Günter Grass´Kopfgeburten



Wenn sich das Betroffenheitsgeseiere und die Lobhudel - Orgien in diesem, medial verblödeten Land, über den Tod des Künstlers Günter Grass gelegt hat, werden auch die - ihn einst als Schriftsteller  führenden - Verlage umsatzmäßig Hochkunjunktur verzeichnen können. Dann klingeln die Kassen noch weit vor Weihnachten.

Günter Grass schrieb Romane. Diese Werke sind keine leichte Kost. Kein beliebiger Schund, so wie er von den heutigen Feld - Wald - und Wiesen - Schreiberlingen angeboten werden. Seine Veröffentlichungen haben allesamt einen hohen gesellschaftspolitischen Anspruch. Und weil das so ist, blieb er damit Zeit seines Lebens eher ein Wanderer zwischen der gesellschaftlichen Realität und dem intellektuellen Wunschdenken nach einer besseren Welt.

Den Roman " Kopfgeburten " kaufte ich mir kurze Zeit nach seinem Erscheinen 1980. Eigentlich lautet der vollständige Titel ja " Kopfgeburten oder Warum sterben die Deutschen aus ".
Um es gleich vorab zu sagen: Ich war nie ein richtiger, ein überzeugter Grass - Fan. Ob nun " Die Blechtrommel ", " Der Butt " oder " Die Rättin ", " Im Krebsgang " oder zuletzt  " Beim Häuten der Zwiebel ", so wahre Begeisterung kam beim Lesen ( den letzten Roman habe ich mir ganz geschenkt, weil um diesen ein riesen Brimborium veranstaltet wurde ) nie auf.

Ob es daran lag, dass mir die Aufarbeitung mit dem Geschichtsballast III. Reich irgendwann auf den Zwirn ging; ich diese gekünstelte Beantwortung der Kriegsschuldfrage nicht mehr hören wollte oder es nur darum ging, sich von dem bürgerlichen Intellektuellen - Mief der Grass - Leserschaft zu distanzieren, kann ich heute nicht mehr sagen.

Die oben angeführten Werke lieh ich mir dennoch von Freunden und Bekannten aus. Diskutieren wollte ich über jene Romane dennoch nicht. Damals, in den 1970er und 1980er Jahren galt es unter den " Linksintellektuellen " und Studierenden mit Hang zur radikalen Gesellschaftskritik als chic, über solche bürgerliche Literatur bis in die Morgenstunden zu sabbeln. Das tat ich mir nicht an. Ich hörte lieber meine Hardrock - Musik, las meinen abonnierten " SPIEGEL " und beschäftigte mich ganz nebenbei mit der Politischen Ökonomie.

Das Grass den Nobelpreis für Literatur erhielt bewertete ich als konsequent und wegen seiner, ihm angehängten Funktion als geschichtlicher Mahner oder - noch hoch trabender - als Gesellschaftsmoralist, nicht unverdient. Und - weil er, wie ich auch - Willy Brandt - Fan war, habe ich jene Auszeichnung, die in der Kategorie Gesamtwerk / Lebenswerk dann auch Heinrich Böll und später Hertha Müller, einzuordnen ist, es für richtig empfunden, dass auch Grass 1999 geehrt wurde.

Zuvor aber las ich 1980 seinen Roman " Kopfgeburten ". Hier beschreibt Günter Grass ein mögliches Szenario, innerhalb dessen sich (West)deutschland mit den vermutlichen Auswirkungen des oft zitierten demographischen Wandel zu erklären hat. Der Schriftsteller nimmt hierfür ein repräsentatives Beispiel mit dem kinderlosen Ehepaar Dörte und Harm Petersen. Beide habe ihren Allerwertesten im wohlig - warmen Umfeld des Öffentlichen Dienst, des Beamtenstatus und des Privilegienspektrums als Pädagoge eingestellt.
Schön für sie, gut für ihn, schlecht für die BRD.

Weil die norddeutschen Protagonisten lieber in ferne, fremde Länder reisen. War klar, dass in ihrer spießiges Intellektuellenleben mit viel Ferien und guten Verienst, auch der einstige Drittweltstaat Indien hinein passt. Das Portfolio der verbeamteten Lehrer und Weltreisenden zeigt eindeutig auf, warum auch Indien in die Kategorie des Must Have - Tourismus - Erfahrungen, wie die Faust aufs berühmte Auge trifft.

Indien war vor mehr als 35 Jahren, als Grass dieses Werk veröffentlichen ließ, wesentlich ärmer und unterentwickelt. Heute dient das 1,3 Milliarden - Volk als Malocher - Reservoir für kapitalistische Produktions - und Ausbeutungsmethoden im Zuge der Globalisierung und dem daraus resultierenden Konsumfetischismus in den Industrienationen dieser Erde.Hier ist ein Menschenleben, nur so lange es für Hungerlöhne und unter kriminellen Bedingungen arbeit, nur etwas wert.  Dennoch wuchs die Bevölkerung - neben China und in vielen afrikanischen Staaten - beinahe explosionsartig.

Und eben just dieses Thema greift Grass in jenem Roman auf.


Wenn Hetzer und Faktenverdreher, wie Sarrazin und der gestern hier auftauchende " Kaskopp " Wilders sich jenes Themas angenommen haben, ist es nicht mit dem fiktiven Beschreibungen des verstorbenen Nobel - Preisträger zu vergleichen. Günter Grass versucht nämlich dort, die Ursachen für seine Fiktion zu erläutern. Es sind die Trägheit der Wohlstandsbürger, die deutsche Angst und die einstige Stigmatisierung durch Ihresgleichen, die den Michel veranlasste, einen Geburtenrückgang in - vermutlich - bedrohlicher Größenordnung zu produzieren. Lieber wurde gereist, konsumiert und mit über dimensionierten Blechschüsseln auf der Autobahn bis zum technisch möglichen Anschlag gerast, als Kinder in die Welt zu setzen.

Die Petersen´s sind ein solches Beispiel. Und jene Bundesmichel waren einst in der Mehrheit. Dass 9 Jahre später, die Gesamtdeutschen plötzlich auf 81 Millionen aufgestockt wurden, spielt jetzt dabei keine Rolle. Der Schriftsteller konnte ja nicht ahnen, dass der zweite deutsche Staat implodiert und sich im Wohlgefallen aufgelöst hat.

Günter Grass, der Mahner vor der düsteren Zukunft der Bundesdeutschen, des modernen Deutschlands und des vereinten Europas? Damals, mit Sicherheit. Und deshalb ist dieser Roman auch keine wässerige Literatur - Suppe, sondern eher substanziell reichhaltige Kost, denn die Eheleute Grass bereisten zuvor Asien und brachten daraus eine Unzahl von persönlichen Eindrücken mit. Wimmelnde Menschenmassen in Indien bei den Petersen´ s und in Asien bei den Grass´ens.
Wie die Bilder sich doch gleichen.

35 Jahre später stirbt der Verfasser des Werks in Lübeck und hinterlässt ein enormes, künstlerischen Gesamtwerk, dazu 6 leibliche Kinder und eine Erinnerung als Verfechter des sozialdemokratischen Menschenbilds, dass es schon bei Veröffentlichung der " Kopfgeburten " nicht mehr gab.
Dafür sind die Deutschen zwar nicht ausgestorben und werden es wohl auch nicht, aber die Demographie - Probleme, die er anspricht, geblieben. Und - relativ betrachtet - gibt es 17 mal mehr Chinesen, 16 mal mehr Inder und - weit aus bedrohlicher, weil noch ärmer und quasi vor der europäischen Haustür wegelagernd - 14 mal mehr Afrikaner.

Mit diesen beängstigenden Entwicklungen im Kopf, werden die Deutschen - relativ betrachtet - im Jahr 2060 ausgestorben sein. Deshalb müssen sie sich - unter Einbeziehung der reaktionären Dampfplauderer vom Schlage des Wilders, Sarrazins und der PEGIDA - vor einer drohenden Überfremdung schon jetzt schützen.

Baut die Mauer wieder auf! Sofort! In den Köpfen existiert diese ja schon immer!

http://de.wikipedia.org/wiki/Kopfgeburten_oder_Die_Deutschen_sterben_aus


http://zettelsraum.blogspot.de/2011/06/literarische-randnotizen-2-kopfgeburten_07.html

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