Abschied vom einst sozialistischen Heimatland
Der Tag X rückt näher. Inzwischen befindet sich mehr Hausrat in als außerhalb der Kisten. Deren Anzahl schrumpfte deshalb in den letzten Tagen gewaltig. Von 120 sind nur noch 40 übrigen geblieben. Tendenz: rapide fallend!
Weil sich das Haus überall leert, wir es quasi ausräumen, kommen dann doch noch einige kuriose Fundstücke wieder an das Tageslicht, die mehr oder minder ihr karges Dasein irgendwo in dunklen Behältnissen fristen mussten.
Vergessen - vergangen - vorbei!
Da fand ich heute Vormittag in einer Truhe, so zwischen den einst chicen Damenhandtaschen,der verstorbenen Schwiegermutter, sehr betagten Wolldecken aus den 1960er Jahren und mehren zusammenklappbaren Reisekoffern, einem " Camel " - Rucksack sowie Plastetragetaschen, eine fein säuberlich zusammengefaltete und gebügelte DDR - Flagge.
Ich sprang vor Freude wie ein junger Rehbock, als würde ich nicht 66 Jahre auf dieser Erde sein, sondern eine umgekehrte Ziffernfolge vorweisen können. Sofern nahm ich den Dachbodenfund, zog ihn über den Besenstiel, öffnete das Fenster und rief lauthals nach dem Nachbarn, der just seine Fronarbeit, nämlich den Abriss des zweiten Geräteschuppens im Garten nachging.
Nachdem er die DDR - Flagge gesehen hatte, lautete seine Frage nur, ob wir diese mit nach bayern nehmen würden. Voller Euphorie bejahte ich dieses und behauptete ad hoc, ich würde diese neben der " Werder " - Fahne im bayrischen Wind wehen lassen.
Der Nachbar knipste dann noch dankenswerte Weise ein Foto, ehe das Relikt vergangener Tage wieder in den Dachbodenbereich eingezogen wurde, denn es war mir doch zu kühl geworden, obwohl ich mich durch die vielen Behälter mit Fotos aus jenen Tagen als es noch zwei deutsche Staaten gab, durch wühlte und dabei ordentlich ins Schwitzen kam.
So ließ ich die Flagge mit Hammer und Zirkel am Besenstiel und stellte diesen an die DDR - Möbel, die wir mit Sicherheit nicht ins bayrische Land schleppen werden. Anschließend befragte ich meine bessere Hälfte nach der Bewandtnis jenes außergewöhnlichen Fundes. Meine Mutmaßungen wurden allesamt negiert.
Nein, die verstorbenen Eltern seien nicht Eigentümer jener DDR - Flagge.
Nein, sie hätten das Haus damit auch nie geschmückt, wenn es verpflichtend verordnet war.
Nein, die DDR - Flagge wäre bei den Eltern nie ins Haus oder an der Wand zu deren Geschäft platziert worden.
Dann gab sie mir den Grund für jenes Relikt aus den Zeiten des blühenden deutschen Sozialismus preis.
Es sei ihre Flagge. die sie an die Außenwand ihrer Wohnungen befestigte, damit der " ABV " sie ordnungsgemäß zur Kenntnis nehmen konnte. Anderenfalls hätte es in Karl - Marx - Stadt Scherereien mit den dortigen Behörden geben können. So auch in der Kinderkrippe der Tochter.
Der " ABV " war ja zu DDR - Zeiten ein Organ der sozialistischen Gemeinschaft, der nicht nur nach dem Rechten sah, sondern dabei auch eine Art pädagogische Funktion ausübte. Er war deshalb auch eine Respektsperson, denn er hatte eben bestimmte Kompetenzen.
Nun, nach den dramatischen Ereignissen im November 1989 verschwand die DDR - Flagge für immer in irgendwelchen Truhen oder Kisten. Die DDR hieß ja ab Juli 1990 so ,wie die BRD dann auch: Deutschland. Und Deutschlands Nationalfarben sind zwar immer noch schwarz - rot - gold geblieben, doch auf den Fahnen, Flaggen und Wimpeln prangt einheitlich der " Bundesadler " und nicht mehr Hammer und Zirkel.
Und auch diese Nationalhymne, die ich unmittelbar nach der " Internationale " ( beide leicht falsch ) intonierte, gehört der Vergangenheit an:
Immerhin wusste ich spätestens ab den frühen 1970er Jahren, dass es diese gibt. So, wie ich auch die DDR - Fahne kannte. Da wir einige, jener Relikte aus diesem Zeitabschnitt in Kisten verpackt haben, werden sie für uns nicht in Vergessenheit geraten.
Mag die DDR nach 40 Jahren untergegangen sein, die " friedliche Revolution " bald 30 Jahre auf dem Buckel haben und ich nach 15 Jahren dem Freistaat Sachsen den Rücken kehren: Die Erinnerungen bleiben - für immer.
" Kungens Män " - " Men Med Mädel " - 2019:
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