Kartoffelernte oder Mundraub?


Noch knapp 1 1/2 Tage, dann geben wir unseren Gasthund ( so wird der Labrador der Enkel von uns bezeichnet ) wieder ab. Eine Woche kann bei heißen Temperaturen nicht nur für den Hund anstregend sein. Deshalb verlegte ich den ersten " Gassigangs " in die frühen Morgen - und späteren Abendstunden und reduzierte diesen auf eine Strecke von zirka 1, 5 Kilometern, die ich mit der Hündin " Dory " regelmäßig auf einem unbefestigten, aber dafür begrünten Feldweg zurück lege.

Die daran anrainenden Felder, auf denen Grünfutter angepflanzt war, woraus später die Silage für die Kühe entsteht, sind längst abgeerntet. Hier wächst inzwischen die Wintersaat. Auch die Kartoffelfelder sind wieder umgepflügt. Beim Vorbeilaufen erkenne ich einige Erdäpfel, die die Erntemaschine nicht aufnehmen konnte. Sie bleiben dort liegen.

Kartoffeln zählen nicht nur in den europäischen Ländern zu den Hauptnahrungsmitteln. Vor lange Zeit starben beispielsweise in Irland Zehntausende Bürger, weil über mehrere Jahre wegen zu großer Regenmengen die meisten Erdfrüchte verfaulten und damit die Ernten sehr schlecht ausfielen. Kartoffeln sind auf der Grünen Insel nach wie vor sehr beliebt. Aber, nicht nur dort.

Beim Weitergehen erinnerte ich mich an jene Jahre in meiner Kindheit, in denen unsere Eltern noch so genannte Nebenerwerbslandwirtschaft betrieben ( zutreffender: betreiben mussten ) und von örtlichen Bauern einige Morgen Land pachteten, die sie dann mit einem ausgeliehenen Pferdegespann und Pflug, Egge sowie Walze bearbeiteten. Der durchaus fruchtbare Boden im Schaumburger Land ließ eine Vielzahl von anpflanzbaren Feldfrüchten zu. Neben Futter - sowie Zuckerrüben, diversen Gemüsesorten, wie Bohnen ( Stangenbohnen oder auch Brechbohnen genannt ), den als Dicke Bohnen geführten Ackerbohnen, Erbsen, wurde auf dem Pachtland auch Getreidesorten ( Roggen, Gerste, Hafer oder Weizen ) angebaut. Aber auch Kartoffelfelder waren in jenen Jahren überall zu sehen.

Wenn im Frühjahr das Feld mit einem Pflug durchzogen wurde, um dort die Pflanzkartoffeln per Hand in den aufgeworfenen kleinen Hügel einstecken zu können, dauerte es danach zwischen 80 bis zu 120 Tage ( je nach eingepflanzter Sorte ) ehe die Ernte beginnen konnte. Dazwischen wurden die Felder regelmäßig nach dem Kartoffelkäfer abgesucht. Einem immer wiederkehrenden Schädling, der ganze Ernten vernichten konnte, weile r sich unter idealen Bedingungen explosionsartig ausbreitet.

https://de.wikipedia.org/wiki/Kartoffelkäfer

Der Kartoffelanbau war zu jener Zeit eine mühsame Angelegenheit, denn die meisten Arbeiten mussten von den Menschen selbst und dieses per Hand erledigt werden. Von dem Einpflanzen der Saatkaroffeln, die es nur in bestimmten Sorten gab ( Grata, Linda, Lori, Sieglinde ). Nach heutigen Stand soll es weltweit an die 5000 ( ! ) Kartoffelsorten geben.

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Kartoffelsorten

Kartoffeln sind nach wie vor eines der wichtigsten Lebensmittel. So, wie in jenen Jahren auch, als ich dann mit alten Schuhen, einer kurzen Hose und Kniestrümpfen sowie einem noch älteren Weidenkorb in der Hand zusammen mit meiner Großmutter und den beiden Geschwistern während der Großen Ferien auf das gepachtete Feld ging, um die aus dem Boden gepflügten Kartoffeln einzusammeln. Die kippten wir aus dem vollen Korb in einen Handwagen, der vom Feld weg gezogen, auf den Hof des elterlichen Grundstücks gezogen werden musste. Der aus Holz gebaute, lindgrün angestrichene Handwagen wurde auf dem Hof  ausgekippt. Hierzu konnten zwei Haken an den Seiten des Handwagens gelöst werden, wodurch der gesamte Inhalt heraus fiel. Die purzelnden Kartoffeln mussten dann - häufig erst getrocknet - mit einer Bürste von der anhaftenden Erde befreit werden.
Hiernach wurden sie in den Weidekörben in den so genannten Kartoffelkeller getragen und dort in einem gesonderten Lagerraum ausgekippt. Dieser Kellerraum besaß nur ein kleines Fenster, das zudem mit einem Kartoffelsack abgedunkelt war, damit die Erdäpfel nicht zu schnelle angrünten und dadurch ungenießbar wurden.

Diese Arbeiten waren sehr mühselig und Kraft raubend. Noch heute wundere ich mich, wie sie von meiner Großmutter bewältigt werden konnten. Aber auch unsere Mithilfe als Kinder war eigentlich Kinderarbeit, obwohl wir es damals nicht so sahen, denn die Mithilfe bei der Kartoffelernte oder dem Absuchen von Kartoffelkäfern war immer ein wenig Abenteuer.

Als ich meinen Leinenbeutel öffnete, um dann mit der Hand die vergessenen Kartoffeln von dem längst wieder umgepflügten und geeggten Feld abzusuchen, kamen mir die Erinnerungen an jene Kindheitstage, an denen es kaum Konserven zu kaufen gab und wenn, waren diese für einen Fünfpersonenehaushalt unerschwinglich. Damals galten Selbstversorger oder Nebenerwerblandwirtschaft als Privilegierte gegenüber den Städter, die diese Möglichkeiten nicht hatten und sämtliche Nahrungsmittel bezahlen mussten.

Ich hatte nach gut einer Viertelstunde den Leinenbeutel gefüllt. Sicherlich, die geernteten Kartoffeln waren nicht sehr groß, aber dafür bestens als Pell - oder Bratkartoffeln geeignet. Mit der Beute über der Schulter zog ich in Richtung Haus. Es war draußen noch warm. Ein richtig sonniger Septembertag neigte sich dem Ende. Während des Heimwegs grübelte ich zu der Frage, ob das Auflesen von Kartoffeln auf einem fremden Acker, einem von einem Landwirt bewirtschafteten Feld, nun Diebstahl sein könnte? Den damals, also in den 1950er Jahren angewandten Straftatbestand des Mundraubs gibt es ja schon lange nicht mehr. Er wurde von der sozial - liberalen Koalition unter dem Kanzler Helmut Schmidt 1975 abgeschafft.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mundraub ).

Doch damit ist das Entwenden von Nahrungs - und Genussmitteln keineswegs straffrei geworden. Solche Handlungen werden als Diebstahl oder in der qualifizierenden Tatbestandsform als Diebstahl geringwertiger Sachen  subsumiert.


Nun, es gibt auch hier den Rechtfertigungsgrund - so meine juristische Interpretation - , wonach der Bauer nach der Ernte und dem Umpflügen des Feldes, die verbliebenen Kartoffeln hätte auflesen lassen können. Weil er dieses jedoch seit einigen Wochen nicht gemacht hat, betrachte ich dieses als Aufgabe des Besitzes. Womit meine kleine Karoffelernte an jenem Abend eben nicht strafbar sei kann.




" Colour Hazes " - " Plasmakekes " - " Los Sounds De Krauts " - 2003:







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