Warum es am 24. Dezember keine Gerichtstermine gibt





Die diesjährige Weihnachtsgeschichte aus den Katakomben der Dritten Gewalt liegt bereits 33 Jahre zurück. Sie spielt also zu jener Zeit, in der es den so genannten Eisernen Vorhang git, die Sowjetunion ( UdSSR ) noch existiert und die DDR ihre Bürger vor sich selbst und dem " bösen " Klassenfeind im Westen ( gemeint war hier zum überwiegenden Teil die BRD ) durch ein gigantisches Grenzbollwerk mit " Todesstreifen ", Schießbefehl ( wenn auch nur versteckten ) und einem Bespitzelungs - und Kontrollapparat zu gängeln versuchte. Ende 1988 zeigten sich aber zunehmend Risse im nach außen erscheinenden " Ostblock ". Einige sozialistische Bruderländer versuchten sich nach und nach dem Westen gegenüber zu öffnen. In der UdSSR war der Reformer schlechthin Gorbatschow an der Macht und verordnete dieser " perestroika " und " glasnost ".

Zu jener Zeit also, in der vieles im Wandel zu sein schien, hatte der Advocatus Diaboli ( A.D.) sein zweites Jahr als zugelassener Anwalt in der Freie und Hansestadt Bremen hinter sich gebracht. Er hockte zusammen mit seinem Kollegen seiner Kanzlei, die in einem typischen Bremer Haus im Viertel lag, zahlte dafür zirka 400 DM Miete ( kalt ) und wartete Tag aus Tag ein auf neue - zumeist nicht zahlungskräftige - Mandanten, die sich größtenteils aus den Bewohnern der durchaus alternativen und kleinkriminellen Szene im Ostertor und Steintor zusammen setzte. Der Kollege betreute jenes Klientel. doch wenn dieser seine Knastbesuche und Besprechungstermine mit weiteren Strafverteidigern abhielt, sprang auch der A.D: für diesen ein.

Eines kalten Wintertages, kurz vor Weihnachten, ging in den späten Nachmittagsstunden die Bürotür auf. Ein, schon allein von der Optik, ungleiches Paar betrat die kargen Büroräume. Sie war gut einen halben Kopf größer als ihr Begleiter. Sie trug einen halbwegs eleganten Wintermantel mit Pelzimitation, eine modische Jeans im Karottenschnitt und braune Wildlederstiefel. Er hatte einen verschlissenen Anorak, verwaschene Jeans und herunter getretene. schwarze Halbschuhe an. Sie trug ihre langen blonden Haare, leicht zur Seite gekämmt und mit einer Haarspange an den Kopf frisiert; er hatte kurze, schwarze Haare, deutlich sichtbare  " Geheimratsecken " und am rückwärtigen Kopf bereits eine kahle Stelle, die sich zur " Platte " ausweitete.

Er hieß Abdullah K und kam aus der Türkei, dem Ostteil des Landes, der heute noch ärmer ist als jene Gebiete rund um die Großstädte Istanbul, Ankara oder etwas Izmir. Er besaß eine " unbefristete " Aufenthaltsgestattung ( AE ), weil seine in Bremen wohnenden Eltern ihn irgendwann zum Ende 1970er Jahre nach Deutschland ( West ) holen durften ( Stichwort: Familienzusammenführung ). Er hatte in der Türkei Bäcker gelernt, war jetzt lange Zeit arbeitslos und hielt sich mit Gelegenheitsjobs und dem Kokainverkauf über Wasser. 

Sie hieß Martina S. und kam aus dem Bremer Umland. Sie hatte irgendwann in einer Drogeriekette gelernt, war danach für ein paar Monate tätig. wurde arbeitslos und jobbte dann und wann als " Promoterin " für Fitness - Riegel und anderen Gedöns in Norddeutschland. Dank ihres guten Aussehens erhielt sie hierbei regelmäßig Aufträge, so auch für den " Balisto " - Schokoriegel. Da sie einen alten VW Golf besaß, konnte Martina S. flexibel arbeiten. Manchmal bekam sie bei ihren " Einsätzen " auch einen Firmenwagen. Weil das Geld hierbei für das Leben in der Bremer Neustadt kaum ausreichte, verdingte sich die junge Frau dann und wann als Bardame und mehr.

Ich bat das Paar herein und fragte nach ihrem Ansinnen. Abdullah K. erklärte mir in einem nur mäßigen Deutsch, dass gegen ihn ein Strafverfahren liefe und mein Kollege bereits ein Handakte angelegt habe. Ich stand auf und fischte gleich mehrere Akten K. aus dem Metallschrank. Dann schlug ich den ersten roten " Leitz " - Ordner auf und wusste schon nach wenigen Seiten, um was es ging. K. wurde dem Dealer - Umfeld eines weiteren Händlers zugeordnet, der aus finsteren Kreisen den " Stoff " besorgte und weiter verkaufte.

Gegen den Händler wurde nach längeren, aufwendigen Ermittlungen ein Haftbefehl erlassen. Gegen Abdullah K. auch. Dieser konnte jedoch nicht vollzogen werden, weil K. in Bremen nicht gemeldet war. Gegen einen Nichtgemeldeten, wohl auch Wohnungslosen einen Haftbefehl zu vollziehen. -  K. war so ein Fall - war damals schwieriger, denn es gab nicht jene umfassenden Möglichkeiten der erforderlichen Datenabfrage.

Ich sah mir K. etwas genauer an, bevor ich später auf ihn einredete. Er macht auf mich nicht den Eindruck eines typischen Drogendealers. Eher den, dass er verzweifelt versuchte, in dieser auf schon damals auf Moneten fixierten Gesellschaft irgendwie Fuß zu fassen. Ob ihm seine damalige Freundin Martina S. hierbei Hilfestellung leisten könnte, musste ich anhand der gelesenen Akten stark bezweifeln. Denn auch gegen sie liefen polizeiliche Ermittlungen. 

Martina und Abdullah, ein ungleiches Paar im Drogensumpf verstrickt?

Ich ließ ihn zunächst reden. Er versuchte, so gut es eben ging, mir seine derzeitige Lebenslage zu schildern. Die sah nicht rosig aus. Seine Begleiterin hörte ihm dabei aufmerksam zu. Dann war ich an der Reihe. Nö, alles, was er mir zu seiner Entschuldigung mitteilte, war völlig irrelevant, denn der Akteninhalt sagte etwas anderes aus. Ich erklärte ihm, dass er jederzeit mit einer Verhaftung durch die Polizei rechnen müsse und er zunächst dringend ein Unterkunft benötige, um für einige Tage von der Bildfläche zu verschwinden. Anderenfalls müsse er damit rechnen, an Weihnachten in der U-Haft zu verbringen. 

Mein Vortrag beeindruckte ihn. Er suchte nach Lösungen. Dann hatte seine Begleiterin eine zündende Idee. Eine Bekannte und Arbeitskollegin wohnte außerhalb Bremens und hatte dort einen einstigen Bauernhof gekauft. Hier könnte Abdullah vorübergehend unterkommen und wäre zudem aus dem Visier der Bremer Polizei entschwunden. Doch dieses war nur ein erster Schritt für ihn, um sich aus der misslichen Lage zu befreien. Wir überlegten gemeinsam, was sonst noch zu tun sei, den drohenden Knast zu entfliehen.

Dann kam die dunklere Seite meiner Berufsausübung zum Tragen; der A.D. also, jenes Halblegale im Anwaltsberuf.

Der A.D. empfahl seinem Klienten sich über seine Kokain - Connection einem Passfälscher zuzuwenden, der ihm eine neue Identität mittels eines türkischen Reisepasses geben müsste, um damit aus Westdeutschland zu fliehen. Das würde allerdings Geld kosten, was Abdullah wiederum nicht hatte.

Ja, diese Idee fand das deutsch - türkische Paar sehr gut. Es bedankte sich bei mir und verließ unser Büro. 

Einige Monate später, das Weihnachtsfest war längst vorbei, wir schreiben das Jahr 1989, es war wohl im Wonnemonat Mai, in weniger als einem halben Jahr wird es zum historischen " Mauerfall " und alsdann zur deutsch - deutschen Wiedervereinigung kommen, ging in den späten Nachmittagsstunden die Bürotür auf. Marina S. stand plötzlich vor mir. Ich begrüsste sie und fragte sogleich nach Abdullah. Nein, der sei nicht mehr in Deutschland. Er habe auf meine Empfehlung hin, einen gefälschten türkischen Pass gekauft und sei mit diesem auf dem Landweg über Österreich, Ungarn, dem damaligen Jugoslawien und Bulgarien zurück in die Türkei gefahren. Er habe sie nach seiner Ankunft dort mal angerufen. Seit einigen Wochen aber sei der Kontakt abgebrochen.

Ich bot ihr einen Platz auf einem der schwarzen " IKEA " - Bürostühle an, schenkte ihr einen schon leicht abgestandenen Kaffee aus der Glaskanne der Maschine an und erklärte ihr dann, was es tatsächlich mit dem Strafverfahren gegen ihren Ex - Freund auf sich hatte. Wenn dieser verhaftet worden wäre, hätte er nicht nur kurz vor Weihnachten in U - Haft gesessen, sondern ein Haftprüfungstermin wäre frühestens einige Tage nach Weihnachten, eher im neuen Jahr möglich gewesen. Schon gar nicht an Heiligabend, denn dort ist Mama Justitia nicht tätig, weil es am 24. Dezember eben keine Gerichtstermine gibt.

Dann wollte ich von ihr wissen, woher ihr Ex - Bekannter die Kohle für den Passfälscher her hatte. Sie schwieg dazu. Später erhielt ich aber dazu dennoch eine plausible Antwort. Mein Kollege erzählte mir, dass Martina S. - wenn auch unregelmäßig - auch in einer Animierbar arbeitet.  

Aha! 


HANNES WADER  -  Es ist ein Schnee gefallen ( Winterlied )  -  Folkfriends 2  -  1980: 


     

        

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