Tod in der Regenrinne.

Der erste kräftige Herbstwind wehte die längst bunten und welken Blätter der Bäume durch die Luft. Da dieses naturgemäß nicht systematisch erfolgt, lagen sie über all auf den Flächen herum. Jedes Jahr die gleiche Arbeit. Meine Lust, einen Arbeitseinsatz zur Beseitigung der, dann wohl eher lästigen, Begleiterscheinungen des nächtlichen Wetterumschwungs mit Regen, Sturm und kühleren Temperaturen, tendierte gen Null.
Aber: Wie heißt es richtig und zutreffend bei uns Norddeutschen?
" Wat mutt, dat mutt!"

Da schwang ich nun den Besen, schob den Hand geflochtenen Weidenkorb aus Ottendorf - Okrilla mit dem recht Fuß vor mir her und schaufelte das welke Laub in den Behälter. Langsam, aber dafür sicher, erkannte ich die Früchte meiner Arbeit. Der Eingangsbereich war laubfrei.

Es folgten die Terrasse, der Kiesweg und der Waschkücheneingang. Nach weniger als einer halben Stunde war der Spuk vorbei; der Weidenkorb voll und ich lustlos. Dennoch bequemte ich mich auf den Balkon, um dort die Hinterlassenschaften des Herbststurmes zu beseitigen. Überall hatten sich die blut - roten Ahornblätter verteilt. Selbst in der Regenrinne. Mühsam schob ich den undefinierbaren Brei aus Laubfragmenten, winzigen Ästen und Erde von der rechten zur linken Seite und drückte die Pampe aus der Rinne. Beim Übergang zum Fallrohr war dann plötzlich Schluss mit der Säuberung. Irgendetwas blockierte den Ablauf. Ich stocherte mit den Besen in der der Regenrinne herum.
Dann drückte ich den Gegenstand dort heraus.

Es war ein halb verwester Vogelkadaver. Genauer gesagt der Körper einer einst noch jungen Amsel. Dieser hatte den Ablauf verstopft und zu dem Schlamm - Fiasko geführt. Nachdem ich das Corpus Delicti näher inspiziert hatte, stellte ich mir die berechtigte Frage, wie der tote Vogel in die Regenrinne gekommen sein könnte.

Nach einer längeren Überlegungszeit und während ich die traurigen Überreste des Verblichenen auf die Kehrschaufel bugsierte, hatte ich des Rätsels Lösung parat. Einige Monate zuvor hörte ich während einer meiner großen Freitagsnachmittag - Reinemachaktionen ein dumpfes Geräusch; so, als hatte jemand einen Ball oder ähnliches gegen eine Scheibe geworfen. Obwohl ich mich bemühte, die Ursache jenes seltsamen Geräusches ausfindig zu machen, konnte ich nichts Verdächtiges feststellen.
Nun ist mir klar, woher der dumpfe Ton stammte. Es war die Amsel, die sich wohl während eines Flugs irtte und mit voller Wucht gegen die Fensterscheibe zur Balkontür knallte. Die Folgen des Aufpralls waren mir jetzt auch klar - Genickbruch!

Da lag sie, die tote Amsel. Ich kehrte den Kadaver mit dem übrigen Unrat auf die Schaufel und entsorgte das tote Tier. Dabei erinnerte ich mich an eine Passage aus einem Roman, den ich vor langer Zeit gleich zwei Mal gelesen hatte. Der Buchtitel " Kathmandu " von Rene´Barjavel wurde einst vom Bertelsmann Verlag vertrieben. Barjavel versucht einen Einblick in das Lebensgefühl der Nach - 68er Generation zu vermittelt und den herrschenden Zeitgeist zu beschreiben.
In einem der vielen Handlungsstränge erzählt er von einer jungen Frau, die - geschockt von der in Nepal vorgefundenen Armut - einen toten Bettler in einem Rinnstein liegen sieht und sich dabei an ein Erlebnis als Kind zurück erinnerte, als sie sich in einem Wald verirrt hatte und bei dem Versuch wieder nach Hause zu finden, an einen Strauch vorbei ging, in dem ein toter Vogel, starr und auf einem Zweig fest gekrallt, saß und dessen Anblick sie fast zu Tode erschreckte.

Der Tod ist all gegenwärtig, so, wie das Leben uns viele Überraschungen bietet, kommt er plötzlich und unverhofft. Die Natur, die übrigen Lebewesen gehen mit ihm anders um. Vielleicht ist dieses, uns Menschen gegenüber ein entscheidender Vorteil. Wer lebt, muss sich keine Gedanken über den Tod machen. Wer allerdings gedankenlos lebt, kann bald schon tot sein.

Eva Cassidy " Songbird " aus dem gleichnamigen 1998er - Album:








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