" Hallo! Was machen Sie da? "


Wir schreiben den 2. Februar des 7. Jahres im 2. Jahrzehnt des 1. Hunderts im 3. Jahrtausend - nach Christi Geburt. Es hat - nach dem Schneegestöber, dem Frost und dem Winterwetter - langsam begonnen zu tauen. Die Straßen sind glatt, die Gehsteige auch und zudem bilden sich überall große Pfützen. Ich eiere auf der Grenzallee in Richtung Naußlitzer Straße / Burgwartstraße . Hier will ich einen Brief einwerfen, den ich eigentlich schon vor einiger Zeit hätte schreiben sollen. Nun ist der Antrag auf Fahrtkostenerstattung für die AOK bald komplett. Dieses ewige Ausfüllen von irgendwelchen Formularen, es nervt. Am Ende kommt fast nichts dabei heraus.

Der Briefkasten befindet sich auf der gegenüber liegenden Straßenseite der Burgwartstraße , kurz hinter der Einmündung zur Alfred - Thiele - Straße. Ich werfe den Brief dort in den gelben Kasten und überquere die Straße, um auf der Alfred - Thiele - Straße weiter in Richtung Rüdesheimer - und Binger Straße. Der Gehsteig an der Alfred - Thiele - Straße ist spiegelglatt. Es hat ein wenig genieselt. Ich bewege mich vorsichtig auf der Fahrbahn, um nicht irgendwo auszurutschen. Vor jedem Hausgrundstück wurde zwischen Gehsteig und Gehsteigkante der Schnee aufgehäufelt. Es sieht irgendwie putzig aus, denn durch den Nieselregen haben die Schneehaufen einen leicht glänzenden Überzug erhalten.

Ich ziehe mein Handy aus der Jackentasche und fotografiere einige der Schneehaufen und den Schneematsch auf der Straße. Kurz danach gelange ich an ein Haus, in dessen Vorplatz ein Mann die Schnee - und Eismassen mit einer Schaufel zu beseitigen versucht. Er kratzt dabei deutlich hörbar auf den Pflastersteinen herum. Auf dem Grundstück steht ein Betriebs - PKW der Drewag. Ich beachte ihn nicht weiter, sondern entdecke an dem gegenüberliegenden Haus am Eingangsbereich einen Herrnhuter  Stern hängen. Eine große Ausführung in gelb. Ich zücke wieder mein Handy, stelle mich auf die Mitte der Straße und fotografiere den Stern zwei Mal. Dann nehme ich noch die Schneehaufen links und rechts der Straße auf.

Der Schneekratzer des Nachbargrundstücks hat mich dabei argwöhnisch beobachtet. Plötzlich ruft er mir zu: " Hallo! Was machen Sie da? " Ich fotografiere die verschneite Straße erneut, stecke das Handy in die Jackentasche und drehe mich langsam in seine Richtung um. Ich kenne solche Möchtegern - Typen. Es sind Wichtigtuer und kleinkariert denkende Oberspießer. Zumeist fristen sie ihr Dasein in einem Betrieb, wo sie seit Jahren, ja Jahrzehnten, bereits ein und derselben Tätigkeit nachgehen. Es sind kleine Angestellte mit einem überschaubaren Arbeitsfeld und eingeschränkten Kompetenzen. So eng, wie deren berufliche Tätigkeit abläuft, so winzig ist auch deren Weltbild. Provinzheinis eben; wenngleich in einer Großstadt lebend.

Ich habe sie während der Zeit in Bremen vielfach angetroffen. In der Straßenbahn, als zu einem Gerichtstermin fuhr. In meinem Pilotenkoffer lagen meine Akten, die ich mir eigentlich noch gerne angesehen hätte, weil aber der Fritze von der BSAG - internen  REFA seine Utensilien auf dem gegenüberliegenden zwei Plätzen so dämlich ausgebreitet hatte, konnte ich meinen Pilotenkoffer nebst Akten dort nicht mehr öffnen. Der Gernegroß tippte ständig auf einer Tastatur herum, drücke dann auf eine spezielle Stoppuhr, verglich dieses mit einem weiteren Chronometer an seinem recht Arm und tippte dann wieder auf dem Taschenrechner artigen Instrumentarium herum. Dann sah er mich mit einem hoch wichtigen Blick und einem süffisanten Lächeln im Gesicht an. Er wollte mir wohl damit sagen, dass er eine hoch wichtige Arbeit ausübe und ich wohl keine. Der Pinsel schaute jedoch nicht schlecht, als ich dann meinen Pilotenkoffer auf meine Oberschenkel wuchtete, die vermessingten Zahlenschlösser aufschnappen ließ und dann doch die Prozessakte heraus fingerte.

An der Domsheide stieg ich aus und lief schräg zum Landgerichtsgebäude. Er blieb weiter sitzen und muss mir wohl hinterher gesehen haben; dieser wichtige Teil unseres damaligen Wirtschaftssystems.

Viele Jahre später war ich mit dem ICE von Bremen nach Stuttgart unterwegs. In einem der Abteile saß ich und las meinen " SPIEGEL " , als ein gesetztes Männecken sich in einiger Entfernung vor mir aufpflanzte. Er musste wohl so in meinem Alter gewesen sein und fingerte in einer Brusttasche nach seinem " Nokia " - Handy, das so ähnlich wie meines aussah. Er verspeiste zuvor aber eine selbst belegte Stulle, wischte sich den Rest des Butterbrotes von den Lippen und wählte wichtigtuerisch dann auf der Handy - Tastatur eine Nummer. Dann begann er belangloses Zeug zu erzählen. Der andere Teilnehmer hatte wohl offensichtlich keinen Bock auf dummes Gelabere und somit war das enorm wichtige Gespräch nach knapp 2 Minuten beendet. Der Telefonierer im Range eines selbst ernannten Vorstandsvorsitzenden schaute mich mit erwartungsvollem Blick, in den der Ausdruck " Na, hast Du auch ein so wichtiges Arbeitswerkzeug für diese hoch wichtige Position ? " an und wartete auf meine Reaktion. Sie kam nicht. Ich grinste ihn nur hämisch an und widmetet mich weiter meinem " SPIEGEL " - Artikel.

Nun, just so ein Prototyp der aufgesetzten Wichtigtuerrei sprach mich nun an. Es war wohl ein Drewag - Mitarbeiter mit geerbten Eigentum in Naußlitz. Einer der - bekanntlich - besseren Wohngegenden Dresdens.
" Das geht Sie gar nichts an!", bellte ich zurück.
" Das geht Sie nichts an! ", wiederholte ich mich in einem abschätzigen Ton.
Er stand da, mit der Schaufel in der Hand und starrte mich an. Er sah dabei aus, wie ein Arbeiterdenkmal aus längst vergangenen Zeiten. Ein armer Willi, dem gerade gesagt worden ist, dass er ein solcher ist.

Ich ging ein paar Schritte weiter und drehte mich nicht mehr um. Warum sollte ich mich auch weiter umdrehen? Das aufgezwungene Gespräch des Schneeräumers mit DDR - Blockwart - Ambitionen war für mich mit meiner Antwort erledigt. Ich fotografierte noch einige Schneehaufen und erinnerte mich daran, dass ich einst - es war im September 1984 - eine ähnliche Begegnung der Dritten Art hatte.
Meine Eltern hatten mich zu einem vierwöchigen USA - Urlaub eingeladen. Wir flogen nach Florida. Genauer: Wir hatte in Miami Beach ein Appartement gemietet. Und von dort aus besahen wir uns das nähere Umfeld zu Fuß. Für den mobilen Durchschnittsamerikaner an sich schon ein Unding. Bei einer dieser Wanderungen gelangten wir in eine dieser typischen Reihenhaus - Blocks, die sich dadurch auszeichnen, dass die Holzhäuser beinahe zum Verwechseln ähnlich sind. Auch die Vorgärten - allesamt sehr gepflegt - glichen einem Ei wie dem anderen. Raspelkurzer Rasen, der wegen der Hitze ständig gesprengt werden muss, pflegeleichte Anpflanzungen und an den Hauseingängen Gehsteige, auf denen gegessen werden konnte, so sauber waren sie. Natürlich war die Area " protected ". Es war ein privater Sicherheitsdienst,der dort patrouillierte.  

Nun, ich hatte meine " Pentax " - Spiegelreflexkamera mit einem Objektiv und Tragetasche - dieses war die sehr abgespeckte Ausführung für längere Exkursionen - bei mir. Und knipste fleißig los. Hier ein Vorgarten mit tropischen Sträuchern, da ein Grundstück mit Palmen und dort eine Garageneinfahrt, die mit exotischem Bewuchs verschönert war. Es gab viel zu fotografieren, denn ich hatte so um die 30 Rollfilme mit genommen.
Und an einem dieser Häuser, dieser normierten Luxus - Holzbauten, waren wiederum eine Reihe von Sträuchern, die selbst im September noch üppig blühten, das Objekt meiner Begierde. Ich stellte mich also auf den Gehsteig, stellte das Vario - Objektiv scharf ein und drückte auf den Auslöser. Meine frevlerisch - künstlerischen Aktivitäten musste wohl eine Bewohnerin von ihrem fenster aus argwöhnisch beobachtet haben. Sie sah mich, ich aber nicht sie. Plötzlich stürzte die Furie aus der Tür und zeterte in dem typischen US - Slang los. Ich verstand nur Bahnhof. " Bla,bla,bla,bla,bla,bla! " Sie fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, ruderte mit den Armen und wurde immer hysterischer. Endlich hatte ich ein paar Brocken ihrer Schimpf - Kanonade verstanden. Es ging wohl um das Fotografieren ihres Grundstücks. Sie wollte dieses nicht. Warum auch immer?

Sie behauptete - so meine spätere Interpretation ihres Hollywood - reifen Auftritts - es sei nicht erlaubt, Fotos von fremden Grundstücken und Häusern zu machen. Ich erklärte ihr in einem Satz, dass wir aus Westdeutschland kämen, Touristen seien und nur einen Spaziergang machen würden. Sie drehte sich um, zeterte weiter und verschwand in der Eingangstür.
Hmh, was soll an dem Abfotografieren von Häusern, Grundstücken und Sträuchern verboten sein?
Die US - amerikanische Paranoia, wonach fremde Mächte eine latente Bedrohung für dieses Land darstellen würden, war auch vor 33 Jahren tief in der Gesellschaft verwurzelt. Mag sein, dass die Hausfrauen - Furie der irrigen Auffassung war, ich wäre Teil dieser latenten, fiktiven Bedrohung aus dem All. Oder: Ich wäre ein doloses Werkzeug jener Feinde, die den großartigen Vereinigten Staaten von Amerika durch intensive Spionagevorbereitungshandlungen mittels Abfotografieren geeigneter UFO - Landeplätze, alsbald den Garaus machen könnten. Mag auch sein, dass sie einfach neidisch auf meine teure Kamera war.

Wir setzten unseren Spaziergang fort, der uns an weitere Grundstücke mit identischem Aussehen vorbei führte. Irgendwie ging mir der Gedanke nicht aus dem Sinn, dass die Yankees doch allesamt einen an der Waffel haben müssen, wenn sie von jedem Touristen hunderte von Datensätzen sammeln, einen Raser auf dem Highway wie einen Schwerstkriminellen behandeln und jetzt sogar Fremden aus islamischen Staaten die Einreise verweigern.

" Hallo! Was machen Sie da? ", dieser paranoide Yankee - Verschnitt zählt in bestimmter Art und Weise auch zu dieser Spezies; und der wohnt nur um die Ecke, in der Nachbarschaft, nicht über den Großen Teich.

So sage ich denn hierzu:

  Zu Dionysos, dem Tyrannen, schlich,
   Damon, den Dolch im Gewande.
   Ihn schlugen die Häscher in Bande.
   " Was wollest Du mit dem Handy, spricht! ",
   entgegnete ihm finster der Wüterich.
   " Fotografieren, mehr wollt ich nicht! "

Gut´s Nächtle mit: Ringo Starr und seinem " Photograph "


Auch 44 Jahre danach behaupte ich immer noch : Er kann nicht singen! Doch, sein Titel war doch schön, oder?
 



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