48 Jahre nach den 68ern. Was ist von damals noch geblieben?



Seit einigen Jahren wird von der konservativen und reaktionären politischen Seite ein Standardargument in die Diskussion geworfen, wenn es darum geht, den angeblichen Verfall der Werte und Normen in der heutigen Gesellschaft zu erklären: Das liegt an den 68ern und ihre Theorie von einer anti-autoritären Erziehung. So?


Was jene Vereinfachungprediger dem bundesdeutschen Michel - medial aufgeputzt - unterjubeln möchten, lässt sich sehr schnell als Lügengebilde entlarven. Die BRD-Historie nach 1945 ist nicht so einfach auf die sechziger Jahre und deren gesellschaftliche Veränderungen zu reduzieren. Es gab davor und auch danach eine Zeitspanne,innerhalb derer diverse Veränderungen stattgefunden haben. Jede Ära hat hierzu ihre spezifischen Abläufe entwickelt. Ob es nun durch eine besondere Staats - und Gesellschaftsform, durch geführte Kriege oder über ökonomische Veränderungen erfolgte,die Historie eines Landes, einer Population ist nie an einer bestimmten Entwicklung fest zu machen. Eine dynamische Gesellschaft verändert sich permanent. Ob nun über ihre Lebensformen, die geistigen Vorgaben oder das Konsumverhalten - sie alle haben Einfluss auf einen Entwicklungsprozess.So geschah es auch mit der einst jungen Bundesrepublik Deutschland ( BRD ), die im Mai 1949 - aus vielerlei Gründen - aus den Gebieten der amerikanischen, der britischen und der französischen Besatzungszone entstand. Ein geographisch arg geschrumpftes Reichsgebiet und dennoch eine Zukunft für die dort lebenden Menschen.

In den Folgejahren waren diese damit beschäftigt, die Trümmer des Tausendjährigen Reiches zu beseitigen. Es gab viel zu tun, der Aufschwung nach einigen Jahren des Hungers und von Elend und Not geprägten Leben des Restdeutschen, er machte sich breit. Mit ihm entstand dann das Adenauerśche restaurative Westdeutschland, das sich eng an Amerika band und das die Sowjetunion zur feindlichen Welt macht klassifiziert. Mit der Bindung an die USA wurde der Kapitalismus salofähig gemacht. Mit ihm predigten die Regierungen um Adenauer, Erhard und Kiesinger " ora et labora ". Die drei Kś der Frau waren das Ziel der Wünsche für jede Frau; eine Arbeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, ein Auto und die obligatorische Urlaubsreise in den Süden, die des Mannes. Seit zufrieden, bescheiden und vermehret euch!

Doch irgendwann in den 1960er Jahren muckten einige Kinder der Kriegsgeneration gegen diese gepredigte Lebensphilosophie auf. Die Töchter und Söhne aus gut bürgerlichen Häusern wollten es nicht hinnehmen, dass die von den Eltern und auch Großeltern über die Erziehung eingeimpften deutschen Tugenden auch in ihrem Umfeld gelten sollten. Über jene, damals bewegten Zeiten, ist inzwischen viel publiziert worden. Darunter natürlich auch zu viel Unsinn. Neutraler betrachtet, lässt sich dieser Teil der bundesdeutschen Historie, vielleicht so darstellen:


https://de.wikipedia.org/wiki/68er-Bewegung#Bundesrepublik_Deutschland



Weil in den vielen Jahren nach 1968 dann doch viele grundlegende Bedingungen in Staat und Gesellschaft verändert werden mussten, wird dieses von der Literatur  zum überwiegenden Teil auf jene Einflüsse aus dem dem Umfeld der Ereignisse in dem Jahr 1968 zurückgeführt. Sicherlich war nicht alles, was vor 48 Jahren das Dasein in Westdeutschland, in Westeuropa und der westlichen - weil von den USA beeinflussten - Hemisphäre der Welt ausmachte, falsch, schlecht oder verbesserungsbedürftig. Das Rad oder andere Errungenschaften der Menschheit mussten nicht noch einmal erfunden werden. Doch bestimmte Strukturen waren reformierbar und dieses forderte ein Teil der überwiegend jungen Bevölkerung. Ob dabei nun " Mao Tse Tung "zitiert , " Ho Tschi Minh " skandiert oder " Lenin " imitiert wird, bleibt im Endeffekt völlig unerheblich. Allein die Provokation der Marschierenden, der Demonstrierenden und Applaudierenden gegenüber den wütenden Spießern in Westdeutschland hat ausgereicht, diese als verkappte Faschisten zu entlarven.

Und so blieben die Nachwehen jener bewegten Jahre bis in die heutige Zeit spürbar. was dazu führt, dass die Nachkommen jener " 68er ", sich zum Teil bemüßigt sehen, ihre Eltern dafür zu hassen oder zumindest öffentlich demütigen zu müssen. Ein Prototyp eines solchen " 68er " - Geschädigten stellt der " SPIEGEL " - Journalist Jan Fleischhauer dar. In schöner Regelmäßigkeit bläht Fleischhauer in seiner Kolumne " Der schwarze Kanal " gegen jene Generation herum, deren er - zum Teil völlig richtig - vorwirft, als " Linksspießer " just die preußischen Tugenden übernommen zu haben, derentwegen diese vormals auf die Straße zogen, um dagegen zu demonstrieren.

Die deutsche Spießigkeit lässt sich jedoch nicht nur in den Köpfen der " Linksintellektuellen " fest zurren. Es gibt auch " Öko - Spießer ", deren wahres Gedankengut alsbald in dem Erwerb eines ökologisch gefertigten Eigenheims in Freiburg am Breisgau, dem durchgängigen Einkauf von vermeintlich gesunden Lebensmitteln in sündhaften teuren Bio - Läden und politischen Forderungen nach einem " Veggie Day " erkennbar wird und zur Ausgrenzung anderer Bevölkerungsteile führt. Die rechten Spießer sind somit jene Mitbürger, deren Lebenseinstellungen sich auf das kleinkarierte Umfeld beziehen, aus deren Mief sie nie entfliehen können, weil sie Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten haben. Diese Menschengruppe empört sich über abweichende Meinungen zu gesellschaftlichen Themen, obwohl sie doch gerade eine derartig - angeblich divergierende Meinung - mit trägt ( " Flüchtlingskrise, Ausländerkriminalität, Deutsche Leitkultur ).

Der Oberspießer jedoch, trägt von allen diesen preußisch - deutschen Tugenden etwas in sich. Er gibt sich tolerant, pöbelt jedoch im Internet gegen Meinungsabweichler. Er hat ein ökologisches Grundverständnis, kauft jedoch einen Renault - VW/Audi - Diesel - PKW mit manipulierten Schadstoffwerten. Er verbringt seinen Jahresurlaub nunmehr wieder an den heimischen Küsten, weil die Türkei, Griechenland zu unsicher sind und Spanien zu teuer wird. Er versucht ein Eigenheim zu erwerben, weiterhin billig einzukaufen und interessiert sich nur für sich selbst. Die Ein - Kind - Erziehung delegiert er auf den Kindergarten und die Schule.   Die Anzahl dieser Menschen nimmt in beängstigender Weise zu.

Zur Spießigkeit zählt aber auch, anderen Menschen den Spiegel vor deren Gesicht zu halten, um sie öffentlich vorzuführen und zudem sein eigens Ego auf - und den Lebensfrust abzubauen. So ein Spießer ist Jan Fleischhauer, der in seinen Beiträgen durchgängig Vergangenheitsbewältigung betreibt. Ein verspäteter Rachefeldzug gegen sein Elternhaus. In dem er als Teenager unter anderem gesagt bekam, dass er mit Erreichen des 13. Lebensjahrs, nun künftig seine Wäsche selbst zu waschen ( trocknen  und bügeln inbegriffen? ) habe. Welch ein Affront! Was für eine Demütigung! Wäre der gute Jan nur 2 Dekaden später geboren worden, diese Unzumutbarkeit hätte seine zarte Kinderseele nie belastet, denn heutzutage wird die eigene Brut im Wege der voll umfänglich Exklusivversorgung nur mit Samthandschuhen abgefasst. Wer mit 30 noch immer bei Mutti wohnt und sich bekochen lässt, ist zudem ein ganzer Kerl.

Da schrieb Jan Fleischhauer in seiner Kolumne doch glatt:

" Ich hätte erwartet, dass eine Partei wie die AfD den Rat der Klassiker beherzigt, schließlich liegen ihr doch traditionelle Werte am Herzen, wie es heißt. Aber selbst bei der AfD kann man es sich nicht verkneifen, auf der Vergangenheit herumzuhacken. Man wolle weg " vom  links rot - grün verseuchten 68er - Deutschland ", hat der Parteivorsitzende Jörg Meuthen gesagt. .... "

- Zitatende - aus: " DER SPIEGEL " 21 / 2016, S. 10

Dann stellt er sich selbst süffisant die Frage: " Warum musste er die 68er mit hineinziehen? "

Fleischhauer konstatiert sodann, dass diese Altersgruppe längst in Rente gegangen sei. Die Unterstützer und Anhänger von Rudi Dutschke müssten inzwischen so um die 70 Jahre alt sein. Ein Alter somit, was - so Fleischhauers Feststellung - vergesslich machen könnte. Zudem seien viele der so genannten 68er inzwischen taub, wodurch sie berechtigt seien, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Er bezieht sich dabei auf einen Artikel, den er der " Süddeutschen Zeitung " entnommen habe. Danach seien jene Genrationen besonders von Schwerhörigkeit betroffen, die in den 1960ern und 1970ern zu laute Musik ( Rock `N `Roll usw. ) gehört hätten.

Da seien die Lärnmgeschädigten zu Rock - Konzerten gepilgert, wie jene der Gruppe " The Who ", bei denen dann Phonstärken von bis zu 120 DB gemessen worden seien. Dieses hätte nun der Hörgeräteindustrie ein riesiges Geschäftsfeld eröffnet.
Aber, vor allem seien die 68ern alles andere, als politische Aktivisten gewesen, die mit ihren Aktionen zur Demokratieerhaltung ( und den Reformen ) beigetragen hätten. Es seien immer nur einige Hundert Demonstranten auf die Straße gegangen; der größte Teil sei damit beschäftigt gewesen, den selbst verursachten rausch vom Vortag auszuschlafen.

Dann kommt Jan Fleischhauer zum eigentlichen Kern seiner Kolumne, die er " Erbarmen mit den 68ern " betitelt hat:

" Muss man sich am Ende bei Meuthen und der AfD bedanken? Es gibt für alte Menschen nichts Schlimmeres, als in die Bedeutungslosigkeit zu sinken. Gut möglich, dass man sie für alles verantwortlich macht, was in den letzten 50 Jahren schiefgelaufen ist. Wer an allem schuld ist, wird nie bedeutungslos "

- Zitatende - aus: a.a.O:

Das ist purer Sarkasmus. Und, richtig, er führte zu einer Reaktion. Die Leserbriefe jener sich von dem Traktat Angesprochenen ließen denn auch nicht lange auf sich warten:

Wir zwei 68er ha­ben Er­bar­men mit Jan Fleisch­hau­er und ord­nen sei­ne „Mei­nung“ un­ter dem Be­griff „Re­al­sa­ti­re“ ein. Wir sind we­der schwer­hö­rig und hals­star­rig noch ver­gess­lich. Wir kön­nen uns auch ge­gen Ver­all­ge­mei­ne­run­gen und Un­ter­stel­lun­gen weh­ren. Be­son­ders schlimm ist, dass Jan Fleisch­hau­er mit sei­ner „Mei­nung“ die Mei­nungs­frei­heit miss­braucht. "

- Zitatende - aus: " DER SPIEGEL " 23 / 2016, S. 144

Fleischhauer, inzwischen selbst 54 Jahre alt, möchte natürlich provozieren. Andererseits ist es ihm immer noch nicht gelungen, seine Traumata aus der Kinder - und Jugendzeit abzuarbeiten. In seinem Buch " Unter Linken " gibt er einen kleinen Eindruck davon, was ihm, der aus einem " Linksspießer - Haushalt " in Hamburg stammt, so alles im Leben an schrecklichen Ereignissen widerfahren ist. Der arme Jan! Von Mitschülern als " linke Ratte " und schlimmer, heftig beschimpft. Von den Eltern in seiner Pubertät allein gelassen. Und von dem linken Umfeld auch noch unverstanden geblieben. Was gibt es noch dramatischeres an Begegnungen?

Ehrlich gesagt, mir sind die so genannten 68er als Jugendlicher oder besser als Noch - Teenager in dem piefigen Malocher - Haushalt so nie bewusst geworden. Hier galten andere Lebensinhalte, die da hießen: Arbeiten, Kohle machen, Urlaub machen, Schnauze halten!
Diese Erziehung wurde alsdann auch mittels prügelnder Eltern und Lehrern mit schlagenden Argumenten umgesetzt. Da waren die angeblichen " freien " Mitläufer der Generation um Dutschke, Teufel, Langhans, Obermaier weit, weit weg.

Und während ich mich durch die Volksschule quälte, eine Le(e)hre begann und die westdeutsche Nation als Zwangsverpflichteter vor der Bedrohung aus dem bösen Osten mit beschützen musste, indem ich am G3, der P1 und der Utzi das Schießen lernte, verflogen die revolutionären Gedanken in mir, noch ehe sie wirklich aufkommen konnten. Einzig meine präferierte Rockmusik wurde über die Jahre zum Freuden - Elixier und gab mir die Kraft, auch jene dunklen Zeiten der prä - faschistischen Prügel - und Steinzeiterziehung zu durchstehen.

Und während hierbei der Gedanke und die Vorstellung größer wurde, alles andere zu werden, nur nicht so, wie die Generation meiner Eltern, hatte das Glück, später auf jene Hochschullehrer zu treffen, die allesamt den so geschassten " 68ern " angehörten. Wahrhaftig, bei der Seele meines im KZ für seine proletarische Gesinnung eingepferchten Großvaters, sie haben mir nie etwas Böses getan. Im Gegenteil: Wegen derer kritischen Einstellung zu herrschenden Lehre, bekam ich erst einen Einblick über jenen Teil der Wissenschaft, der auch damals nicht behandelt wurde.

Und just mit diesem Wissen behauptet ich jetzt, dass jenes Pamphlet, was aus dem Hirn des Jan Fleischhauer hier veröffentlicht wurde, allenfalls als Realsatire genutzt werden kann. Beinahe 50 Jahre danach darf sich die APO nun AfD nennen. Ihren geschwurbelten Patriotismus Umsatz steigernd und Gewinn bringend auf dem Markt der unendlichen Dämlichkeiten feil bieten und darauf warten, dass ihre Parteimitglieder als Abgeordnete in den vielen Quasselbuden die innerhalb der Legislaturperiode erworbenen Pensionsansprüche später dazu verwenden, ihrem jetzt noch eingeschränkten Konsum - Wahn auszuleben, so, wie Fleischhauer es vorexerziert.

Die Kinder der 68er sind zumeist nicht in deren Fußstapfen getreten, sondern frönen dem totalen Konsum, haben inzwischen selbst Kinder hervor gebracht, die sie zu Egoisten verziehen dürfen, die dank Bulemie - Lernen, einem geschenkten Abitur und einem völlig verschulten Studium, dann AfD wählen.

Was ist von den 68ern geblieben? Nicht viel!



Kommentare

BB Winterthur hat gesagt…
Ich bin auch Jahrgang 1953.
Heute habe ich alte Platten umgeräumt. Einige, lange nicht gehörte, aufgelegt.
Amon Düül II zum Beispiel. Ich wollte wissen, was aus Renate Knaup, aka Henriette Krötenschwanz, geworden ist. Und habe gegoogelt. Was ich weiss, ihr Bruder, der Herbert Knaup, spielt oft in deutschen TV-Krimis.
Beim Googeln bin ich auf deinen Blog gestossen...
Gelesen und gelesen. Alles sehr vertraut. Das tut gut! Bleibe dabei.
Alles Gute und Gruss aus der Schweiz. BB

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