Geschichten aus der Straßenbahn: " Sie wollen doch nicht die polizeiliche Maßnahme behindern? "


 Es war ein milder Vorsommertag Mitte 1990er Jahre, jenem Jahrzehnts, dass der Dummschwätzer Gottschalk kürzlich für seine Selbtdarsteller - Show zur besten Jahreszeit im Rentnerkanal nutzte, um endlich wieder Quote und Knete machen zu können. " Unser aller Tommy " beschränkte sich in seiner Laber - Sendung nur auf jene Themen, die weitesgehend etwas mit Kunst, Musik und Mode zu tun haben. Doch in jener 1990er Jahren gab es neben der deutschen Wiedervereinigung, mehrere Kriege, darunter jene, die im einstigen Jugoslawien statt fanden. Infolgedessen flohen mehr als 400.000 Menschen aus jenem Land, das einst von dem " Übervater ", dem Staatspräsidenten Josip Broz Tito regiert wurde. Aber nicht nur Kroaten, Slowenen, Kosovaren oder Bosnier verließen das Land, sondern auch eine Vielzahl von anderen Bewohnern aus einst dem so genannten Ostblock zuzuordnenden Ländern.

Daneben aber auch Afrikaner aus Gambia, Nigeria oder Bukina Faso sowie dem Senegal, Äthiopien oder der Republik Togo. Sie beantragten nach ihrer Einreise in Deutschland politisches Asyl. Es waren deren viele, die auf sämtliche 16 Bundesländer verteilt werden mussten. Dieses geschah nach einem zuvor in der Bundesinnenministerkonferenz vereinbarten, festgelegten Schlüssel. Auch die Hansestadt Bremen hatte einige Hundert Afrikaner und einige Tausend Asylbewerber aufzunehmen. Sie wurden in eiligst zusammen gebauten oder umfunktionierten Unterkünften, wie einstige Kasernen, ehemalige Verwaltungsgebäude oder in Notbehausungen in Form von Holzhütten untergebracht. Eine nicht ganz unproblematische Angelegenheit. Denn dort gab es innerhalb sowie unter den Bewohnern sowie Nationalitäten nicht selten Auseinandersetzungen. 

An jenem späten Nachmittag fuhr ich mit der Straßenbahnlinie 10 von der Haltestelle " St. Jürgen - Straße " bis zum Bremer Hauptbahnhof. Es war ein sonniger Tag. Das typische Bremer Schmuddelwetter hatte sich tatsächlich für einige Zeit verabschiedet. Die Menschen waren dementsprechend eher sommerlich gekleidet. Auch ihre Laune schien sich gebessert zu haben, denn ich sah ihn zum Teil freundliche Gesichter. Der durchschnittliche Bremer ist ja nicht unbedingt von Geburt her eine Frohnatur. Er gibt sich eher wortkarg. Bleibt gegenüber Fremden sehr reserviert und pocht eher auf seine traditionellen Lebensinhalte als Hansestädter. Die waren einst von kaufmännischen Grundtugenden geprägt. Dadurch konnte die Hansestadt über viele Jahrhunderte bis weit in die 70er bis 80er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein, auf einen gewissen Wohlstand verweisen.

Das ist zwar längst vorbei, doch es gab noch in den 1990er Jahren nicht wenige Ur - Bremer, die deshalb die eigne Nase gegenüber Buten - Bremern ein wenig höher nahmen.  

Nun, an jenem Nachmittag saßen auch solche Durchschnitts - Bremer in der Straßenbahnlinie 10, die sich rumpelnd, quietschend und ruckelnd in Richtung Hauptbahnhof bewegte. Es war noch eines der dann ausrangierten Straßenbahnzüge, die in dem üblichen elfenbein - hellelfenbein - farbigen Lack durch die Streckenabschnitte von der " Kurt - Huber - Straße ", die zum Stadtteil Sebaldsbrück gehört, bis zur " Debstedter Straße " in Bremen - Gröpelingen.

Ich hatte eine Kollegin, die ihre Kanzlei in der Uhland - Straße betrieb, wegen einer Rechtssache aufgesucht und wollte jetzt mit der Bahn nach Delmenhorst zurück fahren. Die Fahrt bis zum Hauptbahnhof dauerte allenfalls 10 Minuten. Dennoch öffnete ich meinen Pilotenkoffer, in dem sich einige Akten, mein Diktaphon und die aktuelle Ausgabe des " SPIEGEL " lag. Die zog ich nun heraus und begann zu lesen.

Die " BSAG " - Krücke rumpelte derweilen quietschend bis zum Straßenzug " Am Dobben ". Die Türen des Ein - und Ausstiegs klappten zischend auf. Einige Fahrgäste stiegen aus, andere dafür in die alte " Gurke " ein. Solche schon sehr betagten Züge setzte die " BSAG " regelmäßig auf der Linie 10 ein, denn tagsüber wurden diese zumeist von einem - vorsichtig ausgedrückt - einfacheren Fahrgast - Typus genutzt. Dieser kann mit finanziell nicht gerade gut gestellt beschrieben werden. Es waren darunter nicht selten Empfänger von staatlichen Sozialtransfers. Auch viele Asylbewerber, Drogensüchtige und Bewohner des Bremer " Viertel " fanden sich in den Zügen wieder. Allesamt gehörten sie zu einer Gruppe von Fahrgästen, die nicht nur der BSAG dann und wann Probleme bereiteten.

Allerdings waren jene " Problem - Gäste " nicht immer und überall als solche sofort zu erkennen. Das galt sowohl für den profanen " Schwarzfahrer ", den Kleinkriminellen oder den den Dealer. Jener kategorisierten Spezies von Straftätern, die noch in jenem Jahrzehnt eine nicht unerhebliche Zahl ausmachte, die schlussendlich die Polizeiliche Kriminalstatistik ( PKS ) in die Höhe trieben.

Die  Bremer Polizei und hier das Dezernat Drogendelikte kannte einen Großteil jener Drogendealer und versuchte sie durch nachgewiesene Taten irgendwie aus dem Verkehr zu ziehen. Bekannt war auch, dass in den Zügen der Linie 10 " gedealt " wurde. Zumeist erfolgte die Übergabe der Drogen während der Fahrt der Straßenbahn. Der Dealer nahm im Vorbeigehen oder beim Hintereinandersitzen die übliche Geldsumme und steckte dem Drogensüchtigen danach das " Päckchen " ( Heroin ) mit der anderen Hand zu. Man ( n ) kannte sich längst. Deshalb reichte oft nur ein kurzer Blickkontakt, um ein " Geschäft " zu machen.

So saß ich dann an jenem Spätnachmittag eines warmen Frühsommertages auf einer dieser abgewetzten Sitzbänke eines der " ollen Klepper " der Straßenbahnlinie 10 und las meinen " SPIEGEL ", ohne mich um das, was so drumherum passierte zu scheren. Wer da wo mit mir fuhr, interessierte mich herzlich wenig. Auch dann noch nicht, als plötzlich eine lautstarke Unterhaltung zwischen mehreren Personen zu vernehmen war. Ein dunkelhäutiger Fahrgast geriet wohl mit zwei ebenfalls jüngeren Männern in den Streit. Er wehrte sich gegen die beiden Männer, die ihn offensichtlich beim Aufstehen und Verlassen der Bahn zu hindern versuchte. Die Unterhaltung dazu fand in englischer Sprache statt. Ich hörte, dass der Afrikaner lauthals mehrfach verlangte, die Männern mögen ihn in Ruhe lassen und er habe mit dem neben ihn auf dem Sitz liegenden Papiertaschentuch nichts zu tun; es gehöre ihm nicht.

Tatsächlich sah ich auf der abgesessenen Oberfläche des linken Sitzes neben ihm ein weißes, völlig zusammen geknülltes Papiertaschentuch liegen. Mir war sofort klar, dass sich dort drin Heroin befand. Es war eben jene Verkaufsmasche, von der ich durch einen auf Strafrecht, besonders Drogendelikte, spezialisierten Kollegen gehört hatte. Der Ablauf hierzu war so, wie ich es auch kannte. Sobald die Gefahr bestand, dass das geplante Drogengeschäft zu platzen drohte, weil die Polizei in der Nähe war, ließ der Dealer die " Ware " in dem Papiertaschentuch möglichst unauffällig fallen und stellte sich dann dumm oder bestritt, dass es ihm gehöre. Ein simpler Trick, denn das " Päckchen " mit dem weißen Pulver war nicht sofort als Heroin erkennbar. 

Die beiden Männer ließen den Afrikaner nicht gehen. Sie hielten ihn an den Armen fest. Der zeterte wie ein Rohrspatz und behauptete immer noch, dass er mit dem Taschentuch nichts zu tun habe. Jetzt mischte sich eine Frau, die eine Sitzreihe davor Platz genommen hatte couragiert ein: " Lassen Sie den Mann in Ruhe, der hat ihnen nichts getan! ", blaffte sie die beiden Männer an. Die ließen sich jedoch nicht davon beeindruckten und klemmten den Afrikaner weiterhin auf der Sitzbank fest. Die Frau wiederholte ihre Aufforderung. Einer der den Afrikaner festhaltenden Männer drehte sich abrupt zu ihr um, griff zeitgleich dazu in seine Hosentasche und holte seine Dienstmarke hervor. Dann knurrte er die Frau mit den Worten an: " Sie wollen doch nicht die polizeiliche Maßnahme behindern? "

Die Frau starrte den Polizisten in Zivil ein wenig entgeistert, aber auch mit einem leicht vorwurfsvollen Blick an. Dann drehte sie sich wieder nach vorne. Die nächste Haltstelle näherte sich. Die Frau wollte hier aussteigen. Ich auch, denn der Bremer Hauptbahnhof war bereits erkennbar. Die beiden Zivilpolizisten verließen den Zug ebenfalls. Ihre " polizeiliche Maßnahme " war beendet. Sie konnten dem farbigen Fahrgast nicht nachweisen, dass er das Taschentuch auf den Sitz geworfen hatte. Dazu war der Dealer zu schnell. Und Fingerabdrücke gibt es auf einem zusammen gedrückten Taschentuch nicht. Jedenfalls damals noch nicht.

      


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