Gurken " im handelsüblichen Gläsern, die " Halloren Kugeln " in der klassischen Ausführung und das " IKEA " - Billig - Möbel " Billy " nicht nur im Westen zu kaufen sind / waren.

Mit der Einführung des Familiengesetzbuchs formte die DDR - Führung indes weiter an dem Idealbild des Menschen im Sozialismus - der ja dann sozialistisch erzogen, die wahren Werte jener Ideologie verinnerlichend, weder kriminell, noch gierig nach materiellen Fetischen lebend, eben auch die Keimzelle jener Gesellschaftsordnung, nicht nur fördert, sondern sein eigenes Leben im Sinne jener Wahnvorstellung, gestaltet ( natürlich unter gütiger Zuhilfenahme der Staatsorgane ).

Immerhin kodifiziert das FGB eine Gleichberechtigung von Frau und Mann, weil ja beide Geschlechter qua Geburt den Auftrag erhielten, den sozialistischen Staat im Sinne der ML - Lehre stärken zu helfen. Klassenkampf auf allen Gebieten, eben. Und vor allem galt dabei, dass die Familie sich als Kleinstkampfverband gegen den westlichen Klassenfeind entsprechend aufstellt.
Da ziemte es sich nicht, einen auserwählten Partner nach einer bestimmten Zeit wieder abzulegen. Allzeit bereit, hieß sodann auch: lebenslang ein Ehepaar.

Doch die Realität im real existierenden, sozialistischen Gesellschaftsgebilde, sah völlig anders aus. Die DDR wies bereits in den 1970er Jahren eine - relativ besehen - höhere Scheidungsrate auf als der westdeutsche Bruderstaat. Dieses mag an vielen Dingen gelegen haben. Eine Hauptursache hierfür wird wohl die längst grassierende Wohnungsnot gewesen sein. Ohne Trauschein gab es nüscht. Selbst ein Loch ohne fließendes Warmwasser und mit Zugang zum Hinterhof - Klo war ohne den Freifahrtschein zur Abenteuer Ehe nicht zu bekommen. Wer sich von Mama und Papa abnabeln wollte, musste sozialistisch getraut sein. Was seit Jahren als wohl tuende Vollzeitpflegestation mit sehr beschränkter Haftung für die eigene Verantwortlichkeit längst wieder en vogue geworden ist, galt einst als Hindernis beim Absprung in das eigene Leben. Denn: Ohne Schein, kein Sein!

Im kapitalistischen Westdeutschland sah es - allerdings unter anderen Vorzeichen - nicht so sehr viel anders aus. Was jenseits der Staatsgrenze von der Staats - und Parteiführung als Kampfauftrag wider des nicht sozialistischen Menschenbildes ausgegeben wurde, bestimmte westwärts der Klerus. Die beiden großen Glaubensgemeinschaften in der BRD. Unter sehr gütiger Hilfestellung des - de jure - konfessionslosen Staates ließen zwangsweise über den Fiskus Abgaben eintreiben, die dazu dienten, den eigenen Apparat am Leben zu erhalten und über diesen massiven Einfluss auf die gesellschaftliche Ausrichtung zu nehmen.

Dieses bedeutet, eine verquastete, piefig - miefige Moralvorstellung zu zementieren und hieraus den eigenen Machtanspruch und das Existenzrecht herzuleiten. Wer noch bis zur Strafrechtsreform 1973 als nicht verheiratetes Paar eine Wohnung suchte, wurde häufig von den Vermietern abgebügelt, weil diese sich wegen des so genannten " Verkupplungsparagraphen " nicht strafbar machen wollten (  https://de.wikipedia.org/wiki/Kuppelei#Gesetzesreform ).

Aber auch danach waren Wohnung - vornehmlich in den ländlichen Gebieten - ohne Trauschein nicht zu bekommen. Dieser Zustand änderte sich allerdings mit dem schwindenden Einfluss der Amtskirchen auf die Politik und dem sich wandelnden Zeitgeist.

Aber, auch ein verheiratetes Paar hatte bis zur ersten Eherechtsreform vom 14. Juni 1976 ( https://de.wikipedia.org/wiki/Erstes_Gesetz_zur_Reform_des_Ehe-_und_Familienrechts )
sich der verspießten Moralvorstellung von Staat, Kirche und Gesellschaft zu unterwerfen. Das Modell der " Einverdienerehe ", wie es nach 1949 durch die schwarzen Horden der Adenauer - Erhardt - Kiesiger - Regentschaft noch in den Himmel gehalten wurde, war längst überholt. Nicht nur der Mann, als Rechtssubjekt mit - verfassungswidrig - eingeräumten Privilegien, wurde zum gleichgestellten Ehepartner degradiert, sondern auch die traumatische Vorstellung der Unauflöslichkeit der Ehe selbst.

Brach die Ehe auseinander, wurde ab diesem Zeitpunkt nicht mehr das " Schuld " - sondern das " Zerrüttungsprinzip " angewandt. Zuvor aber, mussten sich die getrennten Eheleute von einem Kollegialgericht als Familiengericht zu der Frage, wer nun das Auseinandergehen der lebenslangen eingegangenen Bindung, eines zivilrechtlichen Vertrages also, schuldhaft verursacht hat. Es wurde dabei die berühmt berüchtigte " schmutzige Wäsche " gewaschen. Oft mussten dazu noch Zeugen geladen und gehört werden, damit die Schuldfrage eindeutig geklärt werden konnte.
Eine - für beide Parteien - zumeist peinliche Angelegenheit, weil damit diesen nicht nur in den Kochtopf, in die Toilette, sondern auch in das Ehebett gesehen wurde.

Die ehelichen Pflichten der Frau waren dabei klar definiert. Sie hatte dem Mann Gehorsam zu leisten, ihn zu bekochen, ihm - auf Wunsch - Kinder zu gebären und nebenbei den Haushalt in Ordnung zu halten. Dafür bekam sie keine Rechte. Eine Berufstätigkeit konnte sie nur mit ausdrücklicher Zustimmung ihres Kerls aufnehmen. Das gleiche galt für eine Kontoeröffnung, für schuldrechtliche Verträge aller Art und zudem bekam sie Haushaltsgeld zugewiesen, mit dem sie das an Einkäufen zu erledigen hatte, was der gnädige Herr ihr auftrug. Nichts mit Gleichstellung und die grundgesetzliche Gleichberechtigung aus Art. 3 des Grundgesetzes war eine Farce.

Da die Frau vom Mann vollkommen abhängig war, reichte sie eher nicht eine Scheidungsklage ein, weil sie damit finanziell in ein Fiasko laufen würde.

Während sich in der BRD nach 1976 das Familienrecht dramatisch veränderte, weil es eben zeitgemäß gestaltet werden musste, quälten sich die Kreisgerichte der DDR mit eben jener Schuldfrage herum, die zur Scheidung der Ehe führen musste. Zudem waren diese Verhandlungen vor dem Gericht öffentlich. Das führte dazu, dass die Parteien an den Pranger gestellt werden konnten. So mancher Weiberheld oder untreue Ehefrau musste sich den Hohn und Spott der anderen Werktätigen gefallen lassen, sofern diese von dem Scheidungstermin Kenntnis erlangt hatte und der Verhandlung beiwohnten.

Im Golden Westen waren jene Verhandlungen nicht mehr öffentlich. fanden vor einem Einzelrichter statt und wurden eher routinemäßig abgespult. Die Schriftsätze der beteiligten Rechtsanwälte hatten bereits den möglichen Zündstoff in einem solchen Verfahren verteilt. Oft ging es um das Sorgerecht, den Kindes - und Ehegattenunterhalt sowie Fragen des Versorgungsausgleichs und des Zugewinns. Konnten sich die Parteien und ihre erforderlichen Vertreter, die Rechtsanwälte nicht einigen wurden Teile des so genannten Verbundverfahrens abgetrennt und später entschieden.

Wer in der DDR einer Scheidungsklage als Ehegatte entgegen sah, durfte sich nicht selten darauf einstellen, diesen oder ähnlichen Sermon aufs Auge gedrückt zu bekommen:

" Hervorgerufen durch die uneinsichtige Verhaltensweise der Verklagten bezüglich der beruflichen Entwicklung des Klägers... " oder " Der Sinnverlust der Ehegemeinschaft war gemäß § 24 FGB zu bejahen. Er liegt offenkundig begründet in der Tatsache, dass die einer Familiengemeinschaft eigenen und notwendigen Bindungen zunehmend verflachten... " und " ... Diese Einstellung der Verklagten steht im Gegensatz zu den Interessen nicht nur des Klägers, sondern auch der Gesellschaft. Der Kläger ist entsprechend seiner Ausbildung fachspezifisch in unserer Volkswirtschaft eingesetzt und damit in der Lage Leistungen zu erbringen... "
usw. usf...

In einem westdeutschen Scheidungsurteil ließt sich die vermutete Zerrüttung der Ehe so:

" Die Antragstellerin begehrt die Scheidung mit der Behauptung, die Ehe sei zerrüttet, weil die Eheleute seit.. dauerhaft voneinander getrennt leben. Der Antragsgegner stimmt der Scheidung zu. .... Die Ehe der Parteien war zu scheiden, weil sie gescheitert ist... ".

Seit dem 31. August 1990 existiert ein gemeinsames Familienrecht. Ob nun Schuld oder Zerrüttung, bleibt indes egal. Fakt ist: Wer sich bei der Auswahl des angetrauten Partners irrt, kann den Irrtum revidieren. Oder: " Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht was besseres findet!"

Besser liest sich indes Schiller in seinem Epos " Die Glocke ":


 Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da giebt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.

So bleibt denn auch die Feststellung, dass ein Griff ins Klo nicht automatisch dazu führen muss, dass Frau / Mann sich bis zum Lebensende die Pfoten schmutzig macht.

In jenem Sinne: Gut´s Nächtle mit: Mike Oldfield´s " Tubular Bells " in einer kastrierten Live - Version:













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