Heißer Sommer 1971

Wenn uns der Sommer 2015 seit Tagen mit tropischen Temperaturen so richtig zum Schwitzen bringt, wenn es in vielen Dachgeschoßwohnungen - und nicht nur dort - auch während der Nacht keine Abkühlung gibt, weil die Luft dort " steht ", wenn die Frei - und Spassbäder zum Bersten voll sind und wenn die Sirenen der ungezählten Notarztwagen beinahe minütlich zu hören sind, dann kann einem Hobby - Gärtner, als den ich mich beschiedener Weise bezeichne, beim abendlich Pflanzen besprenkeln, schon mal der Gedanke durch den Kopf mit dem ergrauten Haupthaar gehen, ob es je einen heißeren und trockneren Sommer als jenen in diesem Jahr gegeben hat. Diese Frage konnte mir natürlich das all wissende Internet beantworten. Ja, es gab ihn - und zwar vor 3 Jahren. Auch 2010 hatten wir einen so genannten Jahrhundersommer. Das galt auch für 1992, 1988, 1983 und 1976. Aber auch der Sommer 1971 war nicht schlecht. Er bescherte Mitteleuropa Tage mit 30 ° C und mehr; und das über Wochen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Jahrhundertsommer

In diesem Jahr riss ich gerade - nach abgeschlossener Prüfung zum Einzelhandelsverkäufer - den dritten Abschnitt meiner Ausbildung ab. Große Lust dazu verspürte ich nicht. Doch es galt damals noch der eiserne Grundsatz: Was man einmal angefangen hat, bringt man auch zu Ende!"
Jawoll, ja, das waren noch pflichtbewusste Jugendliche, die mit mir in einer Klasse von annähernd 30 Mitleidenden, den Stoff zur Kaufmannsgehilfenprüfung eingebimst bekamen. Unsere Klassenlehrerin, eine schon leicht betagte Witwe mit dem Namen Geissler, hatte - was wir erst später erfuhren - sogar promoviert und versuchte kraft ihrer preußischen Tugenden, alles daran zu setzen, dass auch die schwachen Schüler den angestrebten Abschluss erreichen. Dabei zeigte sie sich häufig fast mütterlich.

Bei Frau Dr. Geissler hatte ich einen Stein im Brett, weil ich in ihrem Lieblingsfach " Deutsch " immer zwischen 2 und besser stand. Wenn wir Klassenarbeiten schrieben, war ich hier bei den ersten Fünf immer dabei. Dafür haperte es bei mir in den kaufmännisches Rechnen und Buchführung. Da gab es bestenfalls eine 3. Dennoch zählte ich zu den Lieblingen unserer Klassenlehrerin. Vielleicht auch deshalb, weil sie jedes Jahr einige Azubis der Herm. Altenburg KG unter ihre Fittiche bekam und diese allesamt die Prüfungen bestanden.

An meinen zotteligen, längeren Haaren, die eine Vokohila - Variante darstellten, und die ich mir aus halb opportunistischen Gründen hinter die Ohren klemmte, konnte es nicht gelegen haben.

Jene verschämt wirkende Frisur ließ ich allerdings bei den so genannten " Disco - Abenden ", die ich zu jener Zeit regelmäßig am Samstag besuchte, natürlich nicht einfallen. Da fönte ich meine angebliche " Matte ", die Haarpracht also, auf und sah so wild, wie meine großen Vorbilder aus der Rockszene aus. Nun, die Abende verliefen immer gleich. Ich traf mich mit einigen Freunden aus dem Dorf und wir saßen bis etwa 22.00 Uhr an einem Tisch herum oder standen irgendwo in der Ecke, um der Musik zuzuhören, die aus oft übersteuerten Boxen heraus dröhnte. Ab und an gab es einen DJ, der die uns längst bekannt Titel ansagte, zu denen zumeist die weiblichen Besucherinnen wild tanzten.

An irgendeinem dieser gleichförmig ablaufen Abende traf ich - eher zufällig - auf eine einstige Volksschülerin aus meinem Geburtsort. Es entwickelte sich aus dem Treffen eine Art Beziehung. Als einst unaufgeklärter " Bubi " hatte ich von dem, was zwischen Frau und Mann den berühmten Unterschied ausmacht, kaum Kenntnisse; geschweige denn, Erfahrungen. Sie allerdings auch nicht. Aufklärung in der Schule oder im Elternhaus gab es bei den meisten Jugendlichen nicht.

Der Sommer 1971 wurde brütend heiß. Im Juli und August gab es meistens Tage, an denen das Thermometer auf über 30 ° C kletterte. Dann die Ausbildung, die Schule und die Forderungen aus dem normierten Malocher - Elternhaus. Sie trugen nicht dazu bei, dass meine Motivation, diesen damaligen Irrtum kaufmännische Lehre, mit vollem Elan zu Ende bringen zu wollen.
So quälte ich mich durch den heißen Sommer 1971 und freute mich dabei auf die lauen Sommerabende und " Dorf - Disco " - Samstagsabende mit meiner - so zu bezeichnenden - Freundin aus dem Kaff.

Mit dieser besuchte ich einige Musikveranstaltungen in den nahe gelegenen Orten. Manchmal überredete sie mich zum Tanzen. Große Lust verspürte ich dabei nicht, weil die aus dem Boxen dröhenden Stücke nicht meinem Geschmack entsprachen. Ich war längst zum Rock - Fan mutiert und konnte mit der Hitparaden - Scheiße, die dort ständig abgedudelt wurde, nichts anfangen.

Die Sommertage vergingen und diese wurden - wie jetzt auch - langsam, aber beständig kürzer. An einem Wochenende im August, an dem in dem Nest das Erntefest gefeiert wurde, entschlossen wir uns - todesmutig - dem Sauf - und Prügel - Event einen Kurzbesuch abzustatten. Das Erlebnis war für mich sowohl ernüchternd, als auch einschneidend. Nachdem ich von einen betrunkenen Dorf - Halbstarken angepöbelt wurde, verließ ich das Festzelt und wollte den Heimweg antreten. Meine Begleiterin hatte eine andere Idee. Ihre Mutter war nicht zuhause und deshalb lud sie mich kurzerhand nach dorthin ein.

So saßen wir kreuzbrav auf ihrem gebrachten, durch gesessenen Sofa, tranken Fanta und hörten die seichten Popsongs, die sie auf ihrem " Telefunken " - Tonbandgerät, das wiederum an einer im Zimmer stehenden Musiktruhe angeschlossen war, aufgenommen hatte. Es waren darunter ein Großteil dieser " Sommer - Hits " ´71:

 

1	Diana Ross	I'm Still Waiting
2	T Rex	Get It On
3	New Seekers	Never Ending Song Of Love
4	Tams	Hey Girl Don't Bother Me
5	Dawn	What Are You Doing Sunday
6	Atomic Rooster	Devil's Answer
7	Family	In My Own Time
8	Middle Of The Road	Chirpy Chirpy Cheep Cheep
9	New World	Tom-Tom Turnaround
10	Buffy Sainte-Marie	Soldier Blue
11	Lobo	Me And You And A Dog Named Boo
12	Sweet	Co-Co
13	Pioneers	Let Your Yeah Be Yeah
14	Who	Won't Get Fooled Again
15	St Cecilia	Leap Up And Down (Wave Your Knickers In The Air)
16	Carole King	It's Too Late
17	Nancy & Lee	Did You Ever
18	Curved Air	Back Street Luv
19	Elvis Presley	Heartbreak Hotel / Hound Dog
20	Dave & Ansil Collins	Monkey Spanner
21	George Harrison	Bangla Desh
22	Greyhound	Black And White
23	Supremes & Four Tops	Nathan Jones
24	Curtis Mayfield	Move On Up
25	Slade	Get Down And Get With It
26	Gilbert O'Sullivan	We Will
27	Judy Collins	Amazing Grace
28	Move	Tonight
29	Delfonics	La-La Means I Love You
30	Supremes & Four Tops	River Deep, Mountain High
31	Temptations	Just My Imagination
32	Hurricane Smith	Don't Let It Die
33	Ken Dodd	When Love Comes Round Again
34	Hot Chocolate	I Believe (In Love)
35	James Taylor	You've Got A Friend
36	Shirley Bassey	For All We Know
37	Dawn	Knock Three Times
38	Rod Stewart	Maggie May / Reason To Believe
39	Bob Dylan	Watching The River Flow
40	Blue Mink	Banner Man

Überwiegend öde Musik, wie ich fand, die nur selten meinen eigenen Geschmack traf. Ich war damals ein glühender Fan von Hardrock - und Bluesbands. Meine Single - und LP - Sammlung enthielt Gruppen, wie " Ten Years After ", " Black Sabbath " oder - " Zep " und nicht dieses seichte Gedudel von " Dawn " Lobo " oder das Gejammere von " Shirley Bassey ", geschweige denn das Eunuchen - Gekrächze von " Middle of the Road ".

Ich kritiserte ihren Musikgeschmack. Sie wurde sauer und legte ein anderen Band ein. " CCS " und " Walkin´", " Who lotta love " von " Led Zeppelin " und " Paranoid " von " Black Sabbath " befanden sich auf dem Band. Schon besser. 

Später erschien ihre Mutter und befahl, den Krach leiser zu machen. Ich war genervt und verabschiedete mich unter dem Vorwand, am Sonntagmorgen früh aufstehen zu müssen. 

Einige Wochen später, der Sommer war längst vorbei, traf ich die Ex - Mitschülerin zufällig bei einer eigenen Musikveranstaltung, auf der ich mit einem Freund aus dem Nachbarort selbst Platten auflegte. Sie wollte von mir wissen, warum ich sie nicht mehr beachten würde. Ich gab vor, wegen der Abschlussprüfung in einigen Monaten, keine Zeit mehr zu haben.

Es war nur die halbe Wahrheit.

Der Herbst 1971 kam. Ich sah die einstige Dorf - Schönheit zufällig auf einem Geburtstag wieder. Sie war in Bgeleitung des Halbstarken, der mir zuvor auf dem Sauffest im Dorf  Prügel angedroht hatte und der seit Monaten ein größeres Moped fuhr. Der interessierte sich nicht für Musik, sondern fuhr zu den Treffs mit den Provinz - Westentaschen - Rockern.

Ich habe die Ex - Mitschülerin Heidrun M. aus H. danach nie wieder gesehen.

Was blieb, waren jene Soft - Songs aus dem Sommer 1971, die sie mir auf die Ohren haute:

" Lobo " und das " Köter " - Lied:

" The Sweet " und " Co - Co "

oder " It´s too late " von der guten Carol King:

Doch - der Vollständigkeit halber - räume ich - 44 Jahre danach - unumwunden ein, dass auch die " Schocker " seit vielen, vielen Jahr mit dem Käufen diverser Sampler aus jener bewegten zeit, sich in meinem Archiv befinden. Die Liedchen waren doch nicht so schlecht, wie ich sie einst empfunden und gemacht habe. Jedoch gab es im heißen Sommer 1971 besere Musik.

Dazu zählte auch:

" Curved Air " aus den Niederlanden und ihr " Backstreet Luv´" ( ein Ohrwurm ) und ´ne tolle Sängerin:

oder " Atomic Rooster " und " Devil´s answer ":

und nicht zu vergessen, der " Who " - Kracher " Won´t get fooled again ":

Und weil die Welt sich seit dem nicht wesentlich verbessert hat, das " Teutschtum " in den Hohlschädeln einer Reihe von Analphabeten wieder salonfähig gemacht werden soll, indem - siehe die Rassisten in Freital - ungeniert gegen Ausländer gepöbelt, gemobbt und gebrandschatzt wird, gibt´s noch die Feststellung, dass es gestern die eigenen Ä... waren, die von den angeblich Landsleuten, den Brüdern und Schwester aus dem Goldenen Westen, in Aufnahme - und Auffanglager gesteckt wurden, damit sie nicht erfrieren. Leider wird dieses nach 25 Jahren geflissentlich übersehen. Der Mensch hat eben nur ein Kurzzeitgedächtnis, dass ihn von Tag zu Tag leben lässt.

Das war schon immer so. 

In diesem Sinne: Gut´s Nächtle mit ?