" Für immer Sommer 1990 " im Winter 2020.
Seit der Nacht vom 4. auf den 5. Januar ist es nun endlich richtig Winter geworden, denn ab 4.00 Uhr morgens begann es zu schneien. Nicht sehr kräftig, aber immerhin so, dass zum hiesigen Feiertag " Heilige Drei Könige " eine zirka 5 Zentimeter hohe Schneedecke liegen blieb. Da hieß es ab den Nachmittagsstunden, vor dem Hausgrundstück muss Schnee geräumt werden. Eine längst nicht mehr übliche Tätigkeit, die in einigen Regionen Europas und dieses Landes allerdings noch zur Routine wird. Hier, im Voralpenland dann eher nicht. Hier hat die Erderwärmung, der so genannte Klimawandel, dazu gehört, dass die vor vielleicht 50 Jahre zuvor oft ab Anfang November registrierten Schneefälle und ein dazu frostiges Winterwetter, eher selten geworden sind.
So schneite es dann Stunden lang. Die weiße Pracht bliebt bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt sogar liegen. Doch, wie lange noch? Schnee ist gefrorenes Wasser. Wenn es wärmer wird, schmelzt er dahin. Schnee ist also vergänglich. So, wie unser Leben selbst auch. Oft bleibt dann nur die Erinnerung an das Vergangene, das Gewesene, an das, was nicht mehr wieder kommt.
Es ist nicht Winter, sondern Sommer, in der jene filmische Handlung spielt, die den Stoff für den am 6. Januar 2021 gezeigten Film im " Ersten ", bildet. Es ist genauer gesagt, der Sommer des vergangenen Jahres, der " Corona " - Sommer 2020, also.
Der Investment - Banker Andy ( wohl Andreas ) Brettschneider lebt in Frankfurt am Main. Er hat vor 30 Jahren seinen Geburtsort in Mecklenburg den französischen Städten Marseille und Lyon verschlug es ihn nach Frankfurt am Main, wo er durch- Vorpommern verlassen, um seinen beruflichen Weg zu finden. Über einen längeren Aufenthalt in eine Beteiligung an einer Investmentfirma zum Millionär geworden ist. In einem Gespräch mit seinen beiden Partnern wird er mit einem Vorwurf konfrontiert, der 3 Jahrzehnte zurück gelegen haben soll.
Es war Sommer 1990. Die DDR existierte eigentlich nicht mehr. Sie löste sich durch den Beitrittsbeschluss der letzten Volkskammer im Sommer 1990 de jure auf. Diese schleichende Selbstauflösung bedeutete aber für viele DDR - Bürger den sozialen Abstieg. Zu Hunderttausenden verließen sie ihr Heimatland, um im Westen ihr Glück zu suchen. Wer allerdings dort blieb, dem erging es wohl möglich so, wie einigen der ehemaligen Mitschüler von Andy.
Doch Andy, der sie jetzt in seiner alten Heimat in der mecklenburgischen Provinz aufsucht, hat ein existenzielles Problem, dass er binnen eines Wochenendes aus der Welt schaffen muss. In einem anonymen Schreiben wird ihm vorgeworfen, während einer Feier am Abend des 8. Juli 1990 eine einstige, auch dort anwesende Mitschülerin vergewaltigt zu haben. Ein gravierender Vorwurf, der zum abrupten Karriereende und zum Ausschluss aus der Investmentfirma führen könnte.
Andy möchte das Problem sofort klären und fährt zunächst zu seiner Mutter, die in Fulda / Hessen lebt. Auch die " Muddern " hat einen Brief gleichen Inhalts bekommen. Sie ist sehr beunruhigt, aber nicht, weil sie um ihr - wohl von Andy´s verdienter Kohle - erworbenes Eigenheim mit schmucken Garte und Rasenroboter " James " fürchtet, nein, weil sie ben " Muddern " ist und ihren Sohn liebt. Egal, was aus ihm jetzt geworden ist. " Muddern " weiß, dass eine ehemalige Schulkollegin jetzt in Salzgitter lebt und dort angeblich als Ärztin arbeitet. Nach einem kurzen Aufenthalt bei " Muddern " fährt Andy in die niedersächsische Stadt, wo er die einstige Mitschülerin Katrin als Sprechstunden - oder Arzthelferin in einer urologischen Praxis antrifft. Aus der vermuteten Ärztin ist eine, auf Sex - Appeal getrimmte Endvierzigerin geworden, die vormals als Stripperin in Los Angeles gearbeitet hatte. Nach einem kurzem small talk kommt Andy zur Sache. Er bietet Kartin Geld an, damit sie zu den Vorwürfen künftig schweigt. Das Gespräch eskaliert; Katrin wirft Andy aus der Praxis.
Seine nächsten Stationen sind die brandenburgische Stadt Neuruppin. Hier wohnt der einstige Schulkollege Sven, der jetzt einen adligen Namen seiner Frau trägt und als Versicherungsvertreter sowie Motivationstrainer tätig ist. Sven hat es zu einem gewissen Wohlstand gebracht, verstrickt sich aber in dem Gespräch mit Andy in abstruse Verschwörungstheorien und macht auf Andy auch sonst einen abgedrehten Eindruck. Von Neuruppin fährt Andy, der bei Sven seine chice, elektrisch betriebene Mittelklasse - Limousine kurz auftankt, zurück nach Leipzig, wo er Annett aufsucht, die dort mit ihrem mann und einer Tochter in einer großzügigen Altbauwohnung lebt. Annett erzählt ihm, dass auch sie eine E - Mail mit dem Vorwurf, Andy habe an jenem 8. Juli 1990 eine Mitschülerin vergewaltigt, erhalten habe. Die Mail wurde mit Marina abgezeichnet, die ebenfalls an jenem Abend anwesend war.
Andy fährt von Leipzig aus zu seinem Geburtsort, der den fiktiven Namen " Grievow " trägt, um eben jene Marina dort aufzusuchen. Dort angekommen, trifft er die vormalige Mitschülerin. Sie lebt zusammen mit ihrer Mutter in einem herunter gekommenen Haus, das den Charme der DDR ausstrahlt und arbeitet in der ambulanten Pflege. Tatsächlich hatten Marina und Andy in jener Nacht des 8. Juli 1990 gemeinsamen Sex. Doch sie habe es eigentlich nicht gewollt, weil sie in den Mitschüler Ronny verleibt war.
Den sucht Andy zum Schluss im Ort auf. Er trifft jedoch zunächst nur dessen Schwester Berit, die mit dem verdienten Geld im Westen ein Bistro eröffnen wollte. Doch wegen der " Corona " - Pandemie sei das Projekt zurzeit nicht durchzuführen.
Dann trifft Andy den Schulkollegen Ronny. Nach einiger Zeit erzählt dieser ihm, dass er als Soldat in Afghanistan und im Kosovo gewesen sei. Beide trinken einige Bierchen, ehe Ronny einräumt, der Verfasser der anonymen Briefe zu sein. Am folgenden Tag erschießt sich Ronny mit einer Pistole.
https://de.wikipedia.org/wiki/Für_immer_Sommer_90
Nun mag der Film, in dem Charly Hübner, ein Schauspieler mit DDR - Wurzeln, den Hauptprotagonisten authentisch darstellt, einige Aspekte des schwelenden " Ossi " - " Wessi " - Konflikts aufzeichnen, doch der eigentliche Aussagewert des Fernsehfilms liegt ganz woanders. Nämlich darin, dass die Menschen derart verschieden sind, obwohl sie vielleicht unter dem Strich betrachtet, die identischen Bedingungen vorliegen haben. Die ehemalige Abiturklasse aus der mecklenburgischen Provinz ließ sich eben nicht in arme oder reiche Kinder unterscheiden. Wohl aber in Mutige und Zauderer. Wer die offenen Grenzen zum Westen als Chance sah, konnte tatsächlich aus der zukunftslosen Enge der Provinz entfliehen. So, wie es ja die Mehrzahl der gezeigten Mitschüler von Andy auch gemacht hatten.
Ob aus allen Wünschen, Vorhaben oder Träumen letztendlich ein Stück weit Realität heraus kommt, liegt auch in der Person selbst.
Und, nein, der Typ Andy ist kein " Arschloch ", so wie es der " SPIEGEL " - Rezensent Christian Buß gerne sehen möchte. Wer von seinem - wie auch immer berechtigt oder nicht berechtigen Vermögen - seine Mutter, eine Witwe oder Geschiedene, finanziell unterstützt und nicht in der verarmten Pampa Mecklenburgs verrotten lässt, wer eine herum krepelnde Gastronomin ohne Bedingungen finanziell unter die Arme greifen möchte, weil er an ihr Projekt glaubt, der kann per se kein schlechter Mensch sein.
Am Ende des nachdenklich machenden Films fällt mir Goethe ein:
" Auf des Glückes großer Waage / Steht die Zunge selten ein; / Du mußt steigen oder sinken, / Du mußt herrschen und gewinnen / Oder dienen und verlieren, / leiden oder triumphieren, / Amboß oder Hammer sein. "
Er hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen.
TRAFFIC - Walking In The Wind - When The Eagle Flies - 1974:
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