Vinegar, so sauer wie Essig

 Als die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts anbrachen hatte sich die Musikszene radikal gewandelt. Die Beat - Ära war längst vorbei. Aus dem anglo - amerikanischen Raum drangen nicht immer melodiöse Töne in die Ohren der interessierten Musikfreunde. Aber auch in Westdeutschland entwickelte sich ein experimentierfreudiges Genre, dass gesamt besehen als Progressiver Rock, kurz: Prog-Rock, bezeichnet werden darf. Hier wurde mit allerlei elektronischen Utensilien versucht, den typischen Klängen von E - Gitarre, E - Bass, Schlagzeug oder Orgel, sich manchmal eigenartig anhörende Töne unterzumischen. Dabei kamen auch weitere Musikinstrumente wie, Geige, Flöte, Trompete oder elektronisches Beiwerk, so das Mellotron, der Moog - Synthesizer zum Einsatz.

Zu den vielen Prog - Rock - Gruppen, die später unter dem Begriff Krautrock eingeordnet wurden, zählte die aus Köln stammende Band mit dem Namen  " Vinegar ". Sie existierte in der Zusammensetzung: 

Dagmar Dormagen (ab 1969)
Rolf Zwirner (ab 1969)
Gitarre
Jochen Biemann
Orgel, Gesang
Ralf Modrow (ab 1969)
Bass, Gesang
Bernhard Liesegang
Wolfgang Grahn

https://de.wikipedia.org/wiki/Vinegar_(Band)

nur zirka 3 Jahre. In diesem Zeitraum spielten " Vinegar " ein Album ein, dass dann als gleichnamige LP mit den Titeln:

 Missi solis/Sawmill - Teil I//Sawmill - Teil II/Der Kaiser auf der Erbse/Fleisch

in einer limitierten Stückzahl von nur 1.000 auf den Markt kam.

https://www.discogs.com/de/release/3202869-Vinegar-Vinegar?srsltid=AfmBOorWnb-ppCFRCNTi-gf_9Z9VFicl-NL9N2tmlNMwKibm6wyyYOTt

Dass diese LP überhaupt produziert werden konnte, war - wie es auf der Homepage ( HP ) der ehemaligen Band nachzulesen ist, ein purer Zufall. 

"  Am 11.10.1970 traten sie zusammen mit anderen Gruppen aus dem Kölner Raum beim “Pop-Festival im Action-Center” auf der Photokina Messe, Köln-Deutz, Halle 14 auf und kamen beim dortigen Wettbewerb auf den dritten Rang. Unter den Zuhörern war auch Günter Purrmann, Sohn des Verlagsinhabers Werner Purrmann aus Unterjesingen bei Tübingen. Der Verleger war so begeistert von ihnen, dass er sie zu Plattenaufnahmen einlud. Diese fanden am 9.1.1971 im Studio Rottenburg statt, unter Leitung von Kurt Schuh. Die fünf Stücke, die gemeinsam im Proberaum aus den Ideen der einzelnen Gruppenmitglieder entwickelt worden waren, wurden noch im gleichen Jahr als LP “vinegar” (Phono Verlag WP 710101 / Resco TST 76992) veröffentlicht, in einer Auflage von 1000 Stück, gefertigt vom Presswerk der Teldec Hamburg. Die Verlagsrechte lagen beim inzwischen verstorbenen Werner Purrmann. "

https://www.vinegar-music.de/vinegar-band-info.html

Wer sich die Mühe macht, um dort ein wenig weiter zu stöbern, erfährt nicht nur mehr über die Gruppe, die Biografien der einzelnen Musiker, aber auch zu den Bedingungen, in der jene Band die Lieder spielten. Eine Art Zeitreise in der die 70er noch einmal zurückzukehren scheinen.

Da ich selbst jene Dekade als für meine Persönlichkeit prägend einstufe, habe ich die HP mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen. Ja, es existierten vor mehr als einem halben Jahrhundert weder Handy, Smartphone, Tablet oder weitere Kommunikationsmittel. Das Telefonieren war zu Beginn der 1970er ein sehr kostspieliges Vergnügen und deshalb nur besser Betuchten vorbehalten. Der Fernsehapparat war so groß wie ein Kühlschrank von dem aus zunächst nur schwarz-weiß Bilder in die " gute Stube " flimmerten. Der PKW war für den Westdeutschen allerdings schon ein Fetisch, der nach den WiWu - Jahren sich zunehmend den Versuchen der eigenen Wohlstandsmehrung widmete und dieses durch Auslandsreisen zur Schau stellte.

Was macht also mehr als eine Hand voll mehr oder wenige verarmter bundesdeutscher Musiker in dieser Zeit? Sie improvisiert, experimentiert und produziert sperrige Klänge, die nicht in den von und durch Plattenbossen vorherrschenden Pop - Schlager - Markt passten, denn denen ging es um Profit, nicht um  nonkonforme Musik.

54 Jahre nach dem Erscheinen des einzigen " Vinegar " - Albums werden für dieses von Sammlern exorbitant hohe Preise aufgerufen. Hätten die Profitgeier von damals eine derartige Entwicklung voraussehen können, die LP - Auflage wäre verzehnfacht worden, der Großteil der Auflage unter Verschluss gehalten und erst heutzutage angeboten worden.

So aber muss ein Anhänger des Prog - Rocks eher darauf warten, dass die Stücke der Kölner Truppe vielleicht mal bei " Krautock World  ( KRW ) " über das Internetradio oder einem " YouTube " - Kanal in die gealterten Gehörgänge dringen.

So, wie diese hier:


Ja, sperrige Musik hatte bereits in jener " wilden " Zeit nach dem 68er - Aufbruch wenige Freunde. Sie wurde smit von den Mainstream - Rundfunkstationen nie gespielt und kam im miefig - piefigen Wohnzimmer - Fernsehsendungen ( selbst beim " Beat Club " ) nicht vor. Schade! Und so wurde ich erst über das " KRW " aus Berlin auf die Kölner Gruppe, deren Musiker sich längst anderweitig beschäftigen, sofern sie noch unter uns weilen.
 


VINEGAR  -  Fleisch  /  Der Kaiser auf der Erbse  -  1971


  

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