Stuttgart 21: Wann werden wir endlich alle grantig?

Huch,was war das denn am gestrigen Tag? Dem letzten Septembertag des Jahres 2010? Dem Quartalsende?
Übten sich die Schwaben etwa in Sachen Revolution von unten nach oben? Das hatte doch schon einen Anstrich aus Ungehorsam,Widerstand gegen die Staatsgewalt und Springen über den eigenen,provinziellen Schatten, was dort auf dem Gelände des Hauptbahnhofs der baden-württembergischen Metropole statt fand. Seit einigen Wochen treffen sich hier tagtäglich viele tausend Menschen,um gegen den Bau des Hauptbahnhofs zu protestieren. Es sind nicht jene -früher als Berufsdemonstranten diffamierten-jungen MitbürgerInnen,die aus vielerlei - meist nachvollziehbaren - Gründen sich gegen jenes Großprojekt wenden,sondern es ist ein Querschnitt aus der Bevölkerung Stuttgarts,Baden-Württembergs und sogar aus den benachbarten Bundesländern.

Waren es zunächst eher die üblichen Protestaktionen,wie Lichterketten,das Versammeln auf dem Bahnhofsplatz und die Zurschaustellung von diverser Plakate,das Benutzen von Trillerpfeifen sowie ausgefallener Maskeraden,kam es gestern während einer Baumfällaktion zunächst zu Tumulten,dann zu gewaltsamen Auseinandersetzung en mit der Polizei und schließlich zu einer Hatz auf Demonstranten mit Pfefferspray,Wasserwerfern und Gummiknüppeln. Es wurde auf Kinder,Jugendliche und Rentner gespritzt,gesprüht und geschlagen,was das Zeug hält. Es flossen Blut,Schweiß und Tränen,als die uralten Bäume unter massiven Polizeieinsatz,für den eigens einige Hundertschaften aus Hessen und weiteren angrenzenden Bundesländern räumen die Wege durch so genannten unmittelbaren Zwang, also staatlicher Gewalt,frei. Die ersten Verletzten werden versorgt. Die Wut gegen den Einsatz wird durch Parolen gegen Mappus,Rech und weitere CDU-Parteimitgleider heraus gebrüllt.

Als ein Demonstrationsteilnehmer behauptet,er habe eine solche Eskalation seit den politischen Unruhen im legendären Jahr 1968 nicht mehr miterlebt,wird es sogar folkloristisch.

Tja, der Durchschnittsschwabe ist eher langsam im Umsetzen von Abwehrmitteln gegen ihm drohenden Unbill. Einst war er angetreten,um das Motto: " Schaffe, schaffe, Häusle baue'" in einem möglichst großflächigem Umfang umzusetzen. Jetzt, wo der Wohlstand seit vielen Jahren vor der Haustür steht und das Ländle nicht mehr verlässt,muss er sich um die Umwelt kümmern,die er seit den 50er Jahren selbst mit zerstört hat. Ob nun Waldsterben im Schwarzwald, Flussverunreinigung am Neckar oder Zubetonierung durch Autobahnen,die eigentlich kaum jemand braucht,der Spätzle-Fan war immer dabei.
Seit einiger Zeit vollzieht sich allerdings ein langsames Umdenken,denn die bürgerlichen Grünen in Baden-Württemberg sind inzwischen etabliert und salonfähig geworden. Das weckt Begehrlichkeiten. So klopfen sie und ihre Wähler aus den Bereichen der Besserverdienenden an die Türen der Macht.

Stuttgart 21 wird nicht zum Synonym für da schwäbische Verständnis von Demokratie, es wird auch nicht als eine Abart des zivilen Ungehorsam in die Analen eingehen, es wird zum Desaster für den dicken Wohlstands-Ministerpräsidenten Mappus und seine seit über 6 Jahrzehnten regierende CDU. Der Freitag entwickelt sich zunächst zum Waterloo für Innenminister Rech,einem Schwadronierer aus der Spätzle-CDU-Garde,der ohne  Rückgrat zu zeigen,keine Gesprächsangebote angenommen hat,weil er die Auffassung vertritt,dass er mit Linken und Grünen nichts zu besprechen hat und schon gar nicht mit den Alt-68er, die - so seine  Lügenversion - statt selbst Schläge und Verletzung durch die Polizei einzufangen,lieber ihre ideologisch geschulten Kinder in den Kampf schicken.
Rech ist ein rechter Hangarsch,der neben dem fetten Mappus und weiteren CDU-Pharisäern in die Wüste geschickt gehört.

Nur: Was kommt dann? Die Badener und Württemberger sind sich untereinander - schon aus Tradition -nicht einig. Die sie vertretenen Parteien aber auch nicht. Die Grünen sind gegen S21, die SPD dafür,jetzt jedoch auf einmal dagegen,die LINKE hat kein Gewicht im Ländle und die traditionell starke FDP ist ein Haufen Opportunisten,die zwar das Projekt unterstützen,in Wahrheit jedoch den Dolch im Gewande tragen,um ihn bei der vor der Tür stehenden Landtagswahl dem fetten Mappus in den Wast zu rammen.

S21 mutiert deshalb zu einem Wahlkampfthema aller erster Kategorie und wird demnächst wie ein geköpftes Huhn ausgeweidet werden. Na,denn weiterhin viel Erfolg im Lernen von ziviler Unbotmäßigkeit.   


 

Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Ein bisschen zwiespältig. Mir fehlt da jetzt die komplette Hintergrundinformation über dass Projekt, sodass ich gar nicht wüsste, ob ich dafür oder dagegen wäre. fakt ist aber, dass das recht auf demonstrationsfreiheit schon immer von der exekutive gesäumt wird. dass es da auf der einen wie der anderen seite mal paar auf die fresse gibt, liegt in der natur der sache. momentan wird die polzei zum knüppelwütigen buhmann gemacht und die sympathien liegen eher auf der seite der demonstranten. auf der anderen sind sich dort einige nicht zu schade, ihre kinder vorzuschicken. wenn dann aber eines einen tropfen wasser abbekommt - au backe! wie gesagt, als nichtstuttgarter kann man den gesamtgehalt der diskussion schlecht bewerten. mir als dresdener geht es beispielsweise auch auf die ketten, wenn sich irgenein dahergelaufener in einer kölner oder mainzer tv-anstalt zum thema waldschlösschenbrücke bzw. weltkulturerbe äußert. demnach kann man das von weitem nur beobachten, bewerten schlecht.
gebaut wird zum schluss ja doch.
ungeachtet hat das einigvaterländische verbrechersyndikat namens aktuelle regierung noch viele andere kohlen im ofen, gegen die es sich lohnen würde zu demonstrieren, aber das steht auf einem anderen blatt.
jetzt erst mal auf unser gemeinsames wohl!

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