Was macht eigentlich Jens Ammoser?


 Es ist der 18. Mai 2004.Ein Dienstag. Im Mannheimer Kongresszentrum Rosengarten haben sich 200 neue Parteimitglieder der SPD aus Baden-Württemberg versammelt, um auf den amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder zu warten.
Die SPD hat ein aktuelles Problem. Die " AGENDA 2010 ". Der von Gerhard Schröder veranlasste " Umbau " des " Sozialstaats " kommt nicht nur in der Bevölkerung nicht gut an. Auch die Parteibasis diskutiert kontrovers über diese " sozialen " Reformen.
Da holt sich der Gerhard von allen Seiten eine ordentliche Tracht Prügel ab.

Was ist in diesen schweren, den dunklen Zeiten seiner inzwischen 6jährigen Kanzlerschaft also aufbauender, als vor den eigenen Parteimitglieder, den Genossen, verkünden zu dürfen, dass es mit der SPD bergauf geht?
Gerhard erscheint und setzt einige salbungsvolle Worte zu den Anwesenden ab. Ein Mikrophon wird herum gereicht. Jeder der " neuen " Genossen darf sich mit einigen Worten an den " Star " der Sozialdemokraten wenden.; darf Fragen stellen und zu den eigenen Beweggründen eines Parteieintritts in diesen unangenehmen Zeiten sich kurz erklären.

Unter den Neumitglieder befindet sich auch Jens Ammoser. Er ist in die Partei am 18. 02. 2004 eingetreten. Nicht, weil er das Programm so fortschrittlich sieht. Auch nicht, weil er die " Alte Tante " SPD aus historischen Gründen als die einzig wahre Vertreterin von Arbeitnehmerinteressen ansieht. Nein, Ammoser möchte das selbst gesteckte Ziel umsetzen, den derzeitigen Bundeskanzler Gerhard Schröder wieder aus dem Amt zu hebeln. Die Frage ist nur: " Wie " ?

Wer ist nun jener Jens Ammoser?

Jens Günter Ammoser wurde 1951 in Berlin, im alten Westbezirk Tiergarten geboren. Er legte dort das Abitur ab und studierte anschließend an der FU Deutsch, Geschichte und Mathematik in der Sekundarstufe II. Er erhielt danach eine Refendariatsstelle und beendete die pädagogische Ausbildung 1983. Ausgerechnet in den frühen 80er Jahren beendet Ammoser seine Ausbildung. Die Zeiten für Arbeitssuchende sind schlecht. Die Kohl-Regierung ist seit einem Jahr im Amt. Der dicke Oggersheimer steht für die " geistig-moralische" Erneuerung in der BRD. Es wird in den öffentlich rechtlichen TV-Anstalten von ARD und ZDF nach Sendeschluss die Nationalhymne abgedudelt. Der Patriotismus ist wieder auf dem Vormarsch. Konservative haben wieder das Sagen in Westdeutschland.Die Arbeitslosenzahl ist innerhalb von 3 Jahren von mehr als 888.000 auf mehr als 2.252.000 gestiegen. Ganze Schlüsselindustrien, wie die Kohle  - und Stahlproduktion, der Schiffbau und die Konsumgüterherstellung stehen in der Krise.

Keine gute Zeiten für Lehramtsaspiranten. Schon gar nicht aus West-Berlin und der " roten " FU. Jetzt, wo die Parteispenden nur noch an den Dicken und seine schwarze Bagage fließen. Was es heisst, als gut ausgebildeter Akademiker in der "Bimbes"-Republik nicht gebraucht zu werden, muss Jens Ammoser in den folgenden Jahren erfahren. Wechselnde Stellen, diverse Umschulungen und befristete - oder Aushilfstätigkeiten treiben Ammoser durch die Kohl-Republik; von Wohnort zu Wohnort. Das Leben in Rastlosigkeit. Die Hoffnung habend, doch dann das große Los zu ziehen. Sich beruflich etablieren zu können.

Dieser Wunsch geht nicht in Erfüllung. Statdessen ist Ammoser in Berlin in Kindergärten, gibt Nachhilfe, dann betreut er in St. Peter-Ording Mütter, deren Kinder in einer Allergieklinik liegen - Muschelkunde, Vorträge über Ebbe und Flut, für solche - meist berufsfremde - Sachen angestellt. Es folgt die Umschulung zum Betriebsinformatiker, an deren Ende es wieder ein Zertifikat, aber keine Stelle gibt
Zurück nach Berlin, dort schult er nach der Wende DDR-Verwaltungskräfte um, die aber nachher auch keine Arbeit haben, so wie er. Wieder zurück in den Westen, nach Freiburg, dann nach Lörrach, immer neue Jobs, die ihn nicht weiterbringen. Er hat es wirklich versucht, aber 1995 gibt er auf. Seitdem ist er arbeitslos.
 ist ein als Gymnasiallehrer und Industriekaufmann ausgebildeter Arbeitsloser aus St. Ulrich-Geiersnest, der Ort, der zur Hochschwarzwaldgemeinde Bollschweil gehört.

Existenz am Rande der Zivilisation. In einer Region, in der bis zur Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts noch dem " Hexenglauben " gefrönt wurde. Die Bevölkerung ist hier eher traditionell eingestellt. Trotz der Universitätsstadt Freiburg im Breisgau, den "GRÜNEN" und vielen Freien Bürgerzusammschlüssen. Die " Freisinnigen ", die " Bundschuh "-Bewegung und die grassierende Armut der Winzer, Bauern und kleinen Handwerker aus den letzten 500 Jahren haben das gesellschaftliche Selbstverständnis mit geprägt. Die Obrigkeit wird zwar abgelehnt, bis vor einigen Jahrzehnten aber auch stramm CDU gewählt. Der interessierte Tourist wird nebst seinem Geld gern gesehen, das Fremde, das Unbekannte und das Norddeutsche allerdings verfemdet. Mit dem " Le Waldsterben ", der Atompolitik unter Schmidt und Kohl erfolgte ein Umdenken. Natur war wieder in. Aber, bitte schön, nur in der regionalen Variante.

Der Ort heisst Geiersnest. Deshalb, weil es hier einst Geier gab.Gänsegeier nämlich. Sie wurden mit zunehmender Zivilsiation ihrer Lebensräume beraubt und siedelten woanders an. Dafür kamen Fremde hier her. Einer von ihnen ist Jens Ammoser. Und der galt für kurze Zeit als der bekannteste Bewohner des Ortsteils. Bekannt deshalb, weile er an jenem 10. 05. 2004 still unter den anwesenden SPD-Mitglieder verharrte, bis er Gelegenheit erhielt, dem noch sitzenden Bundeskanzler Gerhard Schröder eine schallende Ohrfeige zu versetzen.

Was hätte er sonst tun können, um auf sich aufmerksam zu machen? Eine flammende Rede halten, in der er seine Absicht kund tut, in die SPD nur deshalb eingetreten zu sein, um Schröder vom Hof zu jagen? Er wäre nie in die Partei aufgenommen worden. Er hätte auch am 18. 05. 2004 keine Gelegenheit erhalten, dieses auszusprechen, denn ihm wäre das Mikrophon entrissen worden. Also geht Ammoser ruhig nach vorne, stellt sich seitwärts zu dem Kanzler und holt aus.
.Seitdem ist Jens Ammoser für alle der Mann, der dem Kanzler eine Ohrfeige verpasst hat. Die Medienmeute drängt sich nach ihm. Interviewanfragen häufen sich, er bekommt Post aus allen Ecken des Landes. Einige beglückwünschen ihn zu der Tat, denn eine solche ist es nun einmal. Andere beschimpfen ihn wegen der Kanzler-Ohrfeige als " krank ", " geisteskrank " und " abnorm ". Ammoser

Ammoser erhält eine polizeiliche Vorladung zur Vernehmung als Beschuldigter. Danach erst schwieg er bei der Mannheimer Polizei. Ammoser erklärt sich öffentlich, und zu hören ist die zornige Rede eines Widerspenstigen, der glaubt, vermeintliche Ungerechtigkeiten notfalls auch mit einer Ohrfeige bekämpfen zu dürfen. "Mir ist egal, was jetzt mit mir passiert; ich bin stolz darauf, was ich getan habe", sagt er.
Wer in Ammosers Gedankenwelt vordringen will, muss sich auf Denkeskapaden schon einlassen, etwa auf den Satz: "Meine Tat ist unanständig, basta, aber nicht ungerecht.". Basta! So, wie es Schröder einst zu sagen pflegte, wenn ihm Dinge gegen den Strich gingen. " Der Basta-Kanzler " titelte die " BLÖD "-Zeitung. Der " Genosse der Bosse " phrasierten nicht nur parteiinterne Kritiker. Der " Medien-Kanzler " hieß es bei der Nachrichtenindustrie.

Schröder der Schauspieler?
Ammoser der Rächer, der Robin Hood der Entrechteten und Armen?

Das Nest, aus dem Ammoser kommt, heißt auch so: Geiersnest, eine Bauerschaft bei St. Ulrich südlich von Freiburg. Eine Schwarzwaldstraße schlängelt sich den Berg hoch; ein paar Häuser rechts und links, Schilder, die vor herumlaufenden Kühen warnen, und kurz bevor die Straße endet, der Trudperthof: elf Ferienwohnungen, die in Anzeigenblättern mit dem Slogan "Oase der Ruhe" angepriesen werden.
Hier wohnt Ammoser, der arbeitsloser Gymnasiallehrer, immer noch.

Wer diese landschaftlich reizvolle Umgebung je gesehen hat, der vermag vielleicht zu erkenne, warum es einen vom Leben gebeutelten, einen Frustrierten her zieht. Hier lebt es sich in Ruhe.Bis zum 01.01.2005 von der Arbeitslosenhilfe.Diese Leistung erhielt ein arbeitsloser Arbeitnehmer, der zuvor Arbeitslosengeld nach dem damaligen Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes erhielt. Damit sollte am 31.12. 2004, 24.00 Uhr vorbei sein. HARTZ IV, benannt nach dem Vorsitzenden der von Schröder einberufenen Reformkommission, Dr. Peter Hartz, den der Kanzler noch aus seiner Zeit als Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen kennt, war zuvor VW-Aufsichtsratsvorsitzender. Den Wulff´schen Klüngel gab es auch bei Schröder.

Ammoser traf diese Umstellung auch. Statt der individuellen Arbeitslosenhilfe, die in vielen Fällen höher war als der Hartz IV-Regelsatz, der sich an das BSHG anlehnte, bekamm er nur noch eben diesen Einheitsbetrag. Ein weiterer sozialer Absteig auf der Leiter in den sozialen Abgrund.
Ein weiterer Grund zur Verbitterung für Jens Ammoser?

Einst musste er von diesem ruhigen Flecken einen besonders weiten Weg zurücklegen, um seine Absicht, dem Bundeskanzler ins Gesicht zu hauen, umsetzen zu können. Ammoser, der seinen alten Mazda 626 damals abgeschafft hat, seinen Aktionsradius auf Wanderziele beschränkt oder gleich zu Hause bleibt, vor dem Philips-Fernseher, um Bescheid zu wissen über die Lage der Nation. Wer gerade was beschlossen hat und vor allem wer Schuld hat an der Arbeitslosigkeit und den Ungerechtigkeiten in Deutschland.

"Der Herr Ammoser war immer äußerst gut informiert, wenn auch vielleicht zu entschieden in seinen Ansichten", sagt ein ehemaliger Nachbar. Und seine Hausverwalterin Maria Lais erzählt, dass er kürzlich wieder einmal besonders sauer war, als es in der Bundesregierung, Gerhard Schröders Bundesregierung, um die Rente ging.
Ammosers Weg von seinem einsamen Ausguck hinunter ins Zentrum der Macht begann im Januar. Da forderte er beim SPD-Kreisverband Freiburg Informationsmaterial an. Der Kreisverband gab dem zuständigen Ortsverein Ehrenkirchen-Bollschweil einen Hinweis, und die dortige Vorsitzende Anja Laubner schickte Ammoser eine Einladung zur Jahreshauptversammlung im Gasthaus "Löwen". Ammoser kam, Ammoser fühlte sich wohl: "Da waren ja auch viele Lehrer, typisch SPD eben." Ammoser trat in die Partei ein. "

( Zitatende )

"Und das ist ja eigentlich die beste Variante, neue Mitglieder zu gewinnen", sagt Laubner. Nur kann sie noch nicht fassen, dass diese beste aller Varianten damit endete, dass der Genosse Jens, Mitgliedsnummer 70112965, dem Kanzler "volle Kanne eine gescheuert hat", wie ein Augenzeuge das formulierte.
Als widerspenstig aufgefallen war er vorher nämlich nicht, im Gegenteil. Die Partei brauchte für die Kreistagswahl im Juni Zählkandidaten für die aussichtslosen Listenplätze - Ammoser ließ sich im Wahlkreis Ehrenkirchen/Merzhausen bereitwillig auf Listenplatz 7 aufstellen."

( Zitatende )

Hier erzielte er mit beinahe 300 von 800 Stimmen in dem Wahlkreis das beste SPD-Ergebnis.

" Ein Querulant? Einer, der, kaum da, alles besser wissen will? Keine Spur davon. Ammoser war der gleiche freundliche Kerl, der auch auf dem Trudperthof für seine Nachbarn die Gemeinschaftsmülltonne abrechnete oder ihnen selbst gebackene Weihnachtsplätzchen vor die Tür stellte. Still und hilfsbereit einerseits. Dass er auch eine andere Seite hatte, ahnte kaum einer, weil ihn selbst in Geiersnest kaum einer
kennt - obwohl er schon seit vier Jahren dort wohnt.
Tatsächlich wollte er in der SPD keineswegs der stille Mitläufer sein, für den ihn alle hielten: "Ich wollte in die Partei, um gegen Schröder zu kandidieren, weil ich Schröder für den miesesten, erfolglosesten und ahnungslosesten Kanzler halte, den wir je hatten", sagt er. "

( Zitatende )

 Und der Antrieb,das war sein Zorn über jene immer größer werdenden Ungerechtigkeiten in diesem, unserem Lande.
Getroffen hat die Wut des Jens Ammoser nicht Kohl, der schon früh mit rohen Eiern geworfen wurde, als er auf einer seiner Lügenveranstaltungen in den Neuen Bundesländern unterwegs war, sondern Gerhard Schröder. Sein Widersacher aus der SPD.

Ammoser ein politischer Wirrkopf in einer Zeit der aalglaten Persönlichkeiten, die Sprechblasen produzieren, sobald sich ein Mikrophon öffnet und dämlich grinsen, sich die Hände schütteln, wenn die Kameras laufen und auf sie gerichtete sind und die im gelckten Outfit in die Objektive der Fotografen schauen, wenn ein Besuch in der Provinz oder sonstwo ansteht?

Gegenüber dem " SPIEGEL " behauptet Ammoser weiter:

"Ich hoffe, die Gesellschaft hat ein schlechtes Gewissen", sagt Ammoser, "erst heißt es: Mach Abi, Studium, Umschulungen, und hinterher heißt es, dass jetzt gerade keine Stelle da sei." Deshalb hat er die "Schnauze voll" und geht stattdessen wandern.... "

Gegen Bundesknazler Schröder baut Ammoser eine Aversion auf:

" Er merkt sich fast jedes Wort von Schröder, und dann erwartet er, dass der sich daran hält: "Das ist die große historische Schuld von Gerhard Schröder, dass er mit Versprechungen ins Amt gekommen ist, aber sie nicht gehalten hat. Das ist eine ganz fürchterliche Geschichte, man setzt Hoffnungen in etwas, und sie werden nicht erfüllt. Wo das endet, sieht man zum Beispiel beim Sozialabbau."
Deshalb hat er dann sein "Projekt SPD" gestartet. "Um den Kanzler zu kippen, nicht, um ihm eine zu scheuern", sagt Ammoser, aber er hat dann doch den einfacheren Weg genommen.
Eine Woche vor dem Empfang kam die Einladung. So nahe würde er vielleicht nie wieder an Schröder herankommen, das war ihm klar. Ammoser zog seinen dunkelblau karierten Anzug an, dazu das hellblaue Hemd, die Krawatte, Marke Expert, 100 Prozent Polyester."

Dann schildert Ammoser die Sekunden nach der " Kanzler-Ohrfeige ":

"Die Ohrfeige war optimal", sagt er jetzt, nicht mal seine Hand hat geschmerzt, aber laut war die Ohrfeige, und Schröder blieb unverletzt - "optimal" eben. Schröder zeigte nur keine Reaktion, das enttäuscht Ammoser ein bisschen. "Ich hätte gerne den Kanzler erschüttert, aber der hat natürlich geschauspielert." Dann vergeht eine Sekunde, ohne dass etwas passiert, Ammoser denkt: "Soll ich jetzt gehen?" Aber schließlich greift doch ein Bodyguard nach seinem Arm. "

( Zitate aus " Der SPIEGEL ", 22 / 2004, S.26 ff. )

Jens Ammoser war sich darüber im Klaren, dass das Kanzleramt Strafanzeige erstatten wird, seine Parteimitgliedschaft wird widerrufen werden, und "wenn der Rummel vorbei ist, wird sich seine jetzige Lebenssituation durch diese Aktion erneut dramatisch verschlechtern.

 Der zuständige Staatsanwalt Hans-Heiko Klein hat bereits am vergangenen Mittwochnachmittag die Anklage und den Antrag auf ein beschleunigtes Verfahren beim Amtsgericht Mannheim eingereicht. Voraussetzung für ein Schnellverfahren ist eine einfache Beweislage. So sieht es §§ 417 ff Strafprozessordnung vor.
Der Anklagevorwurf lautet auf Beleidigung und Körperverletzung. Dafür droht im beschleunigten Verfahren Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.



Mannheim im August 2004:

Gleich zu Beginn des Prozesses vor dem Amtsgericht Mannheim machte der Angeklagte Jens Günther Ammoser klar, dass er den Saal 121 zu einer Demonstration nutzen wollte. Ammoser will reden über das Elend des Landes, und deshalb ist er im Grunde eigentlich eine ziemlich tragische Figur.
Weil er wirklich glaubt, er könne die Welt verändern, zumindest die Republik. Mit einer Ohrfeige? Gegen einen Bundeskanzler, der zwar viele Fehler gemacht hat und sie auch danach noch machen wird. Der den russischen Staatspräsidenten Putin eine " lupenreinen Demokraten " nennt? Wahrscheinlich glaubt er daran, weil er sie anders ja auch nicht verändern könnte. Das hatte die Mitglieder der RAF mehr als 3 Jahrzehnte zuvor auch geglaubt.

Entschlossen trat er ein und stellte sich dem Blitzlichtgewitter.

Nur was er demonstrieren wollte, das blieb unklar: Noch bevor er sich setzte, platzierte Ammoser erst einmal ein rotes Stoffteufelchen auf seinem Angeklagtentisch. Aus einem großen, grauen Reisekoffer zog er dann in bunte Folien verpackte Akten. Und an die versammelten Journalisten verteilte er selbst gemachte Pressemappen, in die er unter anderem Werbebroschüren seiner Heimatgemeinde Bollschweil und eine Seite mit Kanzlerwitzen gepackt hatte. Diese Auftritt war eine Farce. Eine hilflose Selbstdarstellung eines noch hilfloser wirkenden Angeklagten.

Denn Ammoser, das wurde schnell klar, ist eine gescheiterte Figur. Jemand, der die Gründe für seine Misserfolge in Lebensführung und Arbeitssuche nur bei den anderen sucht - und sich selbst dabei maßlos überschätzt. Gleich auf die erste Frage des Richters zum Tathergang antwortet der 52-Jährige im Pluralis Majestatis: "Wir haben uns aus einer Not heraus gewehrt. Wir wurden ja jahrelang gequält und misshandelt. Wir haben darum am 18. 5. zurückgeohrfeigt.

"Wir?

Ich nicht. Ich habe dem Jens damals einen 4 seitigen Brief geschrieben und ihn an die Anschrift Geiersnest " Trudperthof " gesandt. Seine Reaktion kam per Mail. Immerhin. Er hat sich mittels wirrer Ausführungen über seine Absichten davor und danach ausgelassen. Er sprach von einer Mitarbeit bei " Attac ". Okay, die Ziele der Organisation sind klar: Gegen den globalisierten Kapitalismus gerichtet. Sie hätten auch aus dem Godesberger Programm der SPD entnommen werden können. Damals, als die Troika, die großen Drei, als Brandt, Wehner und Schmidt noch das Zepter schwangen.
Diese Zeiten waren am 18. 05. 2005 längst vorbei.

Zurück zum " Ammoser " - Strafvprozess: 



Nach den Gründen für die Tat befragt, beginnt er seine Lebensgeschichte ab seiner Geburt zu erzählen. Er zeichnet seine Geschichte als eine Folge gebrochener Versprechen: Arbeits - und Perspektivlosigkeit eines 52jährigen, der von der drohenden " HARTZ "-Reform noch weiter in den Abwärtsstrudel gezogen wird. Als der besonnene und geduldige Richter Wolfgang Winkler ihn einmal auffordert, etwas abzukürzen, schließlich könne ihm vermutlich auch niemand aus dem Publikum einen Job besorgen, kontert Ammoser schlagfertig: "Wissen Sie eigentlich, dass ich als Arbeitsloser verpflichtet bin, ununterbrochen nach Arbeit zu suchen?"
Zumeist aber wirkt der arbeitslose Lehrer verwirrt - wie jemand, dem die Maßstäbe durcheinander geraten sind, wie ein moderner, leicht paranoider Woyczek oder Franz Biberkopf. "Der Kanzler steckt seine Nase in mein Bett", raunt er mehrmals. Er meint damit: Das Arbeitsamt will wissen, wo er seine Nächte verbringt.
Da ist nicht abwegig. Der soziale Schnüffelstaat befragt auch weiterhin über die " HARTZ "- Gesetze die Millionen Tranfsfersbezieher.
" Fördern und Fordern ", so lautete der Grundtenor der Schröder´schen Sozialagenda, die in Wahrheit eine Flickschusterei an den Symptomen des Kapitalismus im 3. Jahrtausend ist.

Jens Ammoser  sieht sich selbst als Märtyrer und ist sich nicht zu schade - vielleicht auch nicht realistisch genug -, das in seiner Verteidigung am Ende noch auszubauen: Auf der Grundlage von Artikel 20 des Grundgesetzes fordert er seinen Freispruch. Er habe nämlich von seinem Recht auf Widerstand Gebrauch gemacht - schließlich gäbe es genügend Belege dafür, dass Bundeskanzler Schröder den Sozialstaat aufgeben wolle (Agenda 2010) und das Völkerrecht breche (Kosovokrieg).
Eine interessante Interpretation des " Sozialstaatsartikels ", die zwar dogmatisch nichts miteinander zu tun hat; allerdings in der Tat die Frage aufwirft, warum sich die Bundeswehr an einem Krieg im Kosovo beteiligt hat, statt die vielen Millionen Euro in das eigene Sozialsystem zu stecken?

"Sie sind nicht der Robin Hood aus dem Schwarzwald", kommentiert das der Staatsanwalt.
"Schlicht und ergreifend abstrus", kommentiert Richter Winkler diese Rechtsauslegung.

Nein, liebe Kollegen. So einfach ist der Fall Ammoser nicht. Strafrechtlich betrachtet vielleicht, denn am Ende verurteilt RiAG Winkler Jens Ammoser zu vier Monaten Gefängnis auf Bewährung und 100 Stunden unentgeltlicher Arbeit. Winkler blieb damit zwei Monate und 50 Stunden unter dem von Staatsanwalt Heiko Klein geforderten Strafmaß.
Von der Persönlichkeitsstruktur aus betrachtet sind doch viele wie Ammoser. Ist nicht in jedem von den " HARTZ " - Gesetzen ab 2005 ein kleiner Teil Ammoser enthalten gewesen?

Zu einem "Wirrkopf" sei Ammoser wohl im Laufe der Zeit geworden, konstatiert der Richter bei der Urteilsverkündung. Und in der Tat, wenn es wohl auch nicht krankhaft ist - was an absurden Gedanken in Ammosers Kopf kreist, ist schrillend hysterisch. "Wir kommen aus verschiedenen Welten", wirft er dem Richter einmal an den Kopf, "aber der Ammoser, der Ammoser weiß, wie es ganz unten in diesem Land aussieht."
Ammoser nämlich ist überzeugt, dass er nur der erste der Millionen Vernachlässigten und Bedrängten ist, der sich in dieser Weise zur Wehr zu setzen versucht hat. "Ich fürchte", prophezeit Ammoser düster, "die Politik wird im nächsten Jahr für Tote sorgen". Bei solchen unheimlichen Sätzen bleibt dann selbst das ansonsten häufig grinsende und kichernde Publikum still.

Ammoser sollte Recht behalten, auch wenn er im Strafprozess kein Recht bekam.

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