Warum es keinen Weihnachtsmann mehr gibt

Noch 11 Tage, dann ist Heiligabend im Jahre 2006 nach christlicher Zeitrechnung. Die Vorfreude auf das Heilige Fest, sie wächst mit jedem weiteren Tag, der das Ereignis näher heran rücken lässt. Oder ist es eigentlich nur das routinemässige Abzählen der Tage bis zum Heiligenabend, damit jeder Gestresste die Gewissheit haben kann - danach ist es meistens vorbei. Vorbei mit der Hetzerei zu den Geschäften, den vielen Überlegungen, wer, nun was als Geschenk bekommt. So bleiben jene Erinnerungen an die " Gute alte Zeit ", die geregelten Warenangebote, das uniformierte Verhalten vor, während und nach dem Weihnachtsfest. Da gab es die typischen Schokoladen-Weihnachtsmänner - warum eigentlich nicht auch Weihnachtsfrauen? - erst 14 Tage vor dem Fest. Aufgestellt in dem "Tante - Emma - Laden " im Dorf, in dem Feinkost-Geschäft an der Hauptstraße oder dem Lebensmittelladen in der nahegelegenen Stadt.
Da gab es die Schaufensterausladen der vielen kleinen und mittleren Fachgeschäfte. Angefangen von Nussknackern aus bemaltem Holz bis zu den teuren " Märklin " - Eisenbahnen, Puppen von " Käthe Kruse " - ebenfalls sündhaft teuer - oder die obligatorischen Kaufmannsläden, die batteriebetriebenen Automodelle oder Brummkreisel aus Metall, die mit der Hand gedreht werden mussten. Die Auswahl an Kinderspielzeug war groß, sie war aber überschaubar. Die Kinder - je nach Alter -, sie kannten sich aus. Ob nun bei Trix, Märklin oder Faller, bei Lego und bei den Ravensburger Spielen von Schmidt - alles war bekannt. Jeder konnte und durfte mitreden.

Nur was dann auf dem Teller, auf dem Gabentisch oder unter dem zuvor von den Eltern gekauften Weihnachtsbaum lag, dass war genauso unterschiedlich, wie es heute immernoch der Fall ist. Jene Eltern, die zu den Armen zählten, weil sie mehrere Kinder - wir waren beispielsweise zu dritt - hatten und/oder deren Beruf sowie Einkommen es nicht zuließen, dass Weihnachten grossartige Geschenke verteilt wurden, die hatten nach den Weihnachtsferien eben nicht so viel zu erzählen. Sie konnten - oft mit grossen, leuchtenden Augen - nicht darüber berichten, wie die Geschenke ausgesehen haben, die sie auspacken durften. Armut, soziale Unterschiede, die sich in Geschenken zu Weihnachten ausdrückte, sie war damals, in den 50er und 60er Jahren ebenso in der Gesellschaft vorhanden, wie es Wohlhabende und Reichtum gab. Sie drückte sich nur anders aus, nämlich dadurch, dass über sie nicht berichtet wurde. Es gab das gesellschaftliche Problem der " Neuen Armen ", des Prektariats, der Abgehängten und Ausgegrenzten nur innerhalb der Familie, nicht in der Öffentlichkeit und schon garnicht in der Politik.

Die Restaurativen, die Klerikalen, die Konservativen, sie gaben den Ton in der Gesellschaft an. So prasselten Phrasen auf jene Aussortierten herunter, wie: " Wer Arbeit will, der findet auch welche! ", " Wer keine Arbeit hat, der ist eben faul! " oder: " Gehe arbeiten, dann kannst Du Dir das auch leisten ! ". " Ohne Fleiß keinen Preis!", " Arbeit macht das Leben froh! " " Ohne Lohn, kein Brot! ". Es hätte nur gefehlt: " Arbeit macht frei! ". Wenn ich so darüber sinniere, mit welchen verdrehten Argumenten, jene Gestrandeten diskriminiert und ausgegrenzt wurden, dann geht bei mir heute noch die Hutschnur hoch. Die piefig, miefige, die kontrollierte Gesellschaft, sie funktionierte eben so. " Wer nichts hat, der hat nichts! ", so lautete einer der sinnfreien Lebenserkenntnisse. Der Kölner Adenauer, der Erzkatholik und Bundeskanzler auf Lebenszeit, er wollte es so haben und stimmte diesem Duckmäusertum ausdrücklich zu.

Eines war aber in der damaligen BRD in den Vorweihnachtstagen deutlich zu spüren, die Sehnsucht nach Ruhe, nach Geborgenheit, nach Familie - nach heiler Welt eben. Sie machte keinen Unterschied bei Arm und Reich, bei Gross und Klein, bei Dumm und Gebildet. Der feste Glaube - ähnlich dem des Glaubensan den Klapperstorch, der die Kinder bringt -, er manifestierte sich nicht nur in den Gottesdiensten, in den Schulgebeten, in den Morgenfeiern, sondern vorallem in dem kindlichen Mikrokosmos. Innerhalb jener eigenen Welt, die nur durch erzieherische Maßnahmen der Eltern, der Erwachsenen oft aus dem Gleichgewicht geriet. Zu jenen Glaubensbekenntnissen zählte auch das, dass es einen Weihnachtsmann gab. Einen imaginären, steinalten Mann, mit schloh-weißem Vollbart, einem roten Kapuzenmanten und einem riesigen Jutesack mit Geschenken sowie einer Weiderute. Es musste ihn geben, sonst wären ja die Geschenke nicht unter dem Tannenbaum. Außerdem gab es so viele Lieder über ihn. Wer singt schon über ein Phantom?

Der kindliche Glaube, an das, was in den höheren Sphären sich abspielt, was zur Erde gesendet wird und über Umwege auf den Gabentisch landet, er blieb auch weiter erhalten. Er hat sich auf die nächste Generation übertragen, die dann den amerikanischen Weihnachtsmann, das dortige - kitschige und konsum-orientierte- Feiern des Weihnachtsfestes ungeprüft übernahm und es ihren Kindern übertrug. So ist das heutige Weihnachtsfest eine einzige Kaufrauschorgie, es ist zu einer Kommerzveranstaltung verkommen; es herrscht das Gesetz des Stärkeren. Wer das Privileg eines überdurchschnittlichen Einkommens, eines kinderlosen Singlelebens, eines sorgenfreien Tagesablaufes sein Eigen nennen darf, der glaubt nicht mehr an den Weihnachtsmann. Der glaubt nur noch an sich selbst!

Die Weihnachtmann-Kultur aus jenen Tagen meiner Kindheit, sie ist längst passe´, sie ist geschmolzen, wie der damals ab November gefallene Schnee. Diese Glaubenskultur ist durch einen unsolidarischen Egoismus ersetzt worden, der es notwendig macht, dass Hilfsorganisationen auf zu Weihnachten Geschenke verteilen müssen - an jene Kinder, deren Zuhause keines mehr ist. Deren Eltern keine mehr sind, weil sie sich aus der Verantwortung gezogen haben. Die anderen Mitmenschen, sie werden es schon richten. Der Kindergarten, die Schule, die Ausbildungsstätte, die Gesellschaft, die Justiz, die Haftanstalten, die Sozialeinrichtungen. Wenn nicht diese Institutionen, dann muss es eben ein übervoller Gabentisch, gespickt mit play staion No 3, mit PC - Ballerspielen a la´counter strike, mit den neusten elektronischen Geräten oder mit üppigen Geldgeschenken. Wir haben´s ja!
Meistens auf Pump, oft nur über Leichen pflasternde Berufskarrieren und skrupellosen Denken und Handeln realisert. Diese Kindheit ist keine mehr. Sie wird illusionsfrei, wie eine Einkaufsliste von den Eltern - nur zu oft wertneutral - abgehakt. Schließlich soll das eigene Leben nie zu kurz kommen.

Es gibt keinen Weihnachtsmann! Gab es je einen? Sollte es wieder einen Weihnachtsmann geben! Im Namen der Kinder: Ja!

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