Herbstzeit = Erntezeit?


Jetzt kommt die Dritte Jahreszeit mit Macht in das Sichtfeld des mitteleuropäischen Erdbewohners. Wenn sich sukzessive das Laub der Bäume bunt färbt, wenn die Blätter welken, herunter rieseln und dann kleine Häufchen bilden, wenn es auf den Feldern, in den Gärten und den Gassen nach verbrannten Holz, Gestrüpp und Pflanzenteilen riecht, dann ist die Herbstzeit angebrochen.




Einst war sie für viele Kinder und Jugendlich das synonym für Erntefeste, Herbstmärkte und Herbstkirmes. So wie auf das Münchner Oktoberfest, das inzwischen längst zur größten Sauf - und Fressorgie der Welt verkommen ist, und die weiteren Massenveranstaltung, wie Cannstatter Wasen , Bremer Freimarkt oder Hamburger Dom allesamt in der bunten Jahreszeit stattfinden, treibt es jetzt immer noch viele Kinder und Jugendlich zu den ungezählten Veranstaltungen mit den lärmenden Fahrgeschäften, wohl riechenden Verkaufsbunden und der vielseitigen Gastronomie, damit all jährlich auf die ungezählten Rummelplätze.

Das die Herbstzeit auch die Erntezeit ist, wird traditionell durch die Lyrik der letzten Jahrhunderte eindrucksvoll dokumentiert. So heißt es beispielsweise bei Theodor Storm in seinem Gedicht " Herbszeit "

Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.

Seufzend in geheimer KlageStreift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!

Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.

Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.

Und es leuchten Wald und Heide,
Dass man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg' ein ferner Frühlingstag.

Nun, die Zahl der deutschsprachigen Dichter war zu jener zeit sehr groß. Deren poetische Lobeshymnen auf den " Goldenen Herbst " sind für den Rezipienten aus der Jetztzeit deshalb sehr differenziert zu sehen. Gaben sie mehrheitlich eher den sozialromatischen Aspekt der Herbstmonate wieder. Ein weiterer Protagonist aus der Garde der Romantiker war, ist und bleibt Theodor Fontane. Er dichtete einst zum Herbst so:


O trübe diese Tage nicht,
Sie sind der letzte Sonnenschein,
Wie lange, und es lischt das Licht
Und unser Winter bricht herein.

Dies ist die Zeit, wo jeder Tag
Viel Tage gilt in seinem Wert,
Weil man's nicht mehr erhoffen mag,
Dass so die Stunde wiederkehrt.

Die Flut des Lebens ist dahin,
Es ebbt in seinem Stolz und Reiz,
Und sieh, es schleicht in unsern Sinn
Ein banger, nie gekannter Geiz;

Ein süßer Geiz, der Stunden zählt
Und jede prüft auf ihren Glanz,
O sorge, dass uns keine fehltUnd gönn' uns jede Stunde ganz.

Und neben dem Fontanśchen Gedicht " O trübe diese Tage nicht ", lässt sich die Hommage von Agnes Miegel an den " Frühherbst " wunderbar angliedern. Zumal ihre lyrischen Impressionen genau dem entsprechen,die mir aus meinen einst noch überwiegend sorglosen Kinder - und Jugendjahren in Erinnerung sind:

Frühherbst

Die Stirn bekränzt mit roten Berberitzen
steht nun der Herbst am Stoppelfeld,
in klarer Luft die weißen Fäden blitzen,
in Gold und Purpur glüht die Welt.

Ich seh hinaus und hör den Herbstwind sausen,
vor meinem Fenster nickt der wilde Wein,
von fernen Ostseewellen kommt ein Brausen
und singt die letzten Rosen ein.

Ein reifer roter Apfel fällt zur Erde,
ein später Falter sich darüber wiegt –
ich fühle, wie ich still und ruhig werde,
und dieses Jahres Gram verfliegt.

Selbst wenn die Lyrik der deutschen Dichter und Denker von einst während meiner Schulzeit eher in dem Zwang eines benoteten Auswendiglernens zu sehen war, Jahre später dann als Relikte eines deutschtümelnden Establishements kritisiert wurde, so ist die Ahnungslosigkeit der Mehrzahl von heutigen Schulabgängern auf diesen Gebiet derart frappierend, dass sich die Forderung aus der dunklen Ecke der konservativen Besitzstandswahrer an den Bevölkerungsteil mit Migrationshintergrund nach der Einhaltung der so genannten " Deutschen Leitkultur als reine Lachnummer entlarvt.

Was einst als notwendiges Übel des Deutschunterrichts in ungezählten Stunden in das Gedächtnis eingemeiselt wurde,verblasste im Verlaufe der vielen Lebensjahre zunehmend. Ob nun Eduard Mörike,Georg Trakl oder auf Wolfgang von Goethe, sie alle bedichten die Dritte Jahreszeit auch als Phase des Vergehens. Dabei geben ihre lyrischen Beschreibungen nur jenen immer währenden Prozess des menschlichen Daseins wieder,welcher von der Natur lediglich im Schnelldurchgang Jahr für Jahr vorgezeigt wird.

Wenn die eigenen Erinnerungen aus den Herbstmonaten meiner Kinder - Schul - und Jugendzeit nur noch spärlich abrufbar sind, so liegt dieses nicht etwa daran,dass jene Jahre nun besonders ereignislos waren, sondern dieses ist wohl eher dem Umstand geschuldet,dass auch bleibende Eindrücke aus längst vergangenen Zeiten im verlaufe eben dieser Dimension zu verblassen, zu verwässern und zu entschwinden drohen.

Herbstzeit anno 1960, das waren abgeerntete und - wenige Wochen später - umgepflügte Stoppelfelder, auf denen wir häufig mit einem - im wahrsten Sinne des Wortes aus den Nähten platzenden - Lederball herum bolzten. Das waren Klettertage auf verschiedenen Obstbäumen, von und aus denen wir uns reife Äpfel - damals allesamt noch ungespritzt -, Pflaumen oder Zwetschen und leckere Birnen pflücken konnten. Ob nun mit oder auch ohne Erlaubnis der Grundstückseigentümer. Das waren selbst gebastelte Drachen, die auf den Wiesen, den Feldwegen und Stoppelfeldern - oft verzweifelt - zum Steigen, Fliegen und Gleiten bringen wollten.

Die Herbstzeit war aber auch die Zeit der heftigen Winde, der Herbststürme und schon recht ungemütlichen Tage. Im Wechsel mit einer sich manchmal noch zeigenden, wohlig wärmenden Herbstsonne regnete es häufig die viel zitierten Bindfäden. Große Pfützen bildeten sich auf den ungezählten Ackerfurchen, in den schadhaften Gehsteigen und in den massenhaften Schlaglöchern der nur schlecht asphaltierten Straßen. Mit Regenjacke, Gummistiefeln und schon wärmender Hose bekleidet verließen wir das elterliche Grundstück,um wenige Meter weiter die anderen Schüler der Straße oder der Nachbarstraßen zum gemeinsamen Schulweg zu treffen oder abzuholen. Das Ritual war bei dem schlechten Wetter mit Wind,Regen und kühlen Außentemperaturen besonders verbindend, denn alle hatten mit jenem schlechten Herbstwetter zu kämpfen.

Herbstzeit, das war aber auch über viele Wochen Erntezeit. Während die vielen Bauern ihre Felder bestellten, auf denen sie zuvor in den heißen Augusttagen das Getreide abgemäht hatten, wurden in den ungezählten Haushalten mit eigenem Garten, mit dazu gepachteten Land die Früchte geerntet. Ob nun Obst, das an den Bäumen hing, ob nun Felder mit Kartoffeln, Runkeln oder Kohl, ob nun Mohrüben, "Dicke Bohnen " oder Kürbis, es musste alles abgeerntet, verarbeitet und haltbar gemacht werden. denn: Der nächste Winter kommt bestimmt!

Für uns als Kinder waren das alle Male interessante Tage,denn es gab viel mitzuhelfen. Dabei konnten wir auch lernen, wie die unterschiedlichen Früchte des Feldes zubereitet und konserviert werden. Nebenbei kochten unsere Großeltern oder Eltern davon leckere Eintöpfe,Suppen oder Nachspeisen. So wurde sehr oft kein Tag langweilig, weil es eben viel zu sehen gab. Ein El Dorado für viele Kinder, auch wenn die Grenze zwischen Kinderarbeit und Erlebnissen - meist gewollt - sehr schnell verwischte.

Wenn in den Jahren des längst Erwachsenseins lyrisch und prosaische Veröffentlichungen über den Herbst aus meiner Erinnerung hervor kommen,so reduzieren diese sich auf die Musik und lesen sich ähnlich, wie das Lied der Popgruppe " The Kinks " aus dem Jahre 1968:


From the dew-soaked hedge creeps a crawly caterpillar,
When the dawn begins to crack.
It’s all part of my autumn almanac.
Breeze blows leaves of a musty[mustard?
Coloured yellow,
So I sweep them in my sack.
Yes, yes, yes, it’s my autumn almanac.

Friday evenings, people get together.H
Hiding from the weather.
Tea and toasted, buttered currant buns
Can’t compensate for lack of sun.
Because the summer’s all gone.

La-la-la-la...
Oh, my poor rheumatic back.
Yes, yes, yes, it’s my autumn almanac.

La-la-la-la...
Oh, my autumn almanac
Yes, yes, yes, it’s my autumn almanac.

I like my football on a saturday.
Roast beef on sundays, all right.
I go to blackpool for my holidays.S
Sit in the open sunlight.
This is my street,
and I’m never gonna to leave it,
And I’m always gonna to stay hereIf
I live to be ninety-nine,’cause all the people I meet
Seem to come from my street.
And I can’t get away.
Because it’s calling me, (come on home)
Hear it calling me, (come on home)

La-la-la-la...
Oh, my autumn almanac.Y
Yes, yes, yes, it’s my autumn almanac.

La-la-la-la...
Oh, my autumn almanac.Y
Yes, yes, yes, yes, yes, yes, yes, yes.
Bop-bop-bopm-bop-bop.
Whoa!Bop-bop-bopm-bop-bop, whoa!(etc.)

http://www.jango.com/music/The+Kinks?l=0




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