Die pünktliche Pharmareferentin




Es war Mittwoch, der 1. Dezember 2021. Ein kühler Morgen mit Temperaturen um die 2 Grad. Eher ungemütlich und eigentlich noch zu dunkel, um den Arbeitstag zu beginnen. Aber, nicht nur die Sachsen - Anhalter sehen sich als das Land der " Frühaufsteher ".

Vor der " Eho - Apotheke " in der Bahnhofstraße füllte sich der Parkplatz zusehends. Auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurden die Parkflächen langsam voller. Nein, auch die Echinger - besser: wir Echinger - sind Frühaufsteher. Das liegt nicht nur daran, dass ab spätestens 7.30 Uhr das Fahrzeugaufkommen wegen der ab 8.00 Uhr beginnenden Schule zunimmt. Auch viele Geschäfte öffnen um diese Uhrzeit; nicht weniger bereits ab 7.00 Uhr.

So beobachtete ich mit dem Katzentransportbehälter in der Hand, das rege Treiben rund um die Parkflächen und hierbei, dass auch eine " fremde " Kennzeichen unter den heran nahenden PKW waren. Besonders fiel mir ab einer weißer Mercedes aus der A oder vielleicht sogar B - Klasse mit einem Leverkusener Kennzeichen auf. " LEV "? Was hat der hier in Oberbayern zu tun? 

Beim näheren Hinsehen erkannte ich trotz der getönten Scheiben, dass sich eine Fahrerin hinter dem Steuer befand. Sie schien zu telefonieren. Während ich noch auf die Tierärztin wartete, überlegte ich, dass das Fahrzeug mit dem Leverkusener Kennzeichen irgendwie mit der nur 10 Meter entfernten Apotheke zu tun haben könnte. Dann hatte ich eine Antwort auf die mir selbst gestellte Frage nach dem Zweck des dort parkenden " LEV " - Kennzeichens. In Leverkusen befindet sich das Hauptwerk des " Bayer " - Konzerns. Jenes Pharma - Riesen, der jährlich zig Milliarden Euro mit seinen zahllosen Produkten umsetzt.

Gegen 10 Minuten nach 8 wurde die Fahrertür des Mercedes geöffnet. Eine zirka 1,70 Meter große, schlanke, adrett gekleidete Frau, so Mitte bis Ende 20 stieg schwungvoll aus, ließ die Autotür mit eine gekonnt lässigen Armschwung sanft zufallen, begab sich mit kurzen, dynamisch wirkenden Schritten zum Heck des weißen PKWs , drückte dabei auf ihren Autoschlüssel und ließ die Kofferraumklappe hoch fahren. Sie griff dort hinein und zog einen Trolley heraus. Dann schloss sich die Heckklappe des Mercedes wieder. Die Frau zog derweilen den Transportgriff des schwarzen Reisekoffers nach oben, ergriff diesen mit der rechten Hand und tippelte, den rollbaren Koffer hinter sich her ziehend, mit festen Schritten in Richtung Apotheke. 

Ich beobachtete sie dabei. Ihr Gesicht zeigte leichte Anspannung, jedoch einen entschlossenen Ausdruck. Ihre Augen sahen tatsächlich auf die Apotheke. Mir fiel dabei noch ihre, eher in die späten 1990er Jahre hinein passende Frisur auf. Sie hatte einen Sauerkraut ähnlichen Schnitt, leicht gelockt, eine Art Dauerwellen - Variante, in einem blonden Ton Farbton gehalten. Insgesamt machte die Mercedes - Fahrerin auf mich den Eindruck einer typischen Vertreterin, einer Handelsvertreterin, wie es sie im Westen Deutschlands ab dem Ende der 1950er Jahre zu Tausend gab.

Es musste sich dann wohl um eine Pharmareferentin gehandelt haben, denn ein weißer Mercedes mit Leverkusener Kennzeichen, gegen kurz nach 8.00 Uhr morgend in der Nähe einer Apotheke? So viele Zufälligkeiten? Nein!

Diese Art Berufstätigkeit ist anstrengend. Nicht nur, weil die Frau einige Tausend Autobahnkilometer pro Monat abschrubbt, sondern weil sie auf Provisionsbasis tätig ist. Zudem in einem Team von - überwiegend - Kolleginnen, das nicht nur untereinander konkurriert, sondern zudem auch innerhalb des Giganten " Bayer ".     

Okay, die Einstiegsgehälter der Referenten sind nicht so schlecht. Sie liegen bei bei etwa 2.500 bis 3.00 Euro brutto; später zwischen 4.500 bis 5.5.00 Euro brutto. Hinzu kommt in der Regel ein zur Verfügung gestellter Firmen - PKW sowie ein Mobiltelefon und ein Laptop. Allerdings ist hierin ein variabler Gehaltsanteil von 15 % bis zu 17 % eingerechnet, der sich an den Umsätzen / Produktverkäufen orientiert.

Da tippelte sie dann fort in Richtung " Eho - Apotheke ", die im adretten Business - Look gekleidete, Sauerkraut frisierte Referentin des Bayer - Konzerns. Die Frage, die sich mir noch stellte, war jene, ob die Dame irgendwo in Bayern wohnt und ihren zugewiesen Bezirk von hier aus abklappert oder aus dem fernen Leverkusen über das dichte Autobahnnetz nach Eching gekommen war. Sie erschient auf jeden Fall pünktlich und ließ aber vor ihrem Verkaufsbesuch gut 10 Minuten verstreichen, um bei der Apothekeninhaberin nicht den Eindruck zu machen, sie sei auf die vielleicht anfallende Provision angewiesen. Oder hat sie zudem einige Minuten abgewartete, um das Personal und die Apothekeninhaberin nicht während der allgemein hektischen Phase nach der Geschäftsöffnung auf dem berühmten " falschen Fuß " zu erwischen, was verkaufspsychologisch sehr ungünstig sein dürfte?

Unsere Tierärztin kam angebraust und fuhr schnittig in eine Parkbucht hinein. Sie war nicht ganz so pünktlich, denn mir fröstelte es mittlerweile ein wenig bei den kühlen Temperaturen zum Dezemberanfang. Als ich mit dem Katzenkorb wieder heraus kam, war der weiße Mercedes mit dem " LEV " - Kennzeichen nicht mehr auf dem Parkplatz zu sehen. Die pünktliche Pharmareferentin hat wohl die nächste Apotheke angefahren, um hier die Produkte anzubieten. 



STEAMHAMMER  -  Even The Clock  -  Reflections  - 1969:





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