Probieren geht über Studieren oder: Die Mär von der Chancengleichheit im bundesdeutschen Bildungssystem.



Wenn ich demnächst, nämlich am 15. September 2016, die Uhr um 40 Jahre zurück drehen könnte, würde ich mich damit an jenen Tag erinnern, an dem ich das Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule in Wilhelmshaven begann. Tja, an den Einstieg in meine spätere akademische Ausbildung sind mir allerdings nur Bruchstücke von Ereignissen im Gedächtnis haften geblieben.

Anstregend war es damals, als ich von Informationsveranstaltung zu Informationsveranstaltung ging. Abends rauchte mir - im wahrsten Sinne des Wortes - der Kopf. Einige Tage darauf brummte mir morgens der Schädel, weil ich einige Glas zu viel getrunken hatte. Einige Monate später schrieb ich die ersten Klausuren und bekam damit ordentlich auf´s Haupt geschlagen. Ohne Fleiß, kein´Preis; ohne auswendig lernen, keinen Schein. Und davon musste ich bis zum Grundstudium, deren 19 vorlegen, um in das Hauptstudium zu gelangen, wo erneut 16 Scheine für die Abschlussprüfung zum Diplom - Betriebswirt ( FH ) vorzuweisen waren.

Neben dem " Scheine kloppen ", gab es auch sonst viele Probleme rund um das Studentenleben. Da war ein Zimmer in der Waagestraße in Wilhelmshaven, dass eher als Absteige bezeichnet werden konnte. Ein 14 m² - Loch, nicht unterkellert, mit einem Ölofen bestückt, der mittels anachronistischer Technik bedient werden musste, einem maroden Fenster durch das es wie Hechtsuppe zog und einer Eingangstür zu dem Schuppen artigen Anbau, durch die es im Winter den Schnee fußhoch trieb.
Keine gemütlichen Voraussetzungen also, um die angeblich schönste Zeit des Lebens auskosten zu können.

Daran änderte sich in den folgenden knapp 2 Jahren und 3 Semestern nicht viel. Vom 15. September 1978 bis Juli 1978, dem Monat meines Studienortwechsels nach Bremen, war der studentische Gleichklang: Vorlesungen besuchen, Scheine kloppen, während der Semesterferien ( immerhin 4 Monate ) malochen in einer Fabrik. BAföG bekam ich im ersten Jahr meines Studentendaseins nicht.
Zum einen deshalb nicht, weil ich - ehrlich, wie ich nun einmal war - wahrheitsgemäß mein Sparbuch bei der Volksbank in Bad Eilsen angegeben hatte und zum anderen, weil meine Eltern - obwohl nur Arbeiter - zu viel verdienten.

Also mühte ich mich mit 550 DM monatlich über die beiden Semester. Später erhielt ich dann doch Ausbildungsförderung. Zwar nie den Höchstsatz von knapp 600 DM, aber immerhin um die 450 DM. Damit und mit weiteren Geldern, die ich für die Arbeit in der Glasfabrik erhielt, musste ich um die Runden kommen. Die Bruchbude in der Waagestraße in Wilhelmshaven kostete 120 DM Miete. Hinzu kamen noch Heizkosten, weil der Ofen mit Öl betankt werden musste.

Die teuren Fachbücher, einen sündhaft teuren Taschenrechner von " Quelle " und sonstiges Lernmaterial kaufte ich eben von dem monatlichen BAföG - Betrag und dem Ersparten.
Das Leben in den Studentenjahren war eher bescheiden. Immerhin konnte ich mir einen R4 als fahrbaren Untersatz leisten. Das war bereits - im Vergleich zu anderen Mitstreitern - ein Privileg. Diesen Luxus behielt ich auch in der Zeit des Jura- Studiums. 

Auch wenn die vielen Tage, Wochen. Monate, ja, Jahre, bis zum späteren Staatsexamen, finanziell immer auf Kante genäht waren, möchte ich diese lange Zeit nicht missen.

Beinahe 4 Dekaden nach meiner Immatrikulation an der FH in Wilhelmshaven, sah ich einen Bericht mit dem Titel " Die Illusion der Chancengleichheit . Ein Film, der - von den ARD - Mitarbeiterinnen Sigrid Born und Nicole Würth produziert und  im August 2015 in den späten Abendstunden vom Ersten gesendet - die heutigen Studienbedingungen skizziert.

Was der Beitrag offenbarte, war eine Mär von der Chancengleichheit im Bildungssystem, die es - natürlich - auch zu meiner Zeit nie gegeben hat. Doch was aus der " schönsten Zeit des Lebens " geworden ist, liest sich so:

" Das Studium ist die schönste Zeit des Lebens – so schwärmen gestandene Akademiker gerne, wenn sie an ihre eigenen Hochschuljahre zurückdenken. Damals hatte man Zeit, sich zu entfalten, etwas zu erleben, die Persönlichkeit reifen zu lassen. Wer allerdings heutzutage studiert, braucht vor allem gute Nerven, erheblichen Ehrgeiz, stabile Ellbogen und am besten vermögende Eltern. Anders ist ein erfolgreicher Abschluss an einer Uni kaum zu bekommen.
Fast alle Studienfächer werden von den Unis mit einem Numerus Clausus (NC) verbarrikadiert. Wer kein Einser-Abi hat, muss oft jahrelang warten, bis er einen Studienplatz bekommt. Bestes Beispiel: Medizin. Hier liegt der NC mittlerweile bei 1,0-1,2. Wer schlechter ist, kommt auf die Warteliste und kann die Jahre oft nur über eine Ausbildung überbrücken. Um dieses Problem hat sich längst eine Anwaltsindustrie entwickelt: Für viel Geld können "schlechte" Abiturienten sich in ihren Wahlstudiengang einklagen. Dadurch gelangen vor allem Kinder begüterter Eltern in den Genuss des begehrten Studienplatzes. Die anderen haben das Nachsehen.

Verschultes Studiensystem
Der gute alte Diplom-Ingenieur, im In- und Ausland hoch anerkannt, wurde abgeschafft und durch den nebulösen "Master of irgendwas" ersetzt. Eine Folge der Harmonisierung auf EU-Ebene. Doch die Bachelor- und Masterstudiengänge werden für viele Studierende zum Alptraum. Statt Orientierung und Entwicklung an der Uni müssen sie mit aufgesetzten Scheuklappen und in Rekordzeit "Creditpoints" sammeln.
In einem völlig verschulten Studiensystem, immer stur nach vorne und ohne Zeit und Erlaubnis zum kritischen Hinterfragen. Gleichzeitig bleibt meistens kaum noch Zeit, nebenher zu jobben, ohne den Erfolg des Studiums zu gefährden. Bis tief in den Abend muss gelernt werden – und am Wochenende auch. Die Statistik zeigt eindeutig: Wer keine begüterten Eltern im Hintergrund hat, der hat erheblich schlechtere Chancen, die zweite Hürde zum Master-Abschluss zu überwinden oder wird gleich in eine bezahlte Ausbildung abgedrängt.

Geldbeutel der Eltern so wichtig wie Fleiß

Die SR-Autorinnen Sigrid Born und Nicole Würth haben sich den aktuellen Alltag der Studierenden genau angeschaut und ziehen eine kritische Bilanz der Reformen seit dem sogenannten "Bologna-Prozess". Nach vielen Gesprächen und Interviews kommen sie zu dem Schluss: Viele der angestrebten Ziele wurden nicht erreicht, statt dessen ist der Geldbeutel der Eltern inzwischen für Studium und Karriere wieder genauso wichtig wie Fleiß und Intelligenz der Studierenden. Die häufig postulierte Chancengleichheit ist stärker denn je eine reine Illusion. "

- Zitatende - aus: http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/die-illusion-der-chancengleichheit-100.html

" Bulimie " - Lernen, " Creditpoints ", Bachelor - und Master of irgendwas " ( the universe, vielleicht? ). Nö, so einen Müll hatten wir nicht um uns herum. Ein verschultes BWL - Studium - in engen Grenzen - wohl auch, aber Anwesenheitspflicht, Gesichtskontrolle und Stoof bis nach Mitternacht in sich hinein prügeln? Nein! Ab 22.00 Uhr ging es ab, in die nächste Szene - Kneipe und dort wurde über Marxismus diskutiert.

Die Studienzeit, die schönste Zeit des Lebens - ja, das war einmal!

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