Endkampf


Jetzt versuche ich mich eine Woche lang mit den Dritten. Sicherlich gibt es bessere und angenehmere Gelegenheiten seinen Mund zu beschäftigen, seine Geduld auf die Probe zu stellen oder die lieb gewordenen Angewohnheiten abzulegen. Aber die eigene Gesundheit geht vor. Und die wird durch schlechte Zähne massiv beeinträchtigt.

Was mit einem eher unangenehmen Gefühl, einem schlechten Geschmack im Mund und dem einseitigen Kauen ( zum Teil auch auf der " Felge " )  einher geht, sollte sich - so der behandelnde Zahnarzt - in einigen Monaten normalisieren. Nach einigen Monaten erst? Diese existenzielle Frage stellte ich mir sofort, während der selbst ernannte akademische Handwerker das Produkt seines - juristisch betrachtet - Werkvertrags mit Argusaugen betrachtete. Eigentlich müssten wir Juristen einen solchen Besuch bei einem Zahnarzt als gemischten Vertrag einordnen ( lat. mixta contractus ), weil neben Elementen aus einem Dienstleistungsvertrag, auch solche zu finden sind, die den Werkvertrag ausmachen.

Aber, das nur so ganz nebenbei.

Er befragte mich nach meinem Wohlbefinden. Na,ja, meine Befindlichkeiten reduzieren sich zurzeit auf die Frage, ob es einen weiteren Tag gekochte Haferflocken zum Frühstück gibt und das heiß geliebte Ei vom Bio - Hof wieder in der Verpackung bleibt. Der Mensch ist halt auch ein Gewohnheitstier und mit zunehmenden Alter verschmäht er radikale Veränderungen oder sieht diesen zumindest sehr skeptisch entgegen. Diese Grundeinstellung zeigt sich in vielen Lebensbereichen. Alte wählen zumeist schwarz ( im Osten mutmaßlich braun ). Sie verbringen ihre Urlaube sehr oft an einem gleichen Ort ( meistens Österreich, Spanien, Griechenland ) oder - das gilt für etwas besser Betuchte - verplempern diese Zeit auf Schiffen, die sich anmaßend " Luxus - Liner sowie " Caribbean Dream " oder so, nennen dürfen ). Sie haben ihren festen Wohnung oder auch ein - noch nicht - abgezahltes Haus und mähen dort den raspelkurzen Rollrasen, vernichten das Unkraut mittels High Tech - Gasbrenner und ärgern sich dabei, wenn es immer wieder kommt. 

Eigentlich wollte ich in meinen " wilden " Jahren, die so ab Mitte der 1970er begannen, nie ein solcher Spießer werden. Allerdings lebten unsere Eltern dieses Spießertum überwiegend und gnadenlos vor. Geld - Urlaub - Geld - Fressen-  Geld - Kaufen - Geld - Bransen - Geld - Protzen - Geld - Autos - Geld - Geizen - Geld - Malochen - Geld - den Fiskus bescheißen - Geld - den Nachbarn zeigen, dass man es geschafft hat. Irgendwann danach gab es auch einen Tribut, den sie dafür zahlen mussten. Die Gesundheit blieb auf der Strecke. 

Ich sehe noch die Batterien an Medikamenten, die sich in den Verpackungen und einer so genannten Pillenbox befanden. Für mich, der bei seinen wenigen Besuchen jene Hausapotheke mit einem gerüttelt Maß an Skepsis betrachtete, war es ein abschreckendes Beispiel, wie ein Älter werden nicht aussehen sollte. Nun aber bin ich selbst in die Jahre gekommen. Es stellen sich so einige Wehwechen ein. Die Routineuntersuchung bei der Ärztin hat zwar nichts Auffälliges ergeben, Doch da waren eben die schlechten Zähne, mit denen ich mich seit vielen Jahren herum schlug. Ein Zahn verabschiedete sich aus den beiden gelichteten Reihen nach dem anderen. Es wurde Zeit, dagegen einen Stop zu setzen.

Immer wenn ich irgendetwas von Zähnen, Zahnarzt oder Zahnerkrankungen hörte, las und auch sah, lief es mir beinahe eiskalt den Rücken herunter. Nein, dass bist nicht Du! Du gehörst nicht zu denen, die zahnlos durch die Nacht müssen. Auch eine Passage in einem Buch des mittlerweile maßlos überbewerteten Ferdinand von Schirach, das ich im Urlaub lesen konnte, erinnerte mich auch an meinen vorliegenden, katastrophalen Realzustand im Mund und den miserablen Zahnstatus, der sich sachlich nüchtern mit " f " und " k " einordnen ließ. Schirach beschrieb dort in exakter Weise, was los ist:

" X... roch aus dem Mund, weil er schlechte Zähne und Angst vor dem Zahnarzt hatte ". 

Das ist nun seit einer Woche beinahe vorbei. Bis auf vier noch nicht verblichenen Kumpel aus meiner Zeit ab 12 und danach, haben sich alle anderen von mir verabschiedet.    

Was statt ihrer jetzt beim Zubeißen, Kauen, Knabbern etc. eingesetzt werden darf, nennt sich also Prothese. Eine künstliche, nicht gerade kostengünstige Alternative zu den Zähnen; auch zu schlechten Zähnen. Bis ich mich an jene zahnprothetischen Fremdkörper gewöhnt habe, dauert es noch einige Tage, Wochen, ja wohl eher Monate. Der Zahnarzt empfahl mir in einem Nebensatz, es sodann eher mit Haftcreme zu versuchen. Ich war betroffen, zeigte es aber nicht. Was, denn, Haftcreme?

Ich erinnerte mich an jene Verblödungswerbung ab den 1960er Jahren, in der mit diesem Chemie - Gedöns für die Dritten ( Slogan: " Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können! " ) das Altern kaschiert werden sollte. " Blenden weiße Zähne, dank Corega Taps ", so oder so ähnlich prasselte es in der zeitlich begrenzten Werbezeit auf den Glotzer von vor 50 und mehr Jahren herab.

Ich hasste diese Reklame, weil sie nur von Alten handelte, die mit ihren neuen " Dritten " herum prahlten und dem Fernsehzuschauer darin zu suggerieren versuchten, dass alt werden nichts Anrüchiges, nichts Dramatisches und nichts Nachteiliges sein muss, wenn Mann und Frau nur die auf Seriosität getrimmte Reklame beherzigt und jene teuren Mittelchen dagegen kauft. " Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können! "

Der Endkampf hat begonnen, die Chemie und Pharmazie stimmt, aber bezahlen müssen die meisten Alten sie aus der eigenen Westentasche.



SPOOKY TOOTH  -  That Was Only Yesterday  -  1969:






  

 

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