Spuren im Schnee
Ein seltsames, ein völlig unbekanntestes, ein Kratzen auf den Treppenstufen zu unserer Hauseingangstür machte mich stutzig. Es hörte sich zunächst so an, als sei einer unserer Stubentiger dort am Rumoren. Es könnte vielleicht eine gefangene Maus sein, mit der er sich vergnügt? Ich sah aus dem Fenster und entdeckte einen jungen Hund, der in der Sitzstellung auf der obersten Treppenstufe mich etwas ängstlich anstarrte. Er zitterte, aber knurrte mich gleichzeitig an.
" Was machst Du denn hier? ", wollte ich von ihm wissen, obwohl ich mir darüber im Klaren war, dass er diese - eher dümmliche - Frage nicht beantworten wird. Kaum hatte ich diese ausgesprochen, sprang der Eindringling von der Treppe auf den verschneiten Kiesweg und verschwand.
Nachdem ich meiner besseren Hälfte von der Begegnung der Dritten Art berichtet hatte, begab ich mich in die Küche. Kurz darauf sah ich - eher zufällig - aus dem Fenster in den Garten. Überall waren große Pfotenabdrücke im frisch gefallenen Schnee zu erkennen.
Dann sah ich unseren Gast erneut. Er sprang von dem Nachbargrundstück aus über den Zaun und tollte auf unserem, längst zugeschneiten Kompost herum. Als würde er dort nach etwas suchen.
Dann lief er zur Mitte der verschneiten Wiese, von dort zu der Mülltonne am Kellereingang, wieder entlang der Bambus - Anpflanzung zu dem Kompost. Der Hund zeigte sich sehr aktiv. Er jagte über unsere Wiese, sprang wieder über den Zaun des Nachbarn, wetzte dort einige Runden auf dem Rasen hin und her, sprang dann erneut bei uns auf den Kompost. Nach einigen Minuten lief er wieder über das Nachbargrundstück zu der dortigen Garageneinfahrt. Dann konnte ich den Hund nicht mehr sehen.
Es war ein so genannter " Senfhund ", ein Mischling. Der Kopf konnte von einem Terrier, vielleicht einem Airdale - Terrier ( Foxterrier wäre möglichweise auch denkbar; aber wohl eher zu klein ), der Rumpf stammte von einem Schäferhund ( es wäre auch ein Schäferhund - Mischling möglich ). Also, jeder oder mindestens eine andere Rasse hatte seinen Senf dazu geben.
Der Fremde war längst weg, als ich mich zu unserem Kompost und dem Bio - Kompostierungsbehälter begab. Der Schnee lag mindestens 15 cm hoch, so dass die Hundepfoten überall gut erkennbar waren. Der Eindringling hatte im Schnee herum gescharrt. Als wenn er dort Nahrung suchen wollte. Die hatte er indes in dem Stahltopf mit Sicherheit gefunden. Vor Tagen musste ich den Topf vor dem Kompostierer abstellen, weil dessen Inhalt ( es waren Entenabfälle und Reste von der Weihnachtsfressorgie ) fest gefroren war. Mittlerweile hatte es doch wohl ein wenig getaut und die Fleischreste konnten aus dem Topf gegossen werden. Ich hatte diesen jedoch dort vergessen. So wurden die Entenabfälle vom Weihnachtsfest 2016 ein Festschmaus für den Senfhund 2017.
Da er sich satt gefressen hatte, tobte er vor lauter Freude nach dem Festtagsmahl auf den Schnee - Wiesen herum. Einen Rassehund würde ein treu sorgender Halter so nicht laufen lassen. Um eine lebensgefährliche Magendrehung zu vermeiden, sollten abgefütterte Hunde mindestens eine Stunde danach ruhen. Ein Senfhund indes ist da robuster, Er hat in der Regel eine längere Lebenszeit. Er ist nicht so empfindlich, gegen typische Hundekrankheiten, eher gefeit. Er ist halt robuster. So widerstandsfähig und kräftig, wie der Senfhund von heute Nachmittag.
Einst hatte ich eine Deutsche Dogge. " Floyd ", so gab ich ihm den Namen. Der Rüde war beinahe 1,00 Meter groß, wog mindestens 80 Kilogramm und war schwarz - weiß, ein gescheckter, so, wie eine ostholsteinische Milchkuh. " Floyd " war gutmütig. Ein Gut - Hund, in Anlehnung an die blödsinnige Kampfrhetorik der Rechtsnationalen von heute. Der gutmütige " Floyd " war aber ein Schutzhund. Und der kann auch schon mal zubeißen, wenn Gefahr im Verzug ist.
Nun, mein " Floyd " wurde biblische 12 Jahre alt. Das war eher ungewöhnlich für eine Deutsche Dogge. Aber er tobte genauso gern, wie der Senfhund bei uns im Garten. Er warf sich in den hohen Schnee, wälzte sich vor lauter Wonne und jagte nahezu ansatzlos in Höchstgeschwindigkeit von dannen, kehrte wenig später ohne Tempoverminderung zu mir zurück, wobei er so auf mich zuschoss, dass ich zu Beginn seines Ausgleichssports, immer damit rechnete, der Doggenrüde würde mich umrennen.
Nun, " Floyd " ist schon seit Frühjahr 2004 im Hundehimmel. Ich habe ihn einschläfern lassen, weil er - altersbedingt - Anzeichen von Arthrose in den Gelenken hatte.
Auch der Mischling, den mein einstiger Bekannter Peter " Piet " Völkening aus Bückeburg, in dem Mietshaus hatte, indem er bei seiner Mutter lebte, ist längst dort. Es war an einem Samstagnachmittag, als ich " Piet " von dort abholte. Er hatte versehentlich die Hauseingangstür offengelassen, als er zu mir in den roten R4 stieg. Wir hörten dort Musik. Aus den Billig - Lautsprechern schnarrte Radio Bremen´s einstige Musiksendung " Hitline International " mit Christian Günther. Es liefen - wie seit den 1960er Jahren - auch an jenem Samstag im Juni 1972 die Charts aus den USA, Großbritannien und Deutschland.
Während wir Radio Bremen hörten, sprang plötzlich ein großer, dunkel - brauner Hund aus der Haustür auf die Wiese. Er fegte über das Grün, nahm eine dort wohl abgelegten Holzknüppel auf, warf ihn aus seiner großen Hundeschnauze heraus, hoch in die Luft und fing das Holzstück sofort wieder ein. Fasziniert beobachteten wir den Hund. Wir lachten, als er wie ein Irrwisch, enge Kreise auf der Rasenfläche drehte, wieder den Holzknüppel malträtierte und dann kreuz und quer über das Grün zu jagen.
Wir nannten ihn spontan den " Brocken ". Jeder seiner Aktivitäten wurde danach von einem von uns lustig kommentiert. Der " Brocken " springt, hetzt oder wälzt sich, so hieß es dann immer, während wir unsere selbst gedrehten Zigaretten rauchten. Wir lachten dazu, bis uns die Freudentränen kamen. Wir lachten uns den Frust wegen der blödsinnigen Zeitverschwendung beim " Barras ", beim " Bund ", bei der BW " von der Seele, denn wir Beide wussten genau, dass wir keinen großen Bock darauf hatten, für Volk, Vaterland und Kapitalisten die Waffe tragen zu müssen. So vergnügten wir uns mit dem Spektakel, den der Brocken auf dem Rasen vor dem Mietshaus, in dem die geschiedene Mutter von " Piet " wohnte, veranstaltete. Solange, bis nach mehr als ein Dreiviertelstunde die Halterin des " Brocken ", eine blonde, aufgebretzelte Frau, vielleicht in den Endvierzigern, den " Brocken " wieder in das Haus holte. Die Wasserstoffblonde sah uns nicht. Sie sah deshalb auch nicht, dass uns immer noch die Lachtränen die Wangen herunter liefen.
Später fuhren wir nach Münchehagen in die " Kneipe mit Musik " zu / nach Kanbach. " Piets " Schwester war eine Woche vorher in Amsterdam gewesen. Sie hatte " Was " zu Rauchen mitgebracht. Wenn das unsere Vorgesetzten wüssten. Für Freiheit, Vaterland und Volk. Die " NATO " - " Our instance for peace ". Nö, nicht mit uns.
" Piet " verschwand einige Monate später zu seiner Stammeinheit. Ich besuchte ihn dort regelmäßig. Wir hörten auch immer noch gemeinsam Musik. Als ich 1976 mit dem BWL - Studium in Wilhelmshaven begann, verlor ich ihn aus den Augen. Später war er mit einer Frau aus der einstigen Klasse meiner Schwester über mehrere Jahre liiert. Die Beziehung ging auseinander. Danach habe ich von " Piet " nie wieder etwas gehört. Vielleicht ist er auch längst, so, wie mein " Floyd " oder der " Brocken " von 1972, aber auch der geniale Moderator von Radio Bremen, Christian Günther, über uns und schaut zu, wie sich die Welt ständig verändert. die Menschheit dabei nicht klüger wird und der nationalistisch - rassistische Scheißdreck, den wir einst verabscheut und bekämpft haben, wieder die Oberhand erhält.
Gut´s Nächtle mit dem 1972 - Hit von " Hawkwind " - " Silver Machine ":
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