Von Tiger - Müttern, Hubschrauber - Eltern und Retalin - Junkies.
Hach, was waren das für normale Zeiten, als wir Kinder in den 1950er bis 1960er Jahren so richtig frei nach Lust und Laune draußen spielen konnten. Ja, wir durften es sogar, weil unseren Eltern, es eigentlich völlig egal war, wo, wie und mit wem wir unsere viele Freizeit nach der Schule verbrachten. Gleichgültig war es ihnen auch, in welcher Form die Ferien verbracht wurden. Ob nun in der Badeanstalt, auf einer Rodelwiese oder im Herbst auf und an den unzähligen Stoppel - und Kartoffelfeldern. Da die Eltern eh nie zu Hause waren, weil sie malochen mussten, interessierte es sie auch nicht, was wir in der unbeaufsichtigten Zeiten so alles an Streichen fabrizierten.
Die Aufsicht begann dann nur zu greifen, wenn es Ärger mit Nachbarn, Lehrern oder anderen Kindern gab. Ab und an setzte es dann Strafen, die - je nach Vergehen - ausfielen. Meistens blieb es jedoch bei mündlichen Ermahnungen.
In der heutigen Zeit sieht es völlig anders aus. Statt dass sich Kinder mit getrockneten Kuhfladen bewerfen, ihre spielerische Ader durch den Selbstbau von Flitzebögen ausleben und hier und da auf hohe Bäume klettern, sitzen die armen Würmchen bereits mit 4 Jahren in irgendeiner schwachsinnigen Fördergruppe und lernen Englisch, Chinesisch oder gurken auf einer gekauften Geige herum.
Kein Raum für Kreativität. Keine Ansätze, sich auszuprobieren. Und vor allem, keine Zeit, um Dinge umzusetzen, die aus dem eignen Hirnschmalz entwickelt wurden. Fantasielose Geschöpfe, die da heran gezüchtet werden.
Für das Lern - KZ sorgen jene Mütter, Väter und Eltern, die in ihrer eigenen Brut als etwas ganz Besonderes sehen wollen. Vielleicht eine Hochbegabte, die da heran reift und eventuell mit 12 Jahren auf die Universität gehen könnte? Oder ein verkappter Galileo - Einstein - Hawkings - Mutant, der bereits mit 21 und ein Keks eine Professur an der " Haward ", dem MIT oder der LSE erhalten wird? Vielleicht ein zukünftiger Herbert von Karajan,? Zumindest aber ein künftiger Monetenmacher a´la´Dieter Bohlen?
Damit aus dem Ein - bis Zweikind - Nachwuchs etwas Gescheites wird, kreisen die Eltern ( das ist eher der Idealfall, aber nicht mehr die Regel ) ständig um ihn herum. Es wird eine permanente Überwachungsstruktur entwickelt, die sich nicht nur in einem randvollen, eigens dafür angelegten Terminkalender des Töchterchen, des Sohnemannes oder - Ausgewogenheit im Erreichen der mathematisch exakten Fertilitätsrate muss sein - beider, solcher Kinder, stehen klare Tagesabläufe. Nachdem die " Pampas " - " Fixies " - " Moltex " - Phase, die dann auch in die " Alete " - " Milupa " - " Hipp " - Zeit nahtlos übergeht, abgehakt ist, wird der nicht mehr ständig quäkende Nachwuchs, statt zur abendlichen Beruhigungsfahrt zum Zwecke des Einschlafens, nunmehr Stunden lang zu den ersten Pflichtveranstaltungen kutschiert. Im Mittelklasse - PKW, meistens jedoch im mit zwei Kindersitzen im oberen Preissegment ( der jeweils " TÜV " - geprüft und von der Stiftung " Warentest " mit mehr als " gut " abgesegnet wurde ) Raten finanzierten Van, fährt " Mutti " - ab Jahrgang 1980, das Fördersubjekt zu Privatlehrern für Chinesisch, Englisch oder Spanisch/Französisch, zu Computer - Einführungskurs oder zum Musikunterricht ( Geige, Klavier ), daran anschließend zum Förderkurs Gymnastik, Schwimmen, Reiten und schließlich zum Grundkurs " Knigge - leicht gemacht! ".
Erschöpft möchten sich die Doppelverdiener - Eltern nach des lieben Tages Müh´n und vom vielen Herumfahren abgeschlafft, den Musestunden bei RTL, Sat1 oder Pro7 mit US - amerikanischen Flachsinnsserien oder sonstigen Eigengewächsen der Unterschichtskanäle widmen, doch die lieben Kleinen geben koa Ruh´. Schon der besorgte Gang zu dem Kinderfacharzt, den Kinderpsychologen oder anderen Klempnern in Weiß, brachte es an den Tag: " Ihr Kind leidet oder ADS oder ADHS. "
Da hilft nur die ständige Einnahme von Beruhigungsmittelchen, vornehmlich " Retalien ".
Alos, ab geht´s in das Bad und an den Arzeineimittelschrank. Hier stehen sie schon parat, die Pharmaprodukte gegen einige unserer sattsam bekannten Wohlstandskrankheiten. Auch die Fettblocker, die Schlankheitskuren, wie " SlimLine - Club P57 ", " Hoyer Honig Figur - Control - Kapseln " oder " Kneipp Figur Balance Brausetabletten " finden hier ihren Platz. Schließlich ist die Konkurrenz jenseits der Mitte 20 immens, auch wenn die zu viel angefressenen Kilo häufig nicht so sehr auffallen, weil frau ja noch zusätzlich Sport betreibt. Ein sicherer Griff in den Giftschrank der Beliebigkeiten aus den unzähligen Pharma - Labors und schon gibt es für die Youngster ´ne ordentliche Dröhnung " Retalin ".
Danach ist Ruhe im Schiff. "Mutti " darf sich entspannen und " Papi " sein Hefeweizen genießen.
Jahre später, das Drogenkartell hat für diese Pharmazie der schulischen Überforderung auch ein Cocktail aus Beruhigungsmittelchen im Angebot, kommen die eigentlich Schwierigkeiten. Aus dem eigenen, dem elterlichen Umfeld ist längst durch gesickert, dass deren Kinder bereits Leistungssportarten betreiben, dass sie ein noch engeres Zeitfenster von deren Eltern aufoktroyiert bekommen haben und dass diese Erziehungsberechtigte darüber wie der Helikopter des ADAC über der Autobahn fliegt, um die Verkehrsentwicklung zu beobachten, täglich - auch an den Wochenenden - wachen. Kein Besuch von Freunden, kein Übernachten bei diesen Fremdlingen und keine Gnade für Lehrer, die an der geballten Intelligenz des Sprösslings zweifeln. Notfalls wird mit unserem Anwalt geben schlechte Benotung usw. gerichtlich zu Felde gezogen.
Das Überwachungsschema ist so engmaschig, das der eigene Nachwuchs keine Zeit zum Luftholen erhält. Trägt der so aufgebaute Druck keine Früchte, werden eben andere Hilfspersonen heran gezogen. Neben den eigenen Fachärzten, konsultieren diese Eltern dann zusätzlich Schulpsychologen. Ferner werden Unsummen für Nachhilfeunterricht ausgegeben. Ändert sich die Leistungssituation des Sprosses nicht, geht´s dann ab ins Internat. Armer Nachwuchs , womit hast du das verdient?
Kürzlich las ich in einer " SPIEGEL " - Ausgabe mit einer Frau Kang, die an der Universität von Vancouver einen Lehrstuhl inne hat und die Auffassung vertritt, dass diese " Tigereltern " in zwei Kategorien einzustufen seien. Jene Gruppe, die Kinder durch Strenge, Verbote und Gebote versucht zu trimmen und über Zwang dann Leistungsdruck aufbauen möchte. Und jene Kategorie, die versucht mittels eines überbehütetem und überkontrollierten Erziehungsstils, den eigenen Nachwuchs auf die als richtig eingestufte Lebensbahn zu zwingen. Beide Erziehungsmethoden lehnt Frau Kang strikt ab.
Sie ertritt damit die Antithese zu der US - Amerikanerin Amy Chua, die sich selbst zur " Tigermutter " in ihrem Buch hoch stilisiert hat und in einem " SPIEGEL " - Gespräch aus 2011 tatsächlich behauptet, dass die Kinder sich summa summarum als leistungsunwillig und faul gebärden, sofern kein erzieherischer Zwang von Seiten der Eltern aufgebaut werden würde.
Aja, von Geburt an eben faul, dick und gefräßig? Oder wie?
Hach, was waren es doch für wunderbare und unbeschwerte Jahre, als wir als Kinder, auch als solche behandelt und gesehen wurden. Kein Leistungsdruck uns erfasste, nur weil die Eltern mit den Nachbarn und Freunden mithalten mussten, um nicht als Außeneseiter abgestempelt zu werden und sich über die eigene Brut selbst verwirklichen wollen, weil die Moneten geile und vom Konsum - Terror bestimmte Gesellschaft es so vorgibt. Wir mussten deshalb nicht in der Schule und im Lehrberuf funktionieren, sondern dort und bei den Eltern gehorchen. Statt " Retalin " gab´s ´ne Tracht Prügel, wenn Widerworte fielen. Statt Hubschrauber - Eltern waren es eher autoritäre Erwachsene, die uns als billige Aushilfen zu ihrem eigenen, materiellen Fortkommen ausnutzten. Dieses " Tigereltern " - Verhalten bestand nicht darin, uns zum Klavierspielen zu zwingen, uns Geige spielen zu lassen oder uns von einem Förderkurs zum anderen zu kutschieren, von einem Sportverein zum nächsten zu karren und uns im blank gewienerten PKW, der, um einen auf Wohlstandsfamilie raus hängen zu lassen, direkt vor den Schul - Eingangsbereich zu kutschieren, damit die anderen Schwachköpfe sehen, wie gut sich auf Pump leben lässt, sondern darin, uns die dreckigen Arbeitsschuhe Samstagsnachmittags putzen zu lassen, den täglichen Abwasch mit zu erledigen und den Hof fegen zu müssen sowie im Winter Schnee zu schippen.
Der Zwang war ein anderer, die Scheiße allerdings, die gleiche.
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