Angsthasen

In einigen Tagen darf der sich christlich orientierende Teil der überbevölkerten Welt den Osterfeiertagen hingeben. Für einige Menschen sind jene drei Feiertage und das darin liegende, verlängerte Wochenende mit entspannt zu sehen, denn sie müssen dann weder arbeiten, noch verreisen oder sich mit ungeliebten Verwandten herum schlagen.
Doch für eine Spezies ist dieses Osterfest richtig stressig: die Osterhasen. Sie sind dazu verdammt, den heidnischen Brauch umzusetzen, wonach sie - völlig wider der Natur - Ostereier in ein vorgefertigtes Osternest zu legen haben.

Okay, als Kind habe ich mich vor vielen Jahren auch auf das Osterfest gefreut. Denn schließlich gab es die süßen Ostereier aus Marzipan, den Osterhasen von " Lindt " aus Schokolade und  Spiegeleier aus einer Zuckermasse, die geeignet war, die noch verbliebenen Milchzähne auf Bissfestigkeit ( damals längst noch nicht mit " Kukident " Haftcreme ) zu testen.

Der Osterhase hatte bei drei Kindern ( also, drei Stück ) Schwerstarbeit zu leisten. Das obligatorische Ostereier suchen zählte nämlich zu den wenigen Höhepunkten in der Kindheit auf dem platten Lande. Aus dieser Zeit stammt ein " Kinderreim ", der mir beim Lesen einer Kolumne in der Dienstagsausgabe der " Frankfurter Rundschau " wieder einfiel:

" Angsthase - Pfeffernase! Morgen kommt der Osterhase! "

Die Kolumne trägt den Titel: " Kein Angst! ". Ihr Verfasser, der Autor und Theatermacher Michael Herl, befasst sich hier mit der Furcht der Menschen vor Unwägbarkeiten im Leben. Diese Grundängste sind heutzutage andere als in jener Zeit, in der ich noch an den Osterhasen respektive den Weihnachtsmann glauben sollte ( es aber spätestens mit Eintritt in das vor pubertäre Alter längst nicht mehr tat ). Auch die Lügengeschichte, dass der " Klapperstorch " die Babys in das Haus trägt und vornehmlich dann dort hin fliegt, wenn das bereits in die Welt gesetzte Kind ordentlich Salz auf die Fensterbank streut, war ab dem Zeitpunkt nicht mehr aktuell, nachdem Schulkollegen ( Sitzenbleiber, ältere Schüler sowie Frühreife ) uns mit dem Gossenwort " f..... " vertraut machten.

So bliebt denn nur das Ritual mit dem Osterhasen - Weihnachtsmann und deren Geschenke. Die mussten allerdings unsere Eltern von ihrem sauer verdienten Geld kaufen. Wenn davon nicht genug vorhanden war, fielen Die Präsente eben kleiner aus. Was dann vorkam, wenn unser Vater wegen der Pleite des Bauunternehmers arbeitslos wurde oder wegen des zu frühen Wintereinbruchs bereits ab November Schlechtwettergeld vom Arbeitsamt beziehen durfte.

Und dann waren sie wieder da, die Ängste um den Arbeitsplatz, die wegen der geringen Verdienste, der Hypothekenschulden, die abzustottern waren und der ungewissen Zukunft, die zwar nicht in den Sternen lag, aber im Novembernebel eines Werktags, an dem der Vater dann mit der Kündigung nach Hause kam.

" Früher war alles besser, und heute kann man sich nur fürchten? ", stellt Michael Herl in seiner Kolumne die provokante Frage. Und erklärt dazu, warum dieses seiner Auffassung nach so nicht stimmen kann. Die Ängste sind demnach andere. Sie sind vielfach diffuser, aber auch irrational, wie einst, so vor mehr als 50 Jahren. Die Angst vor Überfremdung zum Beispiel, sie hat es auch damals schon gegeben. Wenn auch in anderer Form. Wer als Flüchtling aus den ehemaligen Ostgebieten des einstigen " Großdeutschen Reiches " nach ´45 in die Pampa der drei Alliierten Besatzungszonen kam, wurde als " Kartoffelkäfer " geschmäht, dazu in mannigfaltiger Weise diskriminiert und bekam das letzte Rattenloch als Unterkunft.

Irgendwie kam mir das bekannt vor, als ich in 2015 die hasserfüllten Hetztiraden der Neofaschisten von Pegida / AfD / NPD hörte.

Die Welt ist längst enger zusammen gerückt, sie ist für viele - auch Deutsche - komplexer und komplizierter geworden. Das führt nicht selten zu einer resignativen Grundhaltung, zu einer rückwärtsgewandten Einstellung und zu Intoleranz. Weil die komplizierte Gesellschaft in einer globalen Welt oft beinahe unlösbaren Problemen und gewaltigen Herausforderungen mit sich bringt und bereit hält, ist das eigene Leben auch so geworden. Daran scheitern viele Menschen und ziehen sich bestenfalls in ihr Schneckenhaus zurück. Andere werden zu Krawallos, die ihre überschüssige Kraft ( bei Männern ist es der ungeregelte Testosteronhaushalt ) auf die Straße bringen wollen. Eine andere, nicht minder kleine Gruppe, äfft irgendwelchen vermeintlichen Promis nach und jagt der Mode sowie dem damit verbundenen Konsumdreck hinterher.

Auch diese Erscheinungen hat es vor 50 Jahren bereits gegeben. Sie sahen nur völlig anders aus. Die heutige Glatz oder Kurzhaar - Mischfarbenfrisur war da Langhaar tragen. Die Unsitte der körperlichen Verunstaltung durch schwachsinnige Tattoos gab es damals auch. Allerdings wurden diese mit abwaschbaren Aufklebern angebracht. Moden, Trends und dazu gehörige Musikrichtungen hat es selbstverständlich ebenso gegeben.

Da mögen die Unterschiede zu heute denn so groß wohl doch nicht gewesen sein?  Weshalb sich auch jene Menschen in Mutige und Feige - sprich: Angsthasen - einteilen ließen. Demnach jene, die den Veränderungen furchtlos entgegen sehen und jenen, die sich vor Angst in die letzte Ecke verkriechen. Angsthasen = Osterhasen?

Michael Herle stellt dazu dann abschließend fest:

" Bei allen Veränderungen: In Wahrheit sind die Welt und die Gesellschaft im Grunde genommen gleich geblieben -es erfordert nur ein wenig mehr Aufwand, darüber nachzudenken und sich eine Meinung zu bilden. Wichtige Kernthesen aber sind geblieben.

So unterscheiden sich die Mitmenschen nach wie vor in Arschlöcher und keine Arschlöcher, unabhängig von Kultur, Geschlecht, Nationalität und Herkunft. Und: Man kann immer noch mit allen Leuten reden, selbst wenn man eine andere Sprache spricht. "

- Zitatende - aus: Michael Herle, " Kolumne Keine Angst! " in " Frankfurter Rundschau, Nr. 90 / 2019, S. 10

So is´et und so wird es auch künftig bleiben.




" Amon Düül II " - " Soap Shop Rock " - " Live In London - 1973:



   




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