Harald I.s Plattenladen

 



Ab den späten 1960er Jahren entwickelte sich ein Wirtschaftszweig, der eng mit der aufkommenden Unterhaltungselektronik verknüpft war: die Schallplattenbranche. Mit zunehmenden Wohlstand in der BRD wuchsen auch die Ansprüche an Konsumartikel. Hierzu zählten auch Vinylscheiben.

Die wurden vor mehr als 70 Jahren noch in den einstigen Rundfunk - und Fernsehfachgeschäften als Beigabe angeboten, weil die Auflagen der schwarzen Scheiben noch sehr gegrenzt waren und deren Preise in Relation zu den damaligen Verdiensten als sehr hoch zu nennen ist.

Das änderte sich dann in den Folgejahrzehnten.

Schon bald gab es in diversen Geschäften eigne Plattenabteilungen. In dieser Zeit explodierte nämlich der hierfür geschaffene Markt. Statt nur wenige Zehntausend gepresste Vinylscheiben wuchs - abhängig von den Künstlern und deren Bekanntheitsgrad - die Auflage alsbald in Millionenhöhe. Die Plattenindustrie produzierte was das die Anlagen hierfür hergaben. 

In dieser Zeit träumte ich beim Abspielen meiner angewachsenen Singlesammlung davon, einst selbst einen Plattenladen zu betreiben und damit unbeschränkte Möglichkeiten erhalten zu können, die neusten Werke meiner Beat - und Pop - Lieblinge abspielen zu können. Meine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmannsgehilfen bot zur Umsetzung dieses Wunsches eigentlich eine solide Grundlage.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der dreijährigen Ausbildung rief der Barras - es blieb somit bei einem gehegten Wunsch. Stattdessen kaufte ich mir lieber einige Hundert Vinylscheiben. Nach vielen Jahren war dieses der risikolose Weg, um an Musikstücke zu gelangen. So blieb mir das erspart, was einem ehemaligen Mitschüler aus den Zeiten der BAS und FOS in Stadthagen widerfuhr. Er eröffnete nach der Beendigung der beiden Schuljahre zusammen mit einem Bekannten in Stadthagen ein Schallplattengeschäft.

Diese Idee hatten allerdings einige Tausend vor und nach ihm. Dennoch schaute ich dann und wann während ich meine Eltern aus Wilhelmshaven kommend, besuchte, bei ihm vorbei. Ich hatte dort ein BWL - Studium begonnen und kaufte mir von dem eher geringen Geldbetrag, der mir zur Verfügung stand, eine LP bei ihm. Harald I., so heißt der Mitinhaber des Plattenladens in Stadthagen, war eigentlich ein profunder Kenner der Free - Jazz - Szene. So bot er in seinem Geschäft natürlich auch Alben aus jenem Genre an. Da standen Werke der " Globe Unity ", Derek Bailey, Willem Breuker Kollektief, Peter Brötzmann mit seiner Gruppe " Last Exit ", Gunter Hampel, Peter Kowald, Joachim Kühn, Maggie Nicols, Evan Parker usw. in den Ständern und Regalen. Musik, die wegen des nur sehr begrenzten Interessentenkreis, sich eher als schwer verkäuflich zeigte.

Harald I. und sein Mitstreiter verkaufte deshalb vor allem aber gängige Alben aus jener Zeit. So Platten von " Ash Ra Tempel "  über " King Crimson " bis hin zu Neil Young und Frank Zappa. Die Stücke von " Pink Floyd " bewertete Harald I. einst als Tanzmusik. So ganz falsch lag er damit nicht. Allerdings zeigte sich diese Musik als verkaufsträchtig, während die Alben seiner Free - Jazzer, die sich eher als links - orientierte avantgardistische Künstler verstanden, wie Blei in den Schubern standen.

Dass die Plattenläden - so auch der von Harald I. und Kollege - nicht immer ein breit gefächertes Angebot vorwiesen, dürfte damals selbst redend gewesen sein. Schlager, Tanzmusik oder Pop suchte ein sie aufsuchender Kunde dort vergebens.

Der Plattenladen war somit eher ein Treffpunkt der lokalen Jugend oder jüngeren Generation, um sich dort über Musik auszutauschen. Er unterschied sich damit nicht wesentlich von anderen Mitbewerbern, die unter den Namen, wie " LP - Shop ", " Die Rille " oder " Ear " einige Tausend Schallplatten in eigens hierfür konstruierten Verkaufsständern anboten.

Was für einen Außenstehenden zunächst als eine Form des Auslebens individueller Freiheit aussah, entpuppte sich bereits ein bis zwei Jahre nach der Ladeneröffnung als Kostenfalle, die direkt in die Pleite führt. 

Die Margen zwischen einer ausgepreisten Schallplatte und dem Einkaufspreis der Vinylartikels waren überwiegend vorgegeben. Damit mussten sämtliche Kosten, die der Plattenladen monatlich verursachte, abgedeckt werden. Dieses Risiko gilt damals wie heute:

https://www.reddit.com/r/vinyl/comments/8tk38z/how_much_money_do_record_stores_make_per_record/?tl=de

In der Blütezeit schossen dennoch Tausende Schallplattengeschäfte wie Kraut aus dem Boden und verursachten untereinander einen enormen Konkurrenzdruck, der sich mit der Gründung von Verkaufsketten, wie " JPC ", " Saturn Hansa " oder dem Versandhändler " 2001 " noch verstärkte. Sicherlich wurden in jener Dekade weltweit Hunderte Millionen Vinylscheiben hergestellt und auch verkauft, doch aus den oben genannten Gründen überlebte nur ein verschwindend kleiner Teil. Die Mehrzahl der Läden musste bereits nach einer kurzen Zeit wieder schließen; deren Betreiber erkannten - günstigstenfalls - rechtszeitig vor dem Konkurs, dass damit kein Geld zu verdienen war.

So auch Harald I. und seine Free - Jazz - Kumpel aus Bückeburg mit dem Geschäft in der Stadthäger Altstadt.

Wenige Jahre nachdem Harald seinen Platten - Shop für immer schloss, eroberte eine andere Form der Musikkonservierung den globalen Markt: die Compact Disc, auch als CD bekannt. Hiermit ließ sich zumindest über fast ein Vierteljahrhundert ordentlich Geld verdienen. Allerdings nur für Teile des gigantischen Geschäftszweiges. Die Entwicklung kam indes für den Free - Jazz - Fan Harald I nebst gleichgesinnten Freund aus Bückeburg zu spät. Er verdiente seinen Lebensunterhalt wieder in seinem erlernten Berufs als Großhandelskaufmann. 


GLOBE UNITY ORCHESTRA  -  Ode  -  1970:




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