Die Allman Brothers Band auf Baltrum

Als ich vor 49 Jahren das Abenteuer 2. Bildungsweg mit dem Ziel das Fachabitur zu erlangen, um anschließend ein Studium aufnehmen zu können, in der Kreisberufsschule Stadthagen startete, war mir sicherlich nicht klar, ob ich diese Ochsentour überhaupt durchhalten werde. Andrerseits waren seit meinem letzten Schultag nur zwei Jahre vergangen. Danach hatte ich meinen Dienst beim Barras abgerissen. Genauer gesagt, ich hatte mich auf 2 Jahre verpflichtet, um diese sinnlose Zeit möglichst zügig nach dem Ende meiner Lehre zu beginnen und dann später nach 21 Monaten zu beenden. Am 18. 12, 1973 hatte ich der BRD lange genug gedient. Danach begann ich vier Monate als Verkäufer in meiner ehemaligen Ausbildungsstätte in Bückeburg.

Just in dieser Zeit lernte ich - eher zufällig - eine etwa gleichaltrige Bückeburgerin kennen. Sie wohnte einst - so wie ich - bei ihren Eltern. Brigitte K., so hieß die Dame, arbeitet aushilfsweise in jenem Betrieb, der damals meine Zwischenstation nach dem Barras war. Während einer Mittagspause, die ich mit einer ebenfalls dort arbeitenden Auszubildenden in einer Eisdiele verbrachte, setzte sich Brigitte ( Kosename " Gitti " ) zu uns an den Tisch und textete mich zu. Ich gefiel ihr wohl. Was sich zunächst eher einseitig entwickelte. Zu einem späteren Zeitpunkt lud sie mich ins Kino ein. 

Nun, die Freizeitmöglichkeiten waren selbst in der ehemaligen Residenzstadt Bückeburg sehr überschaubar. Also verbrachten wir noch ein bis zwei Stunden im " Minchen ", einer Gaststätte, die sich in dem einstigen Bückeburger Ostbahnhof befand. Nach eher - so habe ich es noch in Erinnerung - belanglosen Geplaudere, brachte ich " Gitti " wieder zurück zu ihren Eltern, die in einem durchaus schmucken Einfamilienhaus in der Danziger Straße wohnten. Ihr Vater war pensionierter Oberst der Bundeswehr. Schon allein dieser Berufsstand hätte einst einen ausreichenden Hinweis auf dessen Lebenseinstellung und Gesinnung abgegeben. Es war ein reaktionärer Hanswurst, der mit der Lebenseinstellung seiner Tochter reinweg gar nichts am Hut hatte.

Tja, die trieb sich nach Feierabend und an den Wochenenden in verräucherten Kneipen, in Unterkünften von langhaarigen Männern uns auf Musikfestivals herum. Irgendwann konsumierte sie dabei auch Drogen. Zunächst " Shit ", dann " Gras ", später drückte sie Heroin. Die Frage, die sich für mich heute dazu stellt, wäre: Wer hat den Ausstieg aus dem Spießer - Leben ursächlich zu verantworten gehabt? War es der autoritäre Vater oder eher sind es eher die falschen Freunde gewesen?

Just zu dieser Zeit lernte ich also " Gitti " K. kennen. Ich verabschiedete mich für immer von meiner Ausbildungsfirma und hängte meinen Ausbildungsberuf an den Nagel. Ab Mitte April 1974 besuchte ich die Berufsaufbauschule in Stadthagen. Später dann die Fachoberschule. In dieser Zeit traf ich mich in unregelmäßigen Abständen mit " Gitti " K. Dieses, obwohl sie eigentlich nicht so mein Typ war, nicht in mein " Beuteschema " passte.

Sie nahm ab Sommer 1974 einen Job als Bankangestellte in der Sparkassenfiliale auf der Nordseeinsel Baltrum an. Wir schrieben uns regelmäßig Briefe. Sie erklärte mir unter anderen hierin, weshalb sie diesen Schritt gewählt hatte. Baltrum war ja nun nicht - schon gar nicht in den frühen 1970er Jahren - der nabel der Welt. Als kleinste der sieben Ostfriesischen Inseln, besuchten selbst in den Sommermonaten nur wenige Gäste das Eiland. Zum einen, weil es damals nicht so viele Übernachtungsmöglichkeiten gab, zum anderen, weil die Insel sehr klein ist und touristisch nicht sehr viel anzubieten hat. Das Eiland weist eine Gesamtlänge von 5 Kilometern, eine Breite an der schmalsten Stelle von 1,5 Kilometern und eine Fläche von 6,5 Km² auf. 

Sie versuchte sich nicht nur von ihrem Elternhaus abzunabeln, sondern auch von jenen Freunden aus der Drogenszene. Das gelang zum Teil, denn eines Tages erhielt sie auf der Insel Besuch von einem Bekannten aus jenem Umfeld. Was dieser als Geschenk mit brachte, vermag ich selbst 48 Jahre danach nur zu erahnen. Erzählt hat sie es mir nie. Auch dann nicht, als ich im Herbst 1974 einen Kurzurlaub auf Baltrum verbrachte und sie hier besuchte. 

Während unserer langen Gespräche plauderten wir vornehmlich über Musik. Brigitte K. lag hier im wesentlich auf meiner Wellenlänge. Allerdings kannte sie einige Bands und Musiker, die mir eher unbekannt waren. Neben dem Folk - und Polit - Lied - Interpreten Hannes Wader, der bereits 1972 seine LP " 7 Lieder " veröffentlicht hatte, schwärmte sie auch für Franz Josef Degenhardt oder Dieter Süverkrüp, aber auch " Ihre Kinder ", " Floh de Cologne " oder " Ton Steine Scherben ". 

Dieses Genre lag nicht so ganz auf meinem musikalischen Kurs. Primär hatte ich eine gewisse Abneigung gegen jedweder Art deutschsprachiger Musik entwickelt; zudem war mir folkloristisches Liedgut inzwischen zuwider geworden, was vielleicht auch an meiner CVJM - Jugendschar sowie - Jugendschaft - Vergangenheit lag. Einst zählte die " Wandergitarre " sowie die " Mundorgel " zudem auf eher heile Welt getrimmten Image der Kirchenorganisation. Diese Zeit wollte ich aber eher schnellstens vergessen, weil mir das gesamte Klerikale gewaltig auf den Zwirn ging.

Wie dem auch war, ich konnte mit den deutschsprachigen Liedermachern und Agitprop - Bands nüscht anfangen. Wohl aber mit einem anderen " Geheimtipp " der Bückeburgerin, die - wie ich auch, allerdings nur auf andere Weise - einem strengeren Elternhaus entfliehen wollte. Sie empfahl mir einst. mal in ein Album der US - Musikgruppe " The Allman Brothers Band" hinein zu hören. Okay, statt Hannes Wader und Co, also " The Allman Brothers Band "?

Die Tage auf der kleinen Ostfriesischen Insel waren zwar nicht spektakulär, denn dafür dürfte ein Besuch im Herbst des Jahres eher nicht geeignet gewesen sein. Die wenigen Geschäfte hatten zudem nur an den Werktagen von 8.00 bis 18.00 Uhr geöffnet; Gaststätten ebenso. Und auch sonst bot Baltrum nicht gerade viel. Die 70er waren noch nicht so vom Massentourismus geprägt. So verbrachte ich die meiste Zeit mit Spaziergängen am Strand. Selbst wenn es ein wenig regnete und windete, trieb es mich an das rauschende, aufgewühlte Meer. 

Nach etwas mehr als einer Woche war mein Baltrum - Besuch beendet. Ich ließ mich von der einzigen Fähre, die das Festland mit der Insel verband, nach Neßmersiel schippern. Damals waren die Verbindungen sehr eingeschränkt. Soweit ich mich erinnern kann, war das Festlandwetter noch regnerischer als auf der kleinen Insel. So hätte es mich nicht verwundern dürfen, dass bei meiner Ankunft das Regenwasser zentimeterhoch im auf dem Bodenblech der Fahrerseite meines Renault R 4 stand. Ich hob die Bodenmatten hoch und drückte das Wasser heraus. Dann nahm ich ein mit gebrachtes Handtuch und versuchte damit das Wasser aus dem Fahrerteil zu entfernen. Nach einigen Minuten hatte ich das Bodenblech einigermaßen trocken bekommen. Obwohl es enorm geregnet hatte, sprang der Renault problemlos an. Ich zuckelte von der als Parkplatz umfunktionierten Grasfläche und fuhr zurück nach Bad Eilsen.

Ein recht beschwerlicher Rückweg, den mein französischer Gartenstuhl mit 26 Pferdestärken und einer 6 - Volt - Lichtanlage über 380 Kilometer zurückzulegen hatte. Weil es zu diesem Zeitpunkt weder die Autobahn 29, noch die A 28 in der heutigen Verbindungsform gab, musste ich 5 1/2 Stunden Fahrtzeit in Kauf nehmen. Okay, die Strecke über die niedersächsische Provinz war und ist sicherlich attraktiver als jene Route, die die Autobahnen 27,28 und 29 einbinden.

So jockelte ich mit dem roten R4 und dessen Revolverschaltung von Neßmersiel über die Landstraße ( L ) 5 in Richtung Nesse, dort hindurch nach Dornum. Dann entlang der heutigen Niedersächsischen Mühlenstraße, der L 7 und Kreisstraße ( K )  210 , der L 6, sowie L 10 zu der Bundesstraße ( B ) 461. Danach an Jever vorbei kommend, auf die B 210 nach Sande bei Wilhelmshaven, jener Stadt an der Jade, in der ich 2 Jahre später mein BWL - Studium beginnen sollte.

Über die L 815, 816, durch Blauhand, Steinhausen, Bockhorn, gurkte ich in Richtung Westerstede. An der Stadt vorbei nach Bad Zwischenahn bis nach Friesoythe im Landkreis Cloppenburg. Auch anhand der zunehmenden Anzahl von dicken Mercedes Limousinen und der Kirchen sowie Kreuze, wurde mir klar, dass ich mich jetzt im tiefe - schwarzen CDU - Feindesland befand. 

Noch lagen satte 292 Kilometer vor mir. Inmitten der schwarzen niedersächsischen Provinz, in der es neben Feld, Wesen, Nutztierbehausungen, nur noch etwas Wald gab. Eigentlich hätte damals das Lied von Hannes Wader aus seiner 72er LP " 7 Lieder " dazu gut gepasst, doch der interessierte mich musikalisch eben noch nicht besonders:


Auf dem Weg von Friesoythe, über die B 72, fuhr ich durch Garrel  nach Cloppenburg. Durch die Kreisstadt hindurch fuhr ich auf der B 69 weiter über Schneiderkrug nach Diepholz. Über die Kreisstadt ging es auf der B 51 weiter in Richtung Nienburg, dann auf der B 214 nach Wagenfeld. Von dem einst längsten Dorf Westdeutschlands aus, fuhr ich auf der L 343 in Richtung Ströhen. Durch Diepenau ging es dann weiter auf der L 764 nach Friedewalde. Dort hatte mein Bruder einst in einer WG gelebt.

Nach weiteren 5 Kilometern gelangte ich an Minden heran. Hier führte mich der Rückweg vorbei an die Deutsche Märchenstraße in Richtung Petershagen. Durch Dankersen ging es auf die B 65 über Bückeburg, Luhden, nach Bad Eilsen.

Es war längst Nachmittag, als ich den R4 auf der Feldstraße parkte. Der Kurzurlaub auf Baltrum war beendet; die Schule begann am 12. 10. wieder.

Mit " Gitti " schrieb ich mich auch weiterhin. Ich erzählte ihr irgendwann, dass ich mittlerweile das Doppelalbum der " Allman Brothers Band " mit dem Titel " Eat A Peach " gekauft hätte. Nach anfänglicher Skepsis gefiel mir die besondere Musikrichtung der Truppe um Duane und Gregg Allman, Berry Oakley, Dickey Betts, Butch Trucks sowie Jay Johanny " Jaimoe " Johanson doch.  

Von der Ur - Besetzung leben nur noch Dickey Betts sowie " Jaimoe " Johanson. Die beiden Allman Brüder sind längst nicht mehr unter uns. Duane starb bereits 1971 im Alter von nur 24 Jahren. Sein Bruder Gregg, der viele Jahre lang drogenabhängig war, folgte ihm 2017 im Alter von 69.

https://de.wikipedia.org/wiki/The_Allman_Brothers_Band

Ich habe mich einst gefargt, was der " Gitti " an der unter " Southern Rock " einzuordnenden Musik der Mannen um die Gebrüder Allman so gefiel? Okay, Gitarrensoli konnten sie, auch der Schlagzeuger Butch Trucks, dessen Neffe Derek Trucks ebenfalls bei der " Allman Brothers Band " musizierte, konnte sein Handwerk. Aber sonst? Improvisierte Song - Adaptionen in epischen Längen ( Moutain Jam, Whipping Post, In Memory Of Elizabeth R., Stormy Monday Blues.. ).   

Die von mir erworbene DLP " Eat A Peach " gab mir keine Antwort darauf. Sie enthielt keine Fotos von der Band, sondern nur surrealistisch abgefasste Bildillustration von Pilzen und Heinzelmännchen, die in ihnen wohnen. Als ich mir das zweite Doppelalbum zulegte, das den Titel " Live At Fillmore East " trägt und dieses Mal eine Reihe von Fotos der Gruppe enthält, war mir immer noch nicht so ganz klar, was es mit der nahezu euphorischen Neigung der Brigitte K. zu dieser Band auf sich hatte.

Erst nach einem weiteren Besuch, den ich ihr zirka ein halbes Jahr später in Zürich abstattete, wurde mir so langsam klar, was ihr an der " Allman Brothers Band " so gefiel. Gregg Allman ähnelte im Aussehen einem Verflossenen, den sie noch in ihrer Bückeburger Zeit kennen gelernt hatte und der sie zuvor auch auf Baltrum besucht hatte. Doch der damals ebenso drogenabhängige junge Mann aus Bückeburg wollte sich partout nicht binden und wechselte die Partnerinnen wie Unterhemden. Sie muss sich just in dieser Zeit auf den jungen, sehr schlanken Mann mit Schulter langen Haaren und dem fahlen Gesicht schwer verliebt haben. Über seine eben nicht erwiderte Zuneigung kam die gute " Gitti " wohl nicht so richtig hinweg. Sie verfiel zusehends den Drogen und spritzte später Heroin.

Nach dem Zürich - Besuch herrschte zwischen uns über längere Zeit Funkstille. Ich hatte längst andere Interessen und fuhr regelmäßig zu diversen Musikkneipen, wo ich mich mit Freunden und Schulkollegen traf. Irgendwann im Spätherbst ´75 klingelte es an der Haustür und Brigitte K. stand vor mir. Sie fuhr mit einem ockergelben Mini - Cooper vor. Eine umgewandelte, englische Form zwischen Fiat 500, Autobianchi A 112 sowie Alfa Romeo Julia...  Eine Konservendose, in der ich als 1,86 Meter - Mann mit Schuhgröße 46 Platzangst bekam. Doch " Gitti " gefiel der Karren. Sie jagte mit mir in Richtung Münchehagen. Dort traf sie ihren Ex - Schwarm ( ob nun eher zufällig oder gezielt ), den sie mir auch gleich vorstellte. Okay, ich kannte ihn aus den Jahren meiner Lehrzeit bei Altenburg in Bückeburg vom Sehen. Er stolzierte häufiger in hippen Klamotten die dortige Schulstraße entlang. Er sah nun noch herunter gekommener aus. Die Drogensucht nagte an ihm, wie eine hungrige Maus an einem winzigen Stück Speck. 

Keine Konkurrenz, dachte ich mir.  Vielleicht war es auch das, was " Gitti " damit bezwecken wollte. Sie wollte ihn, der sie selbst verschmäht hatte, richtig vorführen. Wie dem auch immer war, der Besuch bei " Kanbach " verlief  für sie ohne illegalen Drogenkonsum. Sie trank nicht einmal Alkohol. Auf der Rückfahrt überlegte ich, wieso sie überhaupt vorbei gekommen war. Nun, im Ergebnis stand eine - von meiner Frau Mutter nicht gern gesehene Übernachtung - in meinem altersschwachen Klappbett. Es gab noch einen schwarzen Kaffee und eine Gauloises - Zigarette im Liegen. Das war´s dann schon.

Brigitte K. verabschiedete sich einige Tage später und fuhr zurück nach Köln, wo sie - angeblich - die Finanzen eines Inhabers einer " Drücker " - Firma verwaltete ( als Bankkauffrau hatte sie ja entsprechende Kenntnisse ). Wir schrieben uns längst nicht mehr. Ich hatte andere Pläne und wollte nach der FOS ein BWL - Studium beginnen. 

Dazwischen aber legte ich mir das zweite Doppelalbum der " Allman Brothers band " zu. Ein Zusammenschnitt des - inzwischen - legendären Auftritts in Bill Graham´s " Fillmore East " in Ne York. " Whipping Post "? Passte, irgendwie! Bei uns beiden? 

Ja, es waren andere Zeiten. Wir waren jung und naiv. Vielleicht hat Brigitte K. dann doch noch die Kurve gekriegt und ist von ihrer zeitweiligen Drogensucht abgekommen? Ich weiß es nicht. Ich habe sie seit jenen Spätherbsttagen im Jahr 1975 nie wieder gesehen.


      

Oder doch eher Hannes und " Rohr im Wind?










 



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30.09. - 12.10.

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