Verschickungskinder


Aus einer vor einigen Wochen erhaltenen Mail zu meinem einst eingestellten Blog über die Steinzeitpädagogik in den Erholungsheimen der Nachkriegsjahre erhielt ich den Hinweis, dass das ARD - Magazin " Report Mainz " am 11. September 2019 einen Beitrag dazu gesendet habe. Leider konnte ich diesen nicht sehen. Doch auch in solchen Fällen ist das Internet ein wahrer Segen. Ich rief die entsprechenden Seiten auf und bekam dort die gewünschten Informationen.

Unter dem Titel " Erniedrigung statt Erholung - Wie Kinder in Kurheimen gequält und traumatisiert wurden " berichtet das von dem Fernsehjournalisten Fritz Frey moderierte Magazin zu den von einstigen " Verschickungskindern " geschilderten Erlebnissen in den " Einrichtungen " der 60er bis 80er - Dekaden.

Was vormals als soziale Wohltat für kränkliche, zumeist untergewichtige oder insgesamt nicht altersgemäß entwickelte Kinder gedacht war, entpuppte sich für diese vor Ort als " Höllentrip ".

Nicht nur aus dem " Report Mainz " - Bericht, der sich dieses dunklen Kapitels (west)deutscher Nachkriegsgeschichte annimmt, wird über deutlich, dass es mit dem Zusammenleben in dem neu erfundenen demokratischen Land, nicht so funktioniert hat, wie es die dazu normierten Regeln vorsahen. Auch in anderen Bereichen von Staat und BRD - Gesellschaft konnten die gut gemeinten und verabschiedeten Gesetze nicht greifen.

In der kleinsten Zelle der staatlichen Gemeinschaft, der Familie, herrschte vornehmlich ein autoritäres, weil auf Befehl und Gehorsam getrimmtes Regiment, das vom " Ernährer ", dem Vater, dem auserkorenen Oberhaupt dieser Einheit, ausging.
Die Frauen, die Mütter also, sie hatten nichts zu melden, sondern lediglich durch abverlangte, unentgeltliche Hausarbeit den Kleinstverbund zusammen zu halten. Wollten sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen, benötigten sie hierzu die Erlaubnis, nämlich die durch Vertragsunterschrift bekundete Genehmigung ihres Ehegatten. Gleiches galt für andere schuldrechtliche Verträge.

Da die Ehefrau de facto und de jure minderwertig war, waren es die Kinder der Nachkriegsgenerationen somit alle Male.
Sie liefen zumeist nebenher. Dabei hatten sie ausnahmslos nach den Regeln der Erwachsenen zu funktionieren.

In den Schulen, die wir damals besuchen mussten, wurde jene Steinzeitpädagogik fort geführt. Wir erhielten Strafen, von denen das " Nachsitzen " noch die mildere Ausformung der vielen - oft sadistischen - Sanktionen war. Die " Nazi " - Lehrer warfen mit Kreide, Schlüsselbunden, Heften. Sie schlugen uns mit Rohrstöcken, Linealen, der flachen Hand ( nicht selten war diese mit einem Ring belegt ). Sie traten uns in den Allerwertesten, zogen uns an den Ohren vom Sitz hoch oder kniffen uns in die Wangen, um uns anschließend " Eine zu schallern ".

Die " Nazi " - Lehrer und unsere von den " Nazis " geformten Eltern duldeten keine " Widerworte ". Wir mussten " parieren ". Wir hatten den Mund zu halten, wenn ein Erwachsener spricht.

Die Beispiel für die geduldeten Unterdrückungsarten, für die Erniedrigungen und unzähligen Saktionsvarianten könnte ich hier beliebig weiter führen.

Nein, es war keine schöne Kindheit, die ich und auch Millionen andere Nachkömmlinge der " Nazi " - Generation erleben durften. Und just in diesem Umfeld wird nun ein Segment aus der damals praktizierten Pädagogik heraus genommen und nach beinage 60 Jahren öffentlich gemacht.

Die Kindererholungsheime, jene eigentlich als sinnvoll ein zuordneten Einrichtungen der Nachkriegsdekaden, sie wurden zu Mini - KZs umfunktioniert. Hier herrschte das Gesetz des Stärkeren. Eine Brigade von einstigen BdMlerinnen drangsalierte, quälte und missbrauchte die ihnen zugeführten Schutzbefohlenen.

Diese kamen aus dem Martyrium nicht selten traumatisiert zurück. Sie blieben es bis heute. Weil eine Aufarbeitung weder in der Familie noch durch professionelle Unterstützung ( die es aber auch kaum gab ) erfolgte, werden wir " Verschickungskinder " mit dem Folgen der " KZ " - Einweisung auf Zeit bis heute leben müssen.



https://www.swr.de/report/erniedrigung-statt-erholung-wie-kinder-in-kurheimen-gequaelt-und-traumatisiert-wurden/-/id=233454/did=24601462/nid=233454/6q0wyx/index.html








http://www.anjaroehl.de/wyk-auf-fohr-–-verschickung-erinnerung-und-schmerz/


Nun soll zumindest der Versuch gestartet werden, jene einst von Heimerzieherinnen und Betreuerinnen jener " Verschickungsheime " begangenen Straftaten öffentlich aufzuarbeiten.

Eine materielle Entschädigung für das erduldete Leid gibt es nicht. Diese fiktiven Ansprüche sind zivilrechtlich längst verjährt. Das gilt auch für die strafrechtliche Aufarbeitung oder Ahndung der Taten. Was bleibt ist die moralische Komponente als Wiedergutmachung. Ein kleiner Trost für viele Traumatisierte. Eine - vielleicht - unfreiwillige, eine erzwungene Einsicht in das durch staatlich geförderte Instrumentarium der systematischen Unterdrückung der " Verschickungskinder ".



" The Cranberries " - " Zombie " - 1994:




Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

" Eine Seefahrt, die ist lustig. " - nur nicht in den 60er Jahren zum AOK - Erholungsheim auf Norderney.

" Oh Adele, oh Alele, ah teri tiki tomba, ah massa massa massa, oh balue balua balue. " und die Kotzfahrt nach Wangerooge.

Widerspruch zwecklos!