" Mr. Gorbatschov, break down, these wall!"

Als ich vor 17 Jahren, eher beiläufig und am Rande, die Ereignisse in den Ländern des ehemaligen Ostblocks verfolgen konnte, blieb mir -wie vielen anderen Westlern auch - ein Name in besonderer Erinnerung: Michail Gorbatschow, der damalige Generalsekretär der KPdSU, der damalige erste Mann in der UdSSR! Er verkörperte den neuen Typus der alten Mutter Russland. Er zeigte sich belesen, welt-offen, undogmatisch, elegant, flexibel und mit einer Frau an seiner Seite, die ihm mehr als ebenbürdig war - Raisa Gorbatschowa.
" Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben1", so waren seine unvergessenen Worte, als er Glasnost und Perestroika zum Inhalt siener Politik machte. Die über Jahrzehnte anhaltenden wirtschaftlichen Problem des einstigen Riesenreichs, die Unterdrückung der Bürger/Innen durch den Staatsapparat, die Knechtung politisch engagierter Sowjetmenschen durch die KPdSU, das - und vieles Mehr - sollte bald zur Vergangenheit gehören. Zur Historie eines mit der Oktoberrevolution beginnenden Traums von einem besseren Land, einem humaneren Staat, einer sozialen Gesellschaft. Basierend auf den Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels. Ein schöner Traum!

Die folgenden Dekaden, die sich überstürzenden Ereignisse, der verbrecherische II. Weltkrieg, der mit dem Überfall auf Russland für Hitler und seine Mörder zum Anfang vom Ende des Tausendjährigen Reiches wurde, die ebenso verbrecherische Politk Josef Stalins und seiner Nachfolger, sie wurden von Michail Gorbatschow ad acta gelegt. Eine neue Zeitreise begann.
Die noch feindlichen Machtblöcke versöhnten sich, die Staaten des Warschauer Pakts lösten sich sukzessive auf, die DDR als der zweite, der kleine, der arme Deutsche Staat, sie wurde von dem reichen Westbruder aufgesogen. Mit der Mauer fielen auch vier Jahrzehnte eigener Identität, wenn auch von dem grossen Bruder, der Sowjetunion oktroyiert. Es zerplatzten viele Träume, es wurden unzählige menschliche Schicksale besiegelt. Nach und nach trat aber auch jenes Zerrbild des Staates, der sich die Attribute von Frieden, Sozialismus und Völkerverständigung, an sein Reversgeheftet hatte, in den Vordergrund, für den ihn die Westler, die Klassenfeinde aus der BRD, die Imperialistenfreunde, die Faschisten und Revanchisten, die Konterrevoltionäre, die Kapitalistenknechte und Büttel der US-Hegemonisten, ihn immer gesehen haben: als ein grossen Gefängnis!

Mit dem Fall des sogenannten anti-imperialistischen Schutzwalls, der Mauer für Frieden und Völkerverständigung, strömten auch deren Bürger/Innen inund auf das Gebiet des erklärten Feindes. Sie versuchten nun die ihnen seit Jahrzehnten verwehrten Freiheiten, ihre Recht, ihre Bedürfnisse und ihre vielen Laster sowie menschliche Schwächen, auf der Überholspur auszuleben. Die wilden Jahre der Deutschen, die der in der Präamel des Grundgesetzes längst proklamierten Wiedervereinigung, sie begannen. Die unruhigen 90er. Ein Widerpart
zu den stürmischen 60ern, den bunten, blumigen Fortchrittsjahren der 70er, den kalten Neon-beleuchten 80ern. Der Konsumrausch hielt nichtnur in den Haushalten und Köpfen der Neu-Bundesbürger/Innen Einzug. Er erfaste auch die Alten Bundesländer. Es gab zeitweise keine bezahlbaren und gut erhaltenen Gebrauchtwagen, die Baumärkt waren voll, die Regale dafür leer. Bei den Discountern, wie Aldi, bildeten sich lange Warteschlangen an den Kassen. Die Autobahnen waren voll mit stinkenden Zwei-Taktern - den Trabbis - oder uralten Wartburgs, Polskis Fiats und Ladas. Eine Lawine wälzte sich von Ost nach West. Später dann auch in umgedrehter Richtung. Es wurde wieder aufgebaut, geplant, versorgt, gekauft, verkauft,verhandelt. Aber auch platt gemacht, beschissen, betrogen, belogen, begünstigt,verschoben und abgewickelt.

Das wahre Ausmaß dieser politischen und wirtschaftlichen Vereinigungsjahre, es wurde erst wesentlich später erkennbar. Staatsverschuldung in astronomischer Höhe, Arbeitslosenzahlen in gigantischen Größenordnungen. Sozialabbau und Verarmung einer ehemaligen Elite, der Arbeiterklasse. Umverteilung von unten nach oben, Zukunftsangst, Geburtenrückgang, Verdummungstendenzen in einer großen Bevölkerungsschicht.
Auch das gehört zu den wilden Wiedervereinigungsjahren und deren Folgezeit. Immerhin hat Kohl, der selbst ernannte Kanzler der Einheit, das Versprechen von den " blühenden Landschaften " zeitlich nicht exakt eingegrenzt. So bleibt völlig offen, wann die Löhne und Gehälter in den Neuen Bundesländer angeglichen werden, wann die noch zu tausenden existieren Bauruinen, Abrißhäuser und verfallenen Villen, die maroden Gehsteige, die von den West - und Ost - Pleitiers aufgegebenen Grundstücke, die brach liegenden Gewerbegebiete und unzähligen, sichtbaren Fehlplanungsobjekte, aus den Augen der Menschen verschwinden. Es wird sicherlich noch mehrere Jahrzehnte dauern.
Ich erlebe es wohl nicht mehr!

In einigen Tagen, nämlich zum 25. Dezember, naht der Tag des Rücktritts von Michail Gorbatschow zum 15. Mal. Kein Tag der Freude, obwohl es der 1. Weihnachtstag ist. Der einstmalige Präsident der UdSSR, er hat eine Revolution losgetreten, die sinnbildlich viele ihrer Kinder - auch ihn - gefressen hat. Er musste gehen, weil an seiner Stelle ein zaudernder Boris Jelzin berufen wurde. Dieser Jelzin hat niemals jenes Format erreicht, dass Michail Gorbatschow zeigte. Er, der den Aufruf des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, dafür zu sorgen, dass die Mauer fällt, wörtlich nahm und mit seiner Politik die " winds of change " herbei rief, sie kanalisierte, die Kraft jedoch unterschätzte, und von ihnen - wie so viele danach - einfach weggeblasen wurde. Der Durchschnittsmichel liebte und liebtimmer noch seinen Herrn Gorbatschow, der verniedlichend " Gorbi " genannt wird. Immer noch und wohl bis zu dessen Ableben. Das ist gut so. Denn ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier, wo ich sitze, lebe, arbeite und meine private Zukunft entwickeln darf - in Dresden!

In den Jahren nach der völkerrechtlichen Vereinigung der beiden Deutschen Staaten zur Bundesrepublik Deutschland, in den " stürmischen Zeiten ", hatte ich einige Male die Chance erhalten, im 2 wilden Osten " etwas beruflich Neues aufzubauen. Ich habe es ignoriert, ja abgelehnt. Es war ein Fehler! Diese Möglichkeit, eines Neuanfangs, des Aufbruchs zu neuen Ufern, des Verlassens der eigentlich zu klein gewordenen Umgebung, sie ist nochmal gekommen. Die Chance, seinem eigenen Leben noch eine Wende zu geben, ich verdanke sie - indirekt Mr. Gorbatschow - und behalte ihn, seine Frau Raisa sowie seine einstigen Weggefährten, als große Persönlichkeiten in Erinnerung. Aber auch - den für mich eher einfach gestrickten Ronald Reagen, den einstmaligen und inzwischen leider verstorbenen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika - er hat einen Anteil an der Entwicklung gehabt. Seine Forderung anläßlich seines Staatsbesuches in West-Berlin, sie war berechtigt, sie zeigte, dass auch er Format hatte, wenn auch nur auf einem kleinen Segment der Politik. Er blitzte Menschlichkeit durch. Reagan war eben nicht nur so, wie seine politische Karriere ihn bewusst gemacht hat. Er war Befürworter der Wiedervereinigung - im Gegensatz zu Mitterand, dem einstmaligen Französischen Staatspräsidenten oder Margret Thatcher, der vormaligen Prmier-Ministerin, die - wie viele führende Politiker/Innen - die Deutsche Vereinigung ablehnten.

Auch ich war anfangs gegen die Wiedervereinigung, weil ich nach den Bildern von den Montagsdemonstrationen einen blutigen Bürgerkrieg oder sogar eine III. Weltkrieg befürchtete. Als die Umwälzungen dann - überwiegend friedlich - abliefen, war ich gegen die Wiedervereinigung, weil ich einen wirtschaftlichen Zusammenbruch beider Staaten prophetzeite, später dann, sah ich eine Invasion von " Ossis " auf die Alten Bundesländer zukommen, die hier den eigenen Menschen den sozialen Standard streitig machen wollten.
Nichts davon trat ein. Alles, was an Panikmache in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, waren reine Luftnummern. Manchmal ist es doch besser, die eigenen Erfahrungen zu machen, erst die Vorurteile abzubauen, bevor das Urteil gefällt wird. Das Zusammenwachsen, von dem, was zusammen gehört, es funktioniert. Wenn auch auf einem unebenen, einem noch holprigen, mit Schlaglöchern übersäten Weg, ohne klare Richtung und oft fehlenden Wegweisern - aber dafür sind wir Menschen ja da. Danke Michail Sergejewitsch!

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