" Hoch die nationale Solidarität! " - Nur: Wie lange noch?



In dem bevölkerungsreichsten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen kracht es kräftig im Gebälk. Nicht wegen der gescheiterten Minderheitsregierung der Frau Hannelore Kraft, auch nicht wegen des Versuchs, des konturlosen Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Norbert Röttgen, den Wulff zu machen, und sich die Option einer Rückkehr in die Berliner Polit-Beletage, im Falle des Scheiterns als CDU-Spitzenkandidant bei der NRW-Wahl, offen zu lassen,nein, in den Niederungen der Kommunalpolitik bildet sich eine Volksfront wider der nationalen Solidarität.
  
Mehr als 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sehen die Oberbürgermeister der hoch verschuldeten Städte des Ruhrgebietes die Ziele der Einheit erreicht. Sie fordern deshalb ein Ende des Solidarpaktes Ost und die Umleitung des Geldes in den Westen.

Was für ein Solidarpakt? Was für Geld? Welche Umleitung denn?

Wenn der politisch Interessierte die Meldungen richtig interpretiert, dann ist einigen Herren der inzwischen namenlosen und glanzlosen Großstädten aus dem so genannten " Pütt ", die über mehr als 2 Dekaden erzwungene kommunale Ausgleichsabgabe, mit der der vom " Bimbes " - Kanzler propagierte " Aufbaus Ost " zum Zwecke der Schaffung " blühender Landschaften " und angeglichener Lebensverhältnisse, längst ein Dorn im Auge.
Folgerichtig formuliert der Oberbürgermeister der Stadt des alten und neuen Deutschen Fußballmeisters und DFB-Pokalsiergers und der Bierbraukunst, der Dortmunder Ulrich Sierau es so:  

,,Der Solidarpakt Ost ist ein perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat‘‘. Es sei nicht mehr zu vermitteln, dass die armen Städte des Ruhrgebietes sich hoch verschulden müssten, um ihren Anteil am Solidarpakt aufzubringen. ,,Der Osten ist mittlerweile so gut aufgestellt, dass die dort doch gar nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld. Und bei uns im Ruhrgebiet brennt der Baum.‘.

Hoho, starker Tobak aus dem Munde eines Westfalen. Da stellt sich dem Durchschnittsostdeutschen doch die Frage, ob der Gelb-Schwarze je in den Neuen Bundesländern war oder er seine erhellenden Erkenntnisse nicht nur durch die zurück gelegte Strecke des Fingers über der Landkarte erhalten hat.  

Aber auch der neugewählte Bundespräsident Joachim Gauck sekundiert Sierau bei seiner Forderung, wenn auch etwas moderater. Er hatte sich am Tag seiner Wahl dafür ausgesprochen, die Gelder für den Solidarausgleich stärker auf bedürftige Regionen in ganz Deutschland auszurichten. Es müsse hier mehr Fantasie entwickelt werden. Die Solidarität dürfe nicht nur richtungsmäßig und geografisch verortet werden. Verortet oder verordnet?  Tatsächlich hat die Große Koaliton im Jahre 2005 beschlossen, dass bis 2019 insgesamt 156 Milliarden Euro an Finanzhilfen durch den Bund, die Länder und Kommunen, unabhängig von deren Finanzsituation aufzubringen sind. Das sind natürlich Belastungen, die zusätzlich auf die Kommunen zukommen, ohne dass hier ein sichtbarer Gegenwert erkennbar wird. So regt denn der frisch gewählte Bundespräsident an: " Da wo wirklich eklatante Notstände sind, da muss etwas passieren.“
Leichter gesagt als getan.

Von den 400 Kommunen in NRW können nur 8 einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen. Der Rest ist verschuldet, zum Teil so hoch, dass der finanzielle Kollaps droht. Hierzu zählen:

Die Stadt Essen ist mit 2,1 Milliarden Euro verschuldet, ein Drittel davon wurde durch die Beiträge für den Solidarpakt verursacht.
Duisburg musste in den vergangenen Jahren Kredite im Wert von einer halben Milliarde Euro aufnehmen, um die Finanzhilfen für den Osten zu bezahlen.
In Oberhausen, der am höchsten verschuldeten Stadt Deutschlands, sind es 270 Millionen Euro.

Soweit, so schlecht.

Aufgrund der prekären Finanzlage äußern sich denn auch einige Stadtoberhäupter so:

,,Es muss Schluss sein mit der Verteilung nach Himmelsrichtung‘‘, sagte Oberhausens Oberbürgermeister Klaus Wehling.
,,Der Solidaritätspakt ist nicht mehr zeitgemäß. Künftig muss die finanzielle Situation als Kriterium für die Hilfe entscheidend sein‘‘, sagte Essens OB Reinhard Paß (SPD).

Frank Baranowski, Oberbürgermeister von Gelsenkirchen und Chef der Ruhr-SPD, fordert von der neuen Landesregierung eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Solidarpaktes. ,,Wir können nicht bis 2019 warten.‘‘

Folgt dem vor einigen Jahren viel geschmähten " Jammer - Ossi " nun der " Jammer - Wessi "?

Kritisch stellt denn der Gelsenkirchener OB fest, dass das Ziel des Paktes die Angleichung der Infrastruktur des Ostens an das Niveau in Westdeutschland gewesen sei und behauptet dann schlankweg:  ,,Das ist viel schneller erreicht worden, als wir uns das vorgestellt haben‘.
Er forderte deshalb, dass es an der Zeit sei, sich auf die Problemregionen im Westen zu konzentrieren.
Baranowski konstatiert dann: ,,Die Not ist hier viel größer. Das Ruhrgebiet braucht mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung.‘‘
Dabei kritisiert er, dass Diskussionen über die Zukunft des Solidarpaktes zuletzt immer schon im Keim erstickt worden seien.
,,Da wurde immer die Solidaritätskeule rausgeholt. Wer den Soli kritisierte, wurde als Feind der Einheit dargestellt.‘‘ Der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen erhofft sich nun eine sachlichere Diskussion, alle wissenschaftlichen Gutachten der vergangenen Jahre seien zu dem Schluss gekommen, dass die Förderung einzelner Regionen in Deutschland an der Bedürftigkeit ausgerichtet werden müsse. ,,Diejenigen, die den Soli erhalten wollen, müssen sagen, wo sie uns an anderer Stelle entlasten wollen. Sonst sparen wir uns noch kaputt‘‘, sagte Baranowski.

So wird denn - im Zuge des NRW-Wahlkampfes - ordentlich auf die Tränendrüse gedrückt. Das verarmte Ruhrgebiet und der reiche Osten?
So einfach sind die realen Zustände jedoch nicht zu sehen.
Das Land Nordrhein-Westfalen gehörte einst zu den sprudelnden Steuerquellen der BRD. Dann kam die Kohle - und Stahlkrise, die infrakstrukturelle Verwerfungen mit sich brachte. Die einstigen Schlüsselindustrien wurden abgebaut, weil die ausländische Konkurrenz günstiger produziert. Statt dem Mangel an Arbeitsplätzen durch die Ansiedlung von alternativen Wirtschaftszweigen  zu entgegnen, wurde dieser Zustand nur verwaltet.
Statt Haushaltspolitik nach Augenmaß zu betreiben, wurde von vielen Kommunen eine Verschuldungsorgie gefeiert. So wurden Projekte aus dem Boden gestampft, deren reeller Nutzen begrenzt ist.
Ob nun teure Prestigebauten, wie Opern, Theater und Museen oder aber auch Fußballstadien, die Liste der Sündenfälle lässt sich beliebig lange fort führen.

Schulden machen auf hohem Niveau?

Während seit den 80er Jahren Industriearbeitsplätze unersetzt weg brachen, wurde weiter gewirtschaftet wie bisher. Die jetzigen Schuldenberge stammen nicht aus den Jahren 1990 ff oder gar 2005 ff, sondern resultieren aus den Zeiten davor. Wenn - wie selbst gesehen - Zechenhäuser en bloc vergammeln, weil sich kein Investor findet, dann sollten sie abgerissen werden, statt daran herum zu sanieren. Wenn andere Privathäuser leer stehen, weil sich kein Mieter findet und die Eigentümer kein Geld haben, die herunter gekommenen Objekte zu unterhalten, dann ist das kein spezifisch Problem des Ruhrgebiets, sondern ein überall sichtbares Phänomen. Es gibt Regionen, die sukzessive ausbluten, weil die dort lebenden Menschen versterben und die nächsten Generationen weg gezogen sind. Meistens drehen die Jüngeren diesen Regionen den Rücken, weil es dort keine oder kaum Arbeitsplätze gibt.

Diese Entwicklung nehmen auch viele Großstädte in Nordrhein-Westfalen. Wenn nun einige der Stadtoberen behaupten, dass die  finanzielle Situation derart prekär sei, dass Zahlungen in den Solidarpakt II nur über die Aufnahme neuer Schulden, also Bankkredite, möglich sei, ist dieses nur die halbe Wahrheit, denn:


bis einschließlich 2019 wird die im Solidarpakt II vorgesehene Förderung sichergestellt. Das Gesamtvolumen beträgt 156,5 Milliarden Euro, die der Bund den neuen Bundesländern zur Verfügung stellt. Diese Summe wird in zwei so genannte Körbe unterteilt:
  • Korb I umfasst die gesetzlich fixierten Bundesergänzungszuweisungen, die im Rahmen des Länderfinanzausgleichs gewährt werden. Sie sind dafür gedacht, die Infrastrukturlücke zu schließen und die unterproportionale kommunale Finanzkraft auszugleichen; formal werden sie allerdings als ungebundene Zuweisungen gewährt. Dies sind bis einschließlich 2019 insgesamt 105,3 Mrd. €.

  •  Korb II umfasst sonstige Zuwendungen des Bundes, von denen die neuen mehr als die alten Länder erhalten. Dies sollen bis 2019 insgesamt 51,1 Mrd. € sein. Über die Frage, welche Maßnahmen des Bundes Bestandteil des Korb II sein sollen, haben sich Bund und Länder 2006 geeinigt.  Die Umsetzung erfolgt durch erhöhte Mittelansätze im jeweiligen Haushaltsgesetz  und unterliegt damit der Budgethoheit des Parlaments.
 .
Die genaue Aufschlüsselung der in Korb I enthaltenen Mittel ist in § 11 Abs. 3 des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern geregelt:

http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/finausglg_2005/gesamt.pdf

Daneben gibt es den Länderfinanzausgleich ( LFA ) und den Kommunalen Finanzausgleich ( KFA ). Letzterer ist so zu verstehen:

Die Beschaffung ihrer Deckungsmittel ist zunächst eigenverantwortliche Aufgabe der Gemeinden und Gemeindeverbände. Tatsächlich sind die eigenen originären Einnahmemöglichkeiten der Kommunen jedoch sowohl der Art als auch der Höhe nach begrenzt. Um eine ausreichende Ausstattung mit Finanzmitteln sicherzustellen, verpflichtet das Grundgesetz in Art. 106 Abs. 7 die Länder, für eine ausreichende Finanzausstattung der Aufgabenträger Gemeinden und Gemeindeverbände zu sorgen.

Art. 106 Abs. 7 Grundgesetz
„Von dem Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern fließt den Gemeinden und Gemeindeverbänden insgesamt ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Hundertsatz zu. Im übrigen bestimmt die Landesgesetzgebung, ob und inwieweit das Aufkommen der Landessteuern den Gemeinden (Gemeindeverbände) zufließt.“

Das Land gewährleistet gemäß Art. 79 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit.

Art. 79 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen
„Die Gemeinden haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben das Recht auf Erschließung eigener Steuereinnahmen. Das Land ist verpflichtet, diesem Anspruch bei der Gesetzgebung Rechnung zu tragen und im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einen übergemeindlichen Finanzausgleich zu gewähren.“

Und hier liegt der Hase eigentlich im Pfeffer. Weil das Bundesland Nordrhein- Westfalen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs kein Nehmer - sonder Geberland ist, steht fest, dass die Wirtschaftskraft eben ausreicht, um quasi auf eigenen Füßen stehen zu können; im Gegenteil: NRW muss in den Ausgleichstopf einzahlen. Daraus wird jedoch auch deutlich, dass das Bundesland selbst  durchaus in der Lage ist, den klammen Städten und  Kommunen selbst Ausgleichszahlungen zur Deckung des Finanzbedarfs zu gewähren.

Das Gejammere und die plakativen Beispiele von angeblich verarmten Städten und Kommunen in NRW und angeblich reichen Städten und Kommunen in Sachsen, Sachsen - Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg - Vorpommern ist Wahlkampfgetöse. Es gibt sie so nicht. Was hier zu sehen ist, sind zwar zum einen Bruchbuden, Häuserruinen und Industriebrachen aus den letzten 5 Dekaden, die gibt es jedoch überall.
Dort nämlich, wo der Strukturwandel vollzogen wurde und dazu geführt hat, dass die Hinterlassenschaften dieser Veränderungen nicht beseitigt wurden.

So können sich die Herren Baranowski, Paß, Sierau und Wehling gerne über eine Rundreise durch die Neuen Bundesländer von Demmin über Neustrehlitz und Trebendorf bis hin nach Hildburghausen davon überzeugen, dass es dort keine vergoldeten Laternenmasten gibt, keine gut ausgebauten Straßen mit Radwegen und exklusiven Begrünungsstreifen durchgängig existieren und die kommunalen Einrichtungen nicht mit Mamortreppen ausgestattet sind. Im Gegenteil: Viele Gehsteige, selbst in den Zentren sind katastrophal, die Schulen zum Teil eine Zumutung und im übrigen wird hier im Schnitt um 12, 5 % weniger Lohn und Gehalt im Öffentlichen Dienst gezahlt; von den Entgeltzahlungen in der übrigen Wirtschaft mal ganz zu schweigen.

Es lebe die Solidarität, auch wenn sie wieder einmal falsch verstanden wird!

Übrigens: Fällige Grundsteuerzahlungen werden hier auch nicht gestundet, weil ein Fußballbundesligaverein wie der FC Schalke 04, diese im unteren sechsstellgen Bereich nicht zahlen kann. So weit kommt es noch!
  
...
Ruhrgebiet wehrt sich gegen Solidarpakt: OBs im Pott wollen nicht mehr für Osten zahlen - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/deutschland/oberbuergermeister-fordern-ende-der-milliarden-hilfen-das-ruhrgebiet-will-solidaritaetspakt-aufkuendigen_aid_725825.html

Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Obwohl dieses Thema jeglichen Kommentares entbehrt: diese Diskussionen nerven!

Üble Meinungsmache, unreflektierte Medienberichte und so weiter. Bäh!
Lobster53 hat gesagt…
Joh, Octa, alle Jahre wieder. Immer wieder die gleiche Leier von so genannten Experten, die bei uns nie ein Fuß an das Elbufer gesetzt haben. So lässt sich auch Stimmung machen und von der eigenen Unfähigkeit ablenken.

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