Ist das Sächsisch eine Verlierersprache?



Vor einigen Wochen lasen wir in der " SPIEGEL " - Ausgabe 9 / 2023 ein dort abgedrucktes Gespräch mit dem aus Gotha stammenden und in Leipzig tätigen Autor und Germanisten Dirk Oschmann (  https://de.wikipedia.org/wiki/Dirk_Oschmann ). Die Fragen an ihn stellte die " SPIEGEL " - Mitarbeiterin Frauke Hunfeld; eine gebürtige Münchnerin, die als Drehbuchautorin und einstige Mitarbeiterin des Magazins " stern " ihre Brötchen verdiente und seit 2021 für das Hamburger Nachrichtenmagazin arbeitet ( https://de.wikipedia.org/wiki/Frauke_Hunfeld ).

West trifft also Ost und befragt einen dort Sozialisierten nach den Befindlichkeiten der Minorität der Ostler? Nicht so ganz. Tatsächlich tauschen sich zwei akademisch gut ausgebildete Bundesbürger in kultivierter Form öffentlich aus. Zwei Privilegierte also, die sich nicht mit und zum Mindestlohn abrackern müssen, um schwere Pakte diverser Versandfirmen oder Pizza - und Fast Food Fraß - Kartonagen für Anbieter ungesunder Ernährung von A nach B karren müssen oder - vielleicht - gar Lebensmittel in die Regale einer Supermarktfiliale einschlichten müssen.

Dafür haben sie ja beide studiert? 

Nun, ein Garant für eines leicht besseren Lebens innerhalb dieses Staates, dessen Wirtschaftsform und der daraus hervor gehenden Gesellschaft ist eine bessere Ausbildung nicht immer - aber immer öfter. Aber. das war nicht das eigentliche Thema jenes " SPIEGEL " - Gesprächs ( S. 48 ff ).

Es sollte primär eine subjektive Einschätzung der Ost - West - Befindlichkeiten, so zirka 34 Jahre nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze und dem daraus folgenden Mauerfall sowie der deutschen Wiedervereinigung sein. Der Versuch einer Standortbestimmung, knapp 33 Jahre nach dem Kohl´schen Vereinigungsvertragswerk? Ein Ansatz von Analyse zu dem danach folgenden Jahrzehnten, in denen so genannte Ostdeutsche immer noch als solche bezeichnet werden und Westdeutsche sich ihnen gegenüber nach wie vor arrogant als " Besser - Wessi " aufplustern?

Was Herr Oschmann in dem " SPIEGEL " - Gespräch als eine Form von Diskriminierung im Osten ( demnächst nicht nur in der DDR ) Geborener anprangert, ist indes nur teilweise zutreffend. 

Auf der Suche nach einer fundierten Antwort auf die Frage, ob Ostdeutsche anders ticken als Westdeutsche und umgekehrt, wird es letztendlich mehr als drei Dekaden nach der Wiedervereinigung, keine präzisen Formulierungen dafür geben. Existiert in 2023 der typische " Ossi ", der arrogante " Wessi " oder der als über angepasste " Wossi " überhaupt noch?

Wer die Ergüsse in und von den Produkten der Medienindustrie Glauben schenken möchte, darf sich dort tatsächlich ob seiner eigenen Vorurteile und Beurteilungen gegenüber dem jeweils anderen Exponenten Deutschlands durchaus bestätigt fühlen. Doch sind dieses mehr als 30 Jahre lange Jahre nach dem gestarteten Versuch deutsches Denken, Artikulieren sowie Handeln mitsamt dem Drumherum irgendwie unter einen Pepita - Hut zu bringen, nicht eher Mindermeinungen?

 Provinzialität, Engstirnigkeit oder anerzogenes Spießertum gibt und gab es hüben wie drüben der einst widerrechtlich gezogenen innerdeutschen Grenze. Es gibt jene unappetitlichen Auswüchse des menschlichen Handels überall auf diese Erde. Da bilden die so genannten Ostdeutschen keine Ausnahme.

Die Besonderheit bei jener Spezies liegt denn nicht allein im typischen Sein, sondern eher in dem, was in der Vergangenheit, sich also vor mehr als 3 Jahrzehnten ereignete. Die Nachwendezeit im Zeitraffer besehen, bedeutete für die Mehrzahl der einstigen DDR - Bürger ein radiales Umdenken, ein brutale Vernichtung ihrer einstigen Existenzen, ihres sozialen Besitzstandes und der staatlich verordneten und garantierten Lebenssicherheiten. 

Mit dem übergestülpten, dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, konnten viele Ex - DDRler beinahe nichts anfangen. Sie waren und wurden ( aus gutem Grund ) darauf nicht vorbereitet. Weshalb nicht wenige der Sachsen, Thüringer, Brandenburger usw. vollends in die aufgestellten Fallen der kapitalistischen Gesellschaft tappten und dabei multiple Verletzungen erlitten. Nicht nur materieller Art, sondern insbesondere vom " Wessi " ausgehende Erniedrigungen, die später durchaus zu einer nur mangelhaft oder mäßig entwickelten Vita , somit einem insgesamt geringer ausgeprägten Selbstwertgefühl beitrugen.

Der " Ossi " als vermeintlich Alimentierter, also als Deutscher zweiter Klasse, wurde in jenen Dekaden nicht nur systematisch von den Siegern, den " Wessis " benachteiligt, sondern viele ehemalige DDRler mussten zudem sich ob ihre Vernetzung mit er Staatssicherheit sich nahezu überall entblößen. Damit trieb es Unzählige in prekäre Berufstätigkeiten, so wie die Selbständigkeit, die in jenen Bundesländern über viele Jahre eine Art Flucht vor der ansonsten drohenden Arbeitslosigkeit war. Eine weitere, große Gruppe aus der Unzahl von so genannten Wendeverlierern waren jene ehemaligen DDR - Bürger, deren Schul - und Berufsabschlüsse nicht bzw. nicht qualifikationsgemäß anerkannt wurden, weil es in dem Sieger - Staat BRD nichts vergleichbares gab.

So entstand über Jahre eine Melange aus beruflicher Perspektivlosigkeit, sozialem Abstieg sowie einer häufig verklärten DDR - Sehnsucht, die sich danach in Wut und Frust umwandelte. Gerade in den 16 Merkel - Jahren, in denen einige Wirtschaftskrisen - und Finanzkrisen sowie die Kriege in Syrien und auch die " Corona " - Seuche zu erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen führten, zeigte jene brisante Entwicklung in den so genannten Ost - Bundesländern deutlich auf.

Mit der Wiedererstarkung des Rechtsradikalismus in Gestalt jener faschistoiden Gruppierungen, wie der von " PEGIDA ", den  " FREIEN SACHSEN " oder der AfD als Partei, wurde zudem der angestaute Frust über die eigenen Lebensverhältnisse kanalisiert. Dabei - so erscheint es zunächst jedem Außenstehenden - geht es dem gemeinen  " Ossi " seit der viel beschriebenen Wende um ein Vielfaches besser als zu DDR - Zeiten. Doch eben nicht so gut, wie den Schwestern und Brüdern in Bayern, Baden - Württemberg oder Hessen. Wirtschaftlich betrachtet. hängt das Einkommensniveau des Ostens durchschnittlich um mindestens ein Viertel hinter dem der westlichen Bundesländer zurück. Ebenso besteht dadurch - jedoch nicht nur - ein gewisses Wohlstandsgefälle. In den Ost - Bundesländer werden im Vergleich zum Westen weniger Vermögenswerte, wie beispielsweise Immobilien - vor allem hochpreisige - vererbt. 

Nach dem Gusto: " Hasté was, biste´was " schauen so denn viele Wessis eher herablassend auf die Deutschen in den östlichen Bundesländer. Dieses Verhalten wird zudem durch die mediale, nicht selten, aufgebauschte Berichterstattung zu den ostdeutschen Befindlichkeiten verstärkt. Hier finden sich Sachsen, Sachsen - Anhalter oder Brandenburger oft als " Kross - Deutsche ", " Dunkeldeutsche " oder " dumme Ossis " wieder. Eine Unart, die auch mehr als drei Dekaden nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten noch anhält. 

Dieses alles und noch einiges mehr bringt der oben benannte Hochschullehrer Dirk Oschmann während des " SPIEGEL " - Interviews bei seinen Antworten mit ein und resümiert schließlich:

" Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, geht es nicht nur um Deutschland. Die deutsch - deutsche Situation ist nur ein spezifischer Fall aufgrund der historischen und geografischen Vorbedingungen . Auch in anderen Ländern gibt es ein Reichtums -, Macht - und Kommunikationsgefälle.... " 

- Zitatende - aus: " DER SPIEGEL " , Ausgabe 9 / 2023, S. 51

Das ist zutreffend. Aber nicht mit der deutsch - deutschen durchaus als konfliktär zu bezeichnenden Lage vergleichbar. Wenn allerdings die Realität jenseits der pöbelnden Minderheiten in den angeblich abgehängten Bundesländern der Ostens betrachtet wird, so kann bei einer nüchternen Analyse für jene Generationen, die die DDR und jene unmittelbaren Wendejahre nur vom Hörensagen kennen, festgehalten werden, dass diese sich primär als Deutsche in einem wirtschaftlich prosperierenden Europa und einer zu Globalisierungsbedingungen funktionierenden Welt verstehen und nicht als " Ossi ", der vom Westen bevormundet wird. Zumeist sind es solche in Dresden, Dessau oder Rostock, in Prenzlau, Cottbus oder Magdeburg in den Nullerjahren geborene junge Menschen, die nicht durch das permanente Gehetzte gegen andere Ethnien und das ewige Gejammere, ob der miesen Finanz - und Wirtschaftslage, vornehmlich durch die eigenen Eltern / Familie beeinflusst wurden und ihre eigene Lebenseinstellung gefunden haben.

Damit wird Sächsisch keineswegs zu eine Verlierersprache. 

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-ostdeutschen-und-die-demokratie-schein-und-sein-kolumne-a-29831932-c5cd-4b60-99fc-103fbe8ebfea


THIRSTY MOON -- You´ll Never Come Back  -  1973:




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