Der Fischreiher von Todenmann
Als vor mehr als 50 Jahren auch in Niedersachsen die so genannte Gebiets - und Gemeindereform in Kraft trat, musste ein Dorf mit dem eher gewöhnungsbedürftigen Namen Todenmann, die bisherige, relative Eigenständigkeit aufgeben und seitdem verwaltungsrechtlich als Teil der nahegelegenen Stadt Rinteln gilt, zählte dieses Ereignis für dessen Bewohner eher als notwendiges Übel. Ausgehend von einem nicht nur dort bestehenden Quantum an Lokalkolorit nahmen die Bewohner die damit verbundenen Änderungen denn mindestens murrend hin.
Die lebten nach wie vor in ihrem gewohnten Umfeld. So auch ein einstiger Landwirt, dessen Resthof visavis der den Ort durchlaufenden Landesstraße 441 lag. Um sein sehr überschaubares Einkommen auszubessern, verpachtete dieser einen leicht bewaldeten Teil seiner Ländereien, die ebenfalls an jener L 441 zu finden waren. Das nahezu idyllische Areal hatte eine Besonderheit: Auf ihm plätscherte ein Rinnsal seicht vor sich hin, ehe jener Wasserlauf sich in einer Senke zu einem kleinen Teich sammelte und dort sukzessive versickerte.
Ein solches Areal ist nicht nur im Weserbergland immer wieder anzutreffen. Winzige Wasserläufe entstehen quasi im Nirwana, suchen sich gurgelnd, gluckernd, nicht selten mäandernd ihren Weg durch den Boden und / oder das Gestein, um sich irgendwann wieder in deren Untergrund zu begeben.
So auch in Todenmann, in der Nähe der Stadt Rinteln, an der sie durchlaufenden Weser.
https://de.wikipedia.org/wiki/Todenmann
Die Region ist oder war es wenigstens eher regenreich. Bedingt durch die vom Südwesten kommende Weser, das bis zu 495 Meter hohe Mittelgebirge Weserbergland mit der " Porta Westfalica " als geografischen Abschluss oder Trennung von dem folgenden Wiehengebirge und des dort überwiegenden Mischwaldes, sind kleinere Bäche ( eher Rinnsale ) eben keine Seltenheit.
Dieses sind ideale Voraussetzung für die Anhänger und Freunde des Angelsports sowie der Fischzucht.
Als mein Schwager, der vor vorgestern seinen 72. begehen durfte, irgendwann in den letzten Zuckungen der bewegten 1970er Jahre einen Angelschein erwarb, war für wohl schon damals klar, dass er nicht nur seine Freizeitgestaltung an den von dem Rintelner Fischereiverein gepachteten Gewässern ausüben würde. Zusammen mit seinem längst verstorbenen Bruder und einem Bekannten pachtete er von dem besagten, vormals als Landwirt tätigen Todenmanner eben jene überschaubare Fläche mit dem Wasserlauf an der L 441.
Der jährliche Pachtzins lag im unteren dreistelligen DM - Bereich. Zudem wurde dieser gedrittelt. Was ganz im Sinne meiner schon damals geizigen Schwester war. Diese hat das Sparfuchs - Gen unserer Mutter sowie den tradierten Sparsamkeitswahn des Vaters über die Folgejahrzehnte in nahezu pervertierter Form gelebt, womit klar war, dass auch die Folgekosten des Fischteich - Projektes meines Schwagers nie in das Unermessliche steigen durften.
Nun, dass Vorhaben nahm im Laufe der Folgejahre Gestalt an. Der Teich wurde vergrößert, in zwei Flächen unterteilt, ein Zu - und Ablauf - beinahe professionell - gelegt und zudem bekam das Pachtgrundstück ein schmuckes Holzhäuschen, in dem nicht nur die erforderlichen Gerätschaften, wie Kescher, Netze, Angeln, deponiert waren, sondern auch weitere, den Aufenthalt angenehmer gestaltende Utensilien.
AD´ABSURDUM - Sunshine Baby - Zeitverschoben - 2014:
Nun, die Wochen und Monate vergingen. Das Projekt entwickelte sich. Die drei Herren konnte aus den beiden Teichen bald zu jeder Zeit mehrpfündige Regenbogenforellen herausfischen. Und weil in jedem Jahr neuer " Besatz " für einige Hundert DM gekauft wurde, schien der Nachschub dieser Delikatesse beinahe unerschöpflich zu sein.
Doch: Eines Tages geschah das Unfassbare. Einer der drei Herren entdeckte an den Randbereichen der beiden Forellenteiche verdächtige Spuren. Teils lagen dort Fischschuppen, teils Grätenfragmente, außerdem waren nasse Schleif - sowie Fußspuren eines größeren Vogels deutlich erkennbar. Auch in den folgenden Tagen waren diese verdächtigen Spuren zu sehen. Ein Krisengespräch unter den drei Hobby - Fischern kam zu dem eindeutigen Ergebnis, dass es sich um einen Graureiher handeln muss, der hier sein Unwesen trieb.
https://de.wikipedia.org/wiki/Graureiher
Kaum war jener Feind erkannt, sinnierten die Herren über Abhilfemaßnahmen. Zunächst spannten diese ein engmaschiges Netz über die beiden Wasserflächen. Dadurch sollte der direkte Zugriff des Räubers verhindert werden. Tatsächlich verhinderte dieses Hindernis, dass sich der Reiher wieder in die seichteren Stellen des Wassers begeben konnte, um dort Beute zu machen. Doch es dauerte nur einige Tage, ehe der räuberische Vogel die Schutznetze nahezu wirkungslos machte. Der Graureiher stellte sich jetzt einfach auf eines der Spannseile und wartete geduldig ab, bis kleinere Forellen sich arglos im Wasser näherten, dann schlug er zu. Die Jungforellen passten locker durch das grobmaschige Schutznetz. Der geschickte, aber auch sehr scheue Vogel musste jetzt zwar längere Zeit bei seinem Beutezug verbringen, wurde aber deshalb nicht weniger satt.
Die Freude über ihren vermeintlich geglückten Coup währte bei den drei Teichbesitzern nur wenige Wochen, denn dann bemerkte sie, dass ihr teurer Jungfischbestand sich rapide verringerte. Schon bald waren nur noch große Forellen zu sehen. Die Alarmglocken läuteten erneut. Wieder saß das Trio zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Es war längst Sommer, die Tage waren lang, die Nächte kurz, der nächste Morgen graute bereits ab 4.00 Uhr heran. Der räuberische Vogel beginnt seine Fressaktivitäten just in diesem Zeitraum. Also legte sich an jedem neuen Tag einer der Forellenteichbesitzer auf die Lauer, um mit einer leistungsstarken Taschenlampe, einem Metalllöffel sowie einem Bierglas bewehrt, den Räuber zu vertreiben.
Der zeigte sich nach einiger Zeit denn auch, wurde jeweils vertrieben und kam dann nicht wieder. Die Forellenteichbetreiber schienen erleichtert. Der Herbst kam, von dem Graureiher ward nichts mehr zu sehen. Die Anlage wurde alsdann winterfest gemacht und bis zum Frühling des nächsten Jahres schlief sie den Schlaf der Gerechten. Nur zum Füttern erschien einer der Männer.
Im Frühling kauften die Männer wieder Jungforellen und setzten diese aus. Doch der Bestand verringerte sich erneut. Die erneut aufgefundenen Spuren belegten, dass der Reiher zurückgekehrt war. Die Männer spannten erneut die Netze. Doch dieses half wiederum nur bedingt. Der gefräßige Vogel dezimierte den Bestand an Jungforellen zusehends.
Dieses Mal sollte er nicht zu nachtschlafender Zeit von einem der Männer vertrieben werden. Meinem Schwager reichte es endgültig. Er setzte sich an einem frühen Morgen in einen Stuhl vor der Blockhütte. stellte sein Luftgewehr seitwärts hin und wartete. Dann zeigte sich der zirka 90 cm große Vogel und schritt gemächlich zu dem vorderen Teich. Es war sein letzter Gang. Er wurde an der Seite zu der Teichbegrenzung begraben.
Die Forellen gediehen in jenem Sommer prächtig.
KANOI & KRPL - Poseidon ( Is Hardly Ever Satisfied ) - Das Blutige Samenkorn - 2016:
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