Still ruht der See?



Die Gartenarbeit bringt es mit sich, dass die Arbeitsutensilien ab und an erneuert oder ausgetauscht werden müssen. Nachdem ich mich seit Tagen mit völlig verschlissenen Gartenhandschuhen herum geplagt habe, kam am Wochenende die Idee, diese Lumpen nun endlich gegen einen neuen Handschutz auszutauschen. So entsorgte ich die zerfetzten Überzieher in dem Restabfallbehälter und machte mich am frühen Nachmittag auf den Weg zu dem selbst ernannten Aktionshaus " Wreesmann " an der Hofmühlenstraße 29.

Dem Weg kenne ich längst so genau, dass mir jedes Grundstück, auf dem sich irgendetwas verändern würde, sofort auffiele.

Entlang der als lokale " Raserstrecke " genutzte und bewährte " Wiesbadener Straße ", führte mich die Route zu der  " Dölzschener Straße ", an deren Kreuzungsbereich der Kindergarten " Sonnenkäferland " liegt. Schon nach wenigen Meter wurde mir klar, dass die 2. Woche der Großen Ferien längst angebrochen ist. Wo sonst ein reges Treiben der Kinder auf dem Gelände zu sehen war, herrschte nunmehr fast vollständige Ruhe. Nur gut ein Dutzend der späteren Rentenzahler spielte im an an den Sandkästen. Auch der Geräuschpegel, der mich immer deutlich vernehmbar bis über die gegenüber liegende Seite der " Dölzschener Straße " begleitet, war nicht vernehmbar.

Wo sonst Blech an Blech, Plastestossstange hinter Plastestossstange parkte und die Liebsten vor den Gebäuden abgeholt wurden, verzeichnete ich gähnende Leere. Ruhe auf ganzem Gebiet eben.

Ich querte die Straße und passierte eine riesige Werbetafel. Neben allerlei Veranstaltungshinweisen zu bereits vergangenen und noch kommenden so genannten Events, fand sich auch ein solcher des Stadttheater mit der reißerischen Überschrift: " Unter dieser Kuppel wird ihr Sommer himmlisch ".
Aha, aber nur wenn es Sommer wird. Denn Regen bleibt Regen, wenn der Besucher das Gebäude nach dem Ende der Vorstellung verlassen muss.

Ich eierte über den unasphaltierten Gehsteig, der diesen Namen eigentlich nicht tragen dürfte, denn es ist ein Weg neben der Straße, der die Qualität eines Kraut - und Rübenackers neben einem Wirtschaftsweg in Norddeutschland besitzt. Überall ragen kleinere und größere Steine heraus. Zerborsteten Betonplatten wurden gleich mitverlegt und innerhalb jedes Meters der Strecke bis zur " Mohorner Straße " lauern Stolperfallen. Eine Zumutung, eben.
Zusätzlich ragen von dem verwahrlosten Grundstücken Daumen dicke Brombeerstrauchranken aus den Zaunelementen, deren beste Zeiten längst vorüber sind.
Und - als wäre dieses Elend nicht schon genug - in Kopfhöhe sprießen unzählige Zweige von den Grundstücken in den Gehweg hinein. So heißt deshalb: Kopf einziehen und Abducken.

Kurz vor der " Mohorner Straße " sah ich auf eine weitere, dieser unsinnigen Werbetafeln. " Rauchen kann tödlich sein. " stand unter einer Zigarettenwerbung zu lesen. Ach, was ihr nicht sagt? Deshalb habe ich ja vor beinahe 32 Jahren das Qualmen aufgegeben. Links daneben befanden sich einige, gleich aussehende Plakate, die für eine " Ü40 " - Party warben.  Ü40? Sind die Ü30 - Bürger/innen denn schon alle in den Westen weggezogen? Oder bedeutet Ü30 - Fete auch nur, dass es U30 - Besucher sein dürfen, die jene Veranstaltung besuchen können? Also, " Ü40-Party " sind eben jene reiferen, mitten im Leben stehende Menschen, deren Disko - Zeit bereits beendet wurde? Deshalb sollen sie ja in dieses Umfeld mit Schrott - und Wummer - Musik zurück geführt werden, Bezahlen müssen sie aber dafür auch, sonst reicht das für die Veranstalter nicht.

Nach den " Ü40 - Party " - Plakaten bog ich in die " Mohorner Straße " ein. Hier liegen auf der rechten Straßenseite einige Gewerbebetriebe, Irgendwelche Schrott - und Autoverwertungshändler haben sich dort angesiedelt. Gegenüber stehen die kleinen Flitzer " Mit 70 durch die Stadt " - der Volkssolidarität. Die fahren für viel Geld und weniger Qualität das " Essen auf Rädern " aus. Doch, bei aller berechtigter Kritik, es muss auch diese Dienstleister geben und ein durchaus attraktives Wohn - und Pflegeheim existiert dort auch.

Kurz vor der Straßeneinmündung zu der sonst stark gefahrenen " Reisewitzer Straße " werkelte ein einzelner Mann an einem Zaun herum. Dieser war vor Jahren von einem PKW nieder gewalzt worden und lag seit her auf der vergammelten Rasenfläche vor einem Gebäude, dass großspurig " LöbTower " benannt wurde. Einst waren hier wohl Büroflächen vermietet. Jetzt steht das Gebäude seit Jahren nahezu leer.

Aber, auch sonst sah die " Mohorner Straße " eher ruhig und beschaulich aus. Das Park - Chaos, was sich sonst zeigt, war nicht mehr zu sehen. Es sind eben Ferien!

Ich überquerte die " Reisewitzer Straße " und ging gemächlich in Richtung zur " Tharandter Straße ". Auch hier herrschte eher ruhiger Autoverkehr. Auf der " Würzburger Straße " gelangte ich dann über die " Weißeritz " zur " Hofmühlenstraße ".
Dort begab ich mich dann in die " Wreesmann " - Filiale.

Beim Öffnen der Tür schlug mir der leicht muffige Geruch der ausliegenden Waren entgegen. Es befanden sich nur eine handvoll Kunden in dem Flachbau, der den Charme einer Lagerhalle versprüht. Ich besah die angebotenen Gartenhandschuhe etwas genauer und entschied mich für ein Paar aus festeren Stoff sowie ein Paar Arbeitshandschuhe. Und während ich noch ein wenig herum guckte, fiel mir eine jüngere Familie auf, die sich eher unschlüssig durch die dicht bestellten und mit allerlei Artikeln voll gepfropften Regale zwängte. Der Mann, ein eher unscheinbarer Mittzwanziger versuchte das mit laufende Kleinkind zu bespassen, indem er diesem eine " ...schland " - Tröte hin hielt. Sofort beackerte das Kind den Krachmacher mit dem Mund und produzierte ständig, nahezu identische und extrem nervende Laute.

Papa gefiel die Aktivitäten des Sprösslings und er motivierte diesen, doch weiter Lärm zu erzeugten. Die Tröten - Töne mischten sich nun mit der Leiermusik, die seit Jahren aus den Billig - Lautsprechern der " Wreesmann " - Filiale dudelt und nur von dem lispelnden Gequatschte des Inhabers der " Ramsch " - Kette unterbrochen wird. Dieser lobpreist in einer abgedroschenen und identischen Wortwahl seine " Super - Sonder - Angebote ". Ob Frühjahr, Sommer, Herbst oder Weihnachten - es riecht dort immer gleich, es wird dort die gleiche Musik - mit Ausnahme der Weihnachtslieder - abgedudelt und die Mitarbeiterin sind mir seit vielen Jahren auch bekannt.

So achtete ich nicht mehr besonders auf die Kunden und sah mich noch kurz bei den Batterien um. Plötzlich hörte ich, wie jene, zu dem Tröten - Papa zugehörige Mutter los brabbelte: " Nu, komm aber mal her. Jetzt wollen wir gehen Maddox! "
Häh? Was hat sie da gerade für einen Namen gesagt? " Maddox "?

Gut, ja gut, ich sach ma´, es gibt dämlichere Vornamen. So, wie:


Chenekwahow, Tecumseh, Migiskau, Kioma, Ernesto, Inti, Prithibi, Pathar, Chajara, Majim, Henriko und Alessandro, Chantal - Christine, Phil, Siv, 



Oder diese Namenskombinationen:



http://www.unmoralische.de/namen/dumme_namen.htm

http://www.vorname.com/lustige_vornamen.html


Doch " Maddox "? Das haut doch der Blödheit glatt den Boden aus dem Fass? Und just so sah denn auch die Mama aus, die sich kurz danach über den Parkplatz des Ramschladens wuchtete. Das Hinterteil hätte dem vormaligen Pony meiner Tochter glatt gehören könnten und auch sonst erschien die Kleinfamilie eher in die Kategorie " nicht die hellsten Kerzen " zu gehören.

Nun,ja, es sind Ferien. Alles ist ruhiger und so mancher Mitbürger, der sich sonst kaum auf die Straße traut, ist jetzt zu sehen. Oder, diejenigen, die sich den Urlaub an dem überteuerten Ostsee - Stränden zwischen Boltenhagen, Heiligendamm oder Graal - Müritz, Darß, Rügen oder Usedom nicht leisten können, kommen aus den Parzellen und von Balkonia heraus auf die Straßen, um zu zeigen, dass sie noch da sind.

Grinsend und mich immer noch über den sau - dämlichen Vornamen des Mädchens amüsierend, trat ich den Rückweg an. Vorbei an den vergammelten Grundstücken, den maroden Fassaden und entlang den Knochenbrecher - Fußwegen, auf denen die Gehwegplatten, wie die Ostsee - Wogen auf und ab verlaufen. Alles " Maddox ", eben?

Immerhin hatte ich meine Arbeitshandschuhe in dem Leinenbeutel liegend, noch bei mir behalten.

Vor 35 Jahren bin ich in den Sommermonaten ab und zu mit meinem Schwager zum Angeln an einen Baggersee gefahren. Ab 5.00 Uhr morgens saßen wir dort stundenlang und warteten auf einen " Biss ". Manchmal mit Erfolg. Mit uns waren andere Männer dort - allesamt Angler. Die hießen Reinhard, Michael oder Werner. Die Frauennamen lauteten einst auf: Sabine, Christine oder Petra. Manchmal noch alt - modischer auf : Marie, Liselotte oder Karin. Aber, " Maddox "?

Wenn wir so da saßen und ich nach dem Hellwerden meine " SPIEGEL " - Ausgabe aus der Tasche, mit meiner Thermoskanne, in dem ich Kaffee eingefüllt hatte und in der eine Brotdose mit zwei oder drei Stullen lag, zum Lesen heraus zog, schaute ab und zu ein Angel - Kollege meines Schwagers vorbei. " Morgen ! Petri Heil! ", lautete da die Begrüßung. " Petri Dank! ", die Antwort. " Und? ", stellte der Mitangler dann die entscheidende Frage. " Still ruht der See! ", kam die vernichtende Antwort. " Aber, ewig Ringe! ", fügte der Angler hinzu.
" Ja, mehr nicht! ", antwortete mein Schwager wiederum.

Es waren Sommerferien. Die Fische machten vielleicht auch Urlaub.
Still ruht der See!
Wenigstens hatten sie im großen Teich keine Parkplatz - Probleme und " Maddox " hießen die Fischarten im Gewässer schon gar nicht.

Petri Dank!


" Purple Schulz " und " Sehnsucht - Ich will raus " aus dem Jahr 1984:








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