Umsonst gearbeitet?


 

Heute ist der 10. August 2023; ein Donnerstag. Der Sommer, der bislang zum überwiegenden Teil keiner war, schreitet voran. Er ist bereits - kalendarisch betrachtet -  um mehr als die Hälfte der Zeit vorbei. Weil der Sommer 2023 - in weiten Teilen Deutschlands - eigentlich nicht den Namen tragen dürfte, denn es regnete mehr als dass die Sonne uns beglückte, hat sich die Stimmung bei mir ab der Rückkehr von unserem Darß - Aufenthalt merklich eingetrübt.

So eingetrübt, wie es das Regenwetter uns hier in Oberbayern und sonstwo vorexerziert. Dunkle Wolken, bedeckter grauer Himmel, Regenschauer und mäßige 16 ° C bis 18 ° C - dieses fast jeden Tag m Juli und dem Folgemonat August. Ich will zurück an die See, möchte den Juni wieder haben und die Sonne, die mir auf die nackte Haut schien und mich langsam braun werden ließ.

Leider, leider, es ist vorbei - Junimond!

Während die Tage sichtbar längst wieder kürzer werden, erinnere ich mich dann und wann in den frühen Morgenstunden, wenn es draußen längst wieder dunkel bleibt und der neue Tag nur schleppend, ja, sich dabei quälend, in Richtung Osten heran graut, an vergangene Zeiten. Das geht mir seit einigen Jahren so. Vor allem seit ich offiziell dn Status " Rentner " führen darf.

So vergleiche ich das mehr als zur Hälfte abgelaufene Jahr 2023 mit denen aus vergangenen Zeiten, aus den 7 Dekaden meines Lebens, die ich ablegen darf, weil sie so nicht wieder kehren werden. Und dabei werden bestimmte Ereignisse wieder wach, die sich irgendwo in meinem Langzeitgedächtnis angesiedelt haben. Dort versteckt schlummern und nie odr nicht immer sofort wieder abrufbar werden.

August 2023. August, so hieß mein irgendwann zu Beginn der 1980er Dekade verstorbene Onkel väterlicherseits. August M. aus Bückeburg. Allein über ihn könnte ich mindetens ein Buch schreiben. Schließlich hatte Onkel August ab meinem vieleicht 10 Lebensjahr einen ständigen Platz im täglichen Leben in der öden Provinz und den bleiernden 60er Jahren.

Onkel August stammte aus einer Bauerfamilie, die in am Stadtrand von Bückeburg einen Hof unterhielt. Der Landwirt M. eignete sich nebei Kenntnisse zur Heilung und Behandlung bei Beschwerden rund um den menschlichen Stützapparat an. Vulgo hieß seine hierzu ausgeübte Nebentätigkeit: " Knochenbrecher ".

Der " Knochenbrecher " indes zerstörte weder Teile des menschlichen Skeletts, noch manipulierte er diese in irgendeiner Form. Er heilte vielmehr und linderte oder behob gar bei den Patienten aufgetretene, nicht selten unerträgliche Schmerzen.

Die Tätigkeit des Halb -  oder noch weniger - Mediziners beschränke sich jedoch auf rein manuelle Heilungsmethoden. Er renkte beispielsweise ausgekugelte Gliedmaßen wieder ein. Wo die klassische Medizin, wo studierte, ausgebildete und praktizierende Mediziner t ihrem " Latein " am Ende waren, half in vielen Fällen der " Knochenbrecher " mit seinem fundierten Wissen über den menschlichen Körper und den Knochenaufbau.

Ein Segen für nicht gerade wenige Betroffene, die über Jahre von einem Mediziner zum anderen pilgerten, von einer Klinik zur nächsten abgeschoben wurden, weil ihnen bei den geschilderten und real vorhandenen Beschwerden kein Arzt helfen konnte.

Nun, Onkel A. eignete sich die Kenntnisse hierzu von seinem Vater an und hatte wohl auch dessen Fähigkeiten dabei gleich mitbekommen. Und so verließ Onkel A. den väterlichen Hof, heiratete später meine Tante Gertrud und verdingte sich einige Jahre nach dem Krieg und der Gründung der BRD als Kohlenhändler. Er besaß dabei mindetens einen LKW mit denen er Stein - und ( weniger ) Braunkohlebriketts sowie auch Eierkohlen in Säcken zu Kunden des Landkreises Schaumburg - Lippe ( vielleicht auch darüber hinaus ) beleiferte. Steinkohle war in den Nachkriegsjahen und bis weit in den 196oer Dekade das Hauptheizungsmittel, der überwiegende genutzte, fossile Energieträger.

Das änderte sich ab den späten 60ern. Davor verzeichnete Westdeutschland eine Kohle - und Stahlkrise, die mit dem so bezeichneten Zechensterben - vornehmlich im Ruhrgebiet - einher ging. Kohle als Heizmedium und Energieträger war nicht mehr so gefragt. Der Handel mit ihr schrumpfte, so dass Onkel A. peu a´peu umsatteln musste. Er gab den Kohlenhandel auf und konzentriete sich auf jene Fhigkeit, die er von seinem Vater übertragen bekommen hatte: Er verdingte sich als " Knochenbrecher ". 

Und dabei ging es langsam, aber sicher, von Jahr zu Jahr aufwärts. Hiervon partizipierte auf die gesamte Familie. Über einen langen Zeitraum zog der gezeigte Wohlstand auf dem Anwesen am Rande von Bückeburg ein. Onkel A. zeigte dieses - auch wenn er sonst  eher knauserig war - nach außen, indem er schon ab den frühen 1970ern eine Mercedes fuhr. Keinen in der oberen Klasse odr gar Luxus - Klasse, aber immerhin einen Daimler Benz, den landläufig zum König der Individualmobilität hoch stilisierten PKW. Mal in einer Rotlackierung, mal in einer anderen Metallic - Farbe. 

Der Wohlstand machte sich auch auf dem Konto bemerkbar. Onkel A. erschien ein Mal wöchentlich bei der dortigen Volksbank und zahlte bei seinem Besuch ein erkleckliches Sümmchen ein. Großartige Urlaubsreisen - so, wie sie meine Eltern zelebrierten - waren meinem Onkel aus Bückeburg indes nahezu fremd. Schließlich wartete an jedem Wochenende Dutzende Patienten auf ihn und erhofften sich - zumeist vollkommen begründet - auf die Linderung und Heilung ihreres Leidens.

Eines Tages - es muss wohl in den späten 70ern bis frühen 1980ern gewesen sein, tart der Fiskus auf den Plan. Wer oder was das Finanzamt, den selbst ernannten Partner in Steuerangelegenheit, in die Schnüffelspur hinein gelenkt hatte, ist mir immer noch nicht klar. Ob es ein neidischer Nachbar war, ein rachsüchtiger Bekannter oder gar ein Verwandter? Die Steuerfahndung wurde sodann tätig. Bei einer - mutmaßlichen - Außenprüfung konnten die eingesetzten Beamten indes nichts Belastbares finden, denn Aufzeichnungen oder Bücher, wie es in Firmen oder bei Freiberuflern vorgeschrieben und auch üblich ist, wurden von Onkel A. nicht geführt.

So stellte sich für die Schnüffler der Außenprüfdienstelle des Finanzamtes Stadthagen denn auch die maßgebliche Frage: " Wonach suchen, wenn es gar nichts gibt? "Der Gesetzgeber ist im Ursprungsgebiet jedweder Regulierung in Germania, im Hoheitsgebiet eines einstigen Fürstentums und später damit einem Teil Preußens, äußerst kreativ, wenn darum geht, seine Untertanen zur Kasse zu bitten. So sieht die schon zu jener Zeit geltende Steuergesetzgebung die Möglichkeit einer Schätzung vor. Wobei die Finanzbehörden immer eher zu Ungunsten des vermeintlich Steuerpflichtigen agieren.

Nun, vorgegeben und alsdann umgesetzt. Die zu entrichtenden Steuern, bezogen auf einen meinem Onkel A. nachgewiesenen Tätigkeitszeitraum als Selbständiger müssen saftig gewesen sein. In einer Größenordnung also, die dann zur - wohl auch altersbedingen - Aufgabe der nicht angemeldeten Tätigkeit als " Knochenbrecher " führten. Einige Zeit danach verstarb dann Onkel A.

Was er hinterließ war denn eher überschaubar. Der Bungalow aus den frühen 1970ern war möglicherweise unbelastet. Das einige Meter davon liegende einstige Elternhaus wohl auch. Es könnte in jener Zeit vermietet worden sein. Über weitere Vermögensgegenstände kann ich bis heute eigentlich nicht viel sagen. Ich meine, dass der geliebte Mercedes meines Onkels wohl irgendwann verkauft wurde ( werden musste? ).

Meine Kontakte zu der verbleibenen Tante Gertrud in Bückeburg blieben eher sehr sporadisch. Okay, sie war bei meiner ersten Eheschließung 1990 in Bremen anwesend. Aber darüber hinaus gab es keine gegenseitige Besuche. Nach der Geburt meiner Tochter war diese zu Besuch bei Tante Gertrud. 

Irgendwann in den frühen 1990ern als ich als Rechtsanwalt meine Ein - Mann - Kanzlei in Bremen -  Hastedt betrieb, rief mich meine Mutter aus Heeßen an und schilderte mir, dass Tante Gertrud wegen ihres Rentenantrags verschiedene Fragen der LVA beantworten sollte und damit nicht so richtig klar käme. Es würden dazu erforderliche Unterlagen fehlen. Vor allem ihre Zeit nach der Ausbildung in Kreuzburg ( Kluczburk ), also während des II. Weltkriegs, in der sie zunächst bei der Reichsbahn in Oppeln ( Opole ) eingesetzt wurde, konnte sie nicht belegen.

Wie Tante Gertrud sich einst dabei gefühlt haben könnte, durfte ich beinahe 3 Dekaden selbst erfahren:

https://draft.blogger.com/blog/post/edit/8221564797470254880/886738102263561876     

Als einst treu und brav hörendes Schaf der Familie fuhr ich dann einige Wochen später von Bremen nach Heeßen, um der in die Bredouille geratenen Tante, der Schwester meines Vaters also, zu helfen. Ich setzte eine juristisch präzise formulierte Versicherung An Eides Statt auf, in der eben jene Tätigkeit der Tante, die ihr indirekt vom Massenmörder A. H. als Arbeits - und Dienstleistung  für das deutsche Volk aufokroyiert worden war exakt beschrieben war,  ließ diese von meinem Vater unterzeichnen, der die eidesstattliche Versicherung ,der diese dann ihr übergab. Einige Wochen später erfuhr ich, dass der Rentenantrag als vollständig angesehen wurde und meine Tante jene bis dato nicht belegten Zeiten anerkannt erhielt.

Okay, die Rentenansprüche waren nicht sehr hoch. Das einstige von Onkel August - steuerfrei - angehäufte Geld war weg, so dass ich als kleines Dankeschön ein Fläschchen mit einem edlen Tropfen erheilt.

Nun, ja, damit hatte ich de facto umsonst gearbeitet. Dieses allerdings für einen guten Zweck?

      

ORANGE WEDGE  -  Death Comes Slowly  -  1972:




   


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