Nikolaustag 2006

Gestern prasselten wieder einmal eine Reihe von Ereignissen und Meldungen auf mich ein. Dabei war es doch eigentlich ein " normaler " Werktag, ein Dienstag, einer der noch verbleibenden 25 Tage in diesem Jahr. Die Gedanken kreisen längst um das Weihnachtsfest - so wie bei den meisten Bundesbürgern. Oder doch nicht? So stimmt sich die Kauf berauschte Masse, unterstützt von " langen Samstagen ", die neuerdings bis 22.00 Uhr das Einkaufen ermöglichen, so richtig auf die Weihnachtsfeiertage ein. Das Fest der Liebe, der Besinnung, der Ruhe und Geborgenheit - das Familienfest schlecht hin - , steht kurz bevor. Alles rennt, plant, kauft, transportiert, bezahlt - oder auch nicht - und zeigt ein gestresstes Gesicht. Keine Freude, ohne Leid, keinen Preis, ohne Fleiß? Nun sollen sich alle Mitbürger/Innen auf das " Fest des Herren " auch medial einstimmen. In den Nachrichten wird berichtet, welcher Weihnachtsmarkt, der Schönste, der Grösste, der Hellste, der am besten Besuchte, ist.
Menschenlawinen wälzen sich durch die Innenstädte, Einkaufswütige durch die Kaufhäuser und Blechkarawanen verstopfen die Straßen. Welcher Sender nun über welches Ereignis berichtet, ist dabei völlig unerheblich. Die Reportagen sind austauschbar. Hauptsache es wird informiert, interviewt und " gequasselt " - bis zum Erbrechen.

So bleibt für die negativen Meldungen nur wenig Raum. Da veröffentlicht das Statistische Bundesamt einen sogenannten Armutsbericht. Nüchterne Zahlen, erhobene Daten, Fakten, Analysen, Trends, Diagramme, Prognosen - eben jene Informationen, mit denen diejenigen Protagonisten herum hantieren, die es von berufswegen müssen. Politiker, Journalisten, Experten,Wissenschaftler.
Wo bleiben allerdings die Betroffenen, die armen Bürger/Innen?
Die Berichte über jene "Arme ", die - immer streng statistisch betrachtet - Gefahr laufen sozial abgehängt zu werden oder es bereits sind, werden allenfalls am Rande erwähnt oder nur oberflächlich gezeigt. Das Prektariat, die " Neue Unterschicht ", die Habenichtse, die Ausgegrenzten, sie werden kaum befragt. Sie bleiben eine anonyme Masse, eine statistische Größe, ein Faktor, mit dem die Medien im Wechselspiel mit der Politik, ihre Artikel, ihre Berichte, ihre Sendungen bestücken. Endlose Diskussionen, mit immer den gleichen Verdächtigen werden jetzt folgen. Angefangen von Sabine Christiansen, über Günter Jauch und sein " stern TV " bis hin Frank Plasberg in " hart aber fair ", sie alle produzieren medial inszenierte Betroffenheit; lassen Nichtbetroffene darüber palavern, wer, was, wie, wann und warum falsch gemacht hat. Die Hartz IV - Bezieher, die Unterschicht, das Prektariat, sie werden nicht eingeladen. Sie dürfen nicht schildern, wie es ist, mit wenig Geld im Beutel, keiner Perspektive im Leben und vielen Problemen, weiter existieren zu müssen.

Es erhebt sich mir der Verdacht, dass jene Betroffene, schon deshalb nicht zu Wort kommen sollen, weil es eben den Typus " des " Armen ", wie er vor einigen Jahrhunderten oder noch vor Jahrzehnten, durch die gesellschaftlichen Bedingungen, die eigene Sozailisation, verifizierbar war, nicht mehr gibt. Weil es bereits jene Menschen betreffen kann, die sich noch vor einiger Zeit auf der sicheren Seite des Lebens, der Gesellschaft, wähnten. Ob nun ein Leitender Angestellter, ein Manager, ein Disponent, ein Soft - ware -Entwickler, eine Modedesignerin, eine Schauspielerin, eine Juristin, eine Medizinerin - sie alle kann es heute treffen. Erwerbslosigkeit oder im Vorlauf Zeitarbeitsverträge, eine Tätigkeit als Freier Mitarbeiter, eine befristete Vertretung, dieses kann Jeden zu jeder Zeit in einer beliebigen Phase des Berufs - und Arbeitsleben treffen. Die Umstände hierfür sind vielfältig. Es sind manchmal Einzelschicksale, oft trifft es mehrere Arbeitnehmer/Innen gleichzeitig, regelmäßig kommt es aber auch zu Massenentlassungen. Die aktuellen Beispiele, wie BenQ, Allianz geistern noch heute durch die Medien. Nichts ist mehr von Dauer, nichts sicher und vieles ungewiss.

Diese Entwicklung ist seit Jahren, sogar seit Jahrzehnten bekannt. Der Begriff der Vollbeschäftigung wird nur noch in einem Lehrbuch für Betriebs-oder Volkswirtschaftslehre benutzt. Die Politik spricht hierüber schon lange nicht mehr.

So ist eine Gesellschaft entstanden, in der die viel zitierte Ellenbogen-Mentalität Platz genommen hat, in der Jeder gegen Jeden steht, in der oftmals der pure Egoismus vorherrscht. Solidarität ist nur noch ein Fremdwort aus vergangenen Tagen, als die BRD noch stetiges Wirtschaftswachstum verzeichnen konnte. Inzwischen gibt es andere Begriffe, die öffentlich wieder gekäut werden: Globalisierung, Hartz IV, ALG I, ARGE, BA,PISA,Jugendarbeitslosigkeit etc. durchziehen die Tagesnachrichten. In diesem Kontex sind auch die Ergebnisse der aktuellen Armutsstudie aus Nürnberg zu sehen. Danach lebt annähernd ein Fünftel der Bevölkerung im unteren Einkommensbereich - an der Armutsgrenze. Diese Zahlen, diese veröffentlichten Fakten, müssen jeden Menschen, der noch einen Rest von sozialer Verantwortung insich hält, sehr nachdenklich - ihn traurig stimmen oder sogar wütend machen.
Warum?

Es gibt in der BRD eine kleine Gruppe von Millionären und Milliardären. Diese Minderheit besitzt ein Drittel des gesamtgesellschaftlichen Vermögens. Jene Minorität schafft es aber auch sich steuerrechtlich " arm " zu rechnen. Es gibt dort Fianzjongleure und Bilanztrickser, die nicht einen Cent an den Fiskus entrichten, obwohl sie Millionen EURO verdienen. In meinen Augen sind es Schmarotzer. Denn sie schaden diesem Staat, dieser Gesellschaft und der Zukunft dieses Landes. Ich möchte jetzt keine Namen nennen,da es ohnehin keinen Sinn machen würde, einzelne Personen heraus zu streichen. Allein die Tatsache, dass es nach dem geltenden Steurrecht möglich ist, für Riesengewinne, für ein enormes Vermögen und exorbitant hohe Einkünfte, nicht einen Cent Steuern zahlen zu müssen, das ist ein Unding. Würden jene Großverdiener ordnungsgemäss " zur Kasse gebeten ", müsste die Einnahmen des Staates rapide ansteigen. Sie werden aber nicht zur Ader gelassen.
Statt ihrer, müssen die "Kleinen " bluten.

Ab dem 01.01.2007 wird die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte herauf gesetzt. Damit werden Waren und Dienstleistungen teurer. Der Fiskus nimmt zwar mehr ein, aber volkswirtschaftlich ist dieser Schritt schädlich. Dem Wirtschaftskreislauf wird die Kaufkraft entzogen, sie wird vermindert, da der Normalhaushalt bei gleichem Einkommen, weniger Gegenleistung erhält, mithin auch den Konsum insgesamt verringert.

Das Weihnachtsfest steht vor der Tür. 2006 war für viele Mitbüger/Innen ein gutes Jahr; für einen grossen Bevölkerungsteil war es jedoch ein Jahr 2 nach Hartz IV. Das bedeutete, sich einzuschränken, den Konsum auf die notwendigen Güter zu reduzieren. Auch 2007 wird für jene Betroffenen nicht wesentlich besser verlaufen. Die ,von der durchschnittlichen Einkommensentwicklung und dem Wohlstand in der BRD, so Abgekoppelten werden deshalb nicht zur Revolution aufrufen. Sie werden möglicherweise ihr Schicksal so verwalten, wie sie es die Jahre zuvor auch getan haben. Mit einem gerüttelt Maß an Lebensfrust, mit der Perspektivlosigkeit im privaten und beruflichen Bereichen - ohne Hoffnung, dass die Politik hieran etwas verändert.
Die Kaufhäuser sind voll, die Weihnachtsmärkte überlaufen, die Einkaufstüten bersten.
Es bleibt zu hoffen, dass auch die Wohlhabenden die jetzt veröffentlichten Armutszahlen und die befürchtete Entwicklung zur Kenntnis nehmen und von ihrem Reichtum abgeben.
Hierzu muss schnell ein Umdenken stattfinden oder es müssen rigorose staatliche Eingriffe erfolgen, um jenen sozialen Verwerfungen in der Gesellschaft entgegen zu wirken.

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