" Du hast den Farbfilm vergessen, lieber Michael. " oder: Zu den Urlaubsfreuden des DDR - Bürgers



Da saßen wir zu Beginn der letzten Woche am sonnigen Ostseestrand von Prerow und erholten uns von den Strapazen des Umzugs. Ja, das gesamte letzte Halbjahr war nicht gerade ruhig. Neben den Höhen und Tiefen des Hausverkaufs, kam dann auch noch das Vorbereiten des anschließenden Umzugs hinzu. Alles im allen, eine arbeitsintensives Großprojekt. Nun aber, haben wir es hinter uns gebracht.

Nun aber ist es vorbei und wir können die schönste Zeit des Jahres ein wenig genießen.

Das wollten vor knapp 45 Jahren die ostdeutschen Schwestern und Brüder auch. Sie waren seit 13 Jahren, seit dem 13. August 1961, eingesperrt worden.
Die überschaubaren Möglichketen, den Sommerulaub zu verbringen, führten regelmäßig zu überfüllten Ostsseestränden. Die sozialistische Plan - und Mangelwirtschaft trug zudem ihren Teil dazu bei, dass so mancher Urlaub - auch im eigenen Land - zu einer Tortur wurde.

Wer, wie die Mehrzahl der DDR - Bürger, keinen fahrbaren Untersatz hatte, musste vor Reiseantritt seine Gepäckstücken mit der Reichsbahn zum Urlaubsort karren lassen. Das bedeutete, die Utensilien waren einige Tage vorher am Bahnhof aufzugeben. Anschließend setzte sich der Urlauber in einen Zug der Deutschen Reichsbahn und durfte, wenn er Pech hatte, dabei die gesamte Fahrt über im Gang stehen.

Neben fehlenden Quartieren ( viele waren nur über Vitamin B zu bekommen ), war die Versorgung am Ostseeurlaubsort eher dürftig. Für einen Restaurantbesuch musste sich der Hungrige stundenlang anstellen. Das Essen in den wenigen Lokalen war zudem teuer. Für einen normalen Werktätigen oftmals kaum bezahlbar. So musste der Urlauber dann improvisieren, wenn er irgendwie satt werden wollte.

Der Mangel an vielen Dingen, die des Urlaubersherz hättten etwas höher schlagen lassen, schlug sich aber nicht nur an dem gewählten Ort der Entspannung und Erholung nieder, sondern bereits bei der vorbereitenden Planung. Wer - da war der Osten genauso spießig wie seine verordeneten Klassenfeinde im Westen - von der Urlaubszeit bunte Bilder für das entsprechen angelegte Fotoalbum knipsen wollte, hatte zuvor einen Farbfilm zu besorgen. ( oder besser noch, gleich mehrere ).

Diese waren jedoch - wie so viele Konsumgüter auch - Mangelware. Auch da war Vitamin B angesagt. Die meisten, aus dem Kombinat in Wolfen hergestellten Filme, wanderten zwecks Devisenbeschaffung, in die Läden des westlichen Klassenfeindes und wurden hier wegen der guten Qualität gerne gekauft.

Was dem bösen Klassenfeind offeriert wird, muss allerdings der eigenen Bevölkerung vorenthalten bleiben. Damit wurden Farbfilme aus Wolfen ( ORWO Chrom ) für den DDR - Normalbürger zu einem Artikel, den es nur über Umwege zu kaufen gab. Das bedeutete auch, wenn der wohl verdiente Sommerurlaub anstand, musste mindestens ein Farbfilm im Schrank liegen. Was aber auch bedeutete, dass dieser lange genug vorher zu organisieren war. Wer - sofern er überhaupt glücklicher Besitzer einer Kamera war -, dieses Urlaubshindernis überwunden hatte, sich mindestens einen der alsbald immer rarer werdenden Farbfilme ergattern konnte, musste diesen nicht nur in der Verpackung lassen, sondern möglichst in einer dunklen Ecke der Schrankwand, besser noch, in einer geschlossenen Schachtel aufbewahren.

Jeder unbelichtete Film war nämlich mit einem Verfalldatum gekennzeichent, dass der Fotoamateur tunlichst beachten sollte. war der Rolllfilm zu alt, drohten die gewünschten Aufnahmen gelbstichig zu werden. Sie waren nach deren Entwicklung in einem Labor zum Vorzeigen bei der lieben Verwandtschaft ungeeignet. Mit solchen Fotos war bei den Zuhausgebliebenen kein Eindruck zu schinden. Also achtete der Hobbyfotograf peinlich genau auf das auf der Verpackung gedruckte Ablaufdatum.

Neben einigen technischen Anwendungskniffs, die beim Auspacken des Farbfilms, beim Einlegen desselben in die Kamera und auch beim Herausnehmen zu beachten waren, waren natürlich die " geschossenen " Motive das wichtigste Kriterium an einem bildlich festgehaltenen Sommerurlaub.
Ob nun der liegende Partner auf einem Strandhandtuch, die bereits etwas rundlichen Körper beim erfrischenden Ostseebad oder beim Möwenfüttern, dieses waren besonders beliebte Motive, die dem Zeitgeist sehr nahe kamen.

War der " ORWO Chrom " - Farbfilm nach der Rückkehr dann entwickelt, wurden die mehr oder weniger gelungenen Urlaubsfotos fein säuberlich in ein eigens dafür erworbenes und sodann angelegtes Fotoalbum mittels der erforderllichen Fotoecken eingeklebt. Manchmal reichte auch eine Tube Kleber. Bei dieser Methode musste jeweils ein kleiner Tropfen an den vier Bildecken rückseitig angebracht werden. Nachdem das Bild seinen Platz auf der Seite des Fotoalbums gefunden hatte, musste es - mit einer akkuraten Buchstaben versehen - werden und wanderte dann in die Schublade einer Schrankwand.

Dort lag es dann und wartete darauf, beim Besuch der lieben Verwandtschaft oder von Bekannten und Freunden wieder an das Tageslicht hervor gezerrt zu werden. Mit erklärenden Worten konnte der einstige Urlauber dann herum zeigen, wo er im letzten Sommerurlaub war.

Dass dieses im Land des bösen Klassenfeindes genauso ablief, durfte der DDR - Bürger indes nicht wissen. Er erahnte es dennoch, denn am deutschen Wesen durfte - wenn auch wegen der beliebteren Währung dort, eher weltweit - der Urlaubsort durch entsprechende Geldausgaben, genesen. So war es nicht nur vor 45 Jahren, als die sehr junge Nina Hagen den DDR - Gassenhauer sang, sondern so ist es - wenn auch auf einem erheblich höheren, gesamtdeutschen Niveau - noch heutzutage.

Der Farbfilm ist jedoch weitesgehend aus dem Urlaubsgebrauch des Erholungssuchenden verschwunden. Statt seiner sind die Portemonnaie großen, handlichen Informationsallzweckswaffen in dem Reisegepäck der vielen Besucher gewandert. Hier lassen sich massenhaft, in Verbindung mit einer eigenen Cloud, ja beinahe unbegrenzt, Fotos von Urlauben, den Reisen und andere, aus dem alltäglichen Leben stammende Motive, speichern. Die müssen weder entwickelt, noch pfleglich behandelt werden. Sie vergilben nicht, haben kein Verfalldatum und dürften zumeist sehr umweltfreundlich sein. Die stinkenden Abwässer aus der Produktion der vielen Millionen Rollfilme ( Farbfilme ), die ihren Weg nahezu ungefiltert in die Flüsse der Deutsche Demokratische Republik fanden, gehören somit der Vergangenheit an.

Das Kombinat in Wolfen, dass räumlich dem  Chemie - Moloch Bitterfeld zuzuordnen war, gehört längst der Vergangenheit an. Die DDR - Altlasten indes sind bis heute sichtbar ( Silbersee ).



 https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfen


Doch so manchen DDR - Nostalgiker dürfte auch dieses völlig schnuppe sein. Er verklärt die Vergangenheit, wählt jetzt braun statt rot und ärgert sich über die mutmaßlich nicht funktionierende Demokratie, die es immerhin fertig gebracht hat, die Umweltprobleme von der eigenen Haustür aus einige Tausend Kilometer weit weg zu verlagern. Farbfilm hin, ORWO her, der Text des leider verstorbenen Musikers und mehr, Demmler, ließ schon damals - jedoch so ganz nebenbei zwischen den Zeilen gelesen - erahnen, wohin der Weg dieses Konsumartikels hin führen könnte;


Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee
Micha, mein Micha, und alles tat so weh
Dass die Kaninchen scheu schauten aus dem Bau
so laut entlud sich mein Leid in's Himmelblau
So böse stampfte mein nackter Fuß den Sand
und schlug ich von meiner Schulter deine Hand
Micha, mein Micha, und alles tat so weh
tu das noch einmal, Micha, und ich geh
Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael
nun glaubt uns kein Mensch, wie schön's hier war ha ha
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'
alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'
alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr
Nun sitz ich wieder bei dir und mir zu Haus
und such' die Fotos für's Fotoalbum aus
Ich im Bikini und ich am FKK
Ich frech im Mini, Landschaft ist auch da - ja
Aber, wie schrecklich, die Tränen kullern heiß
Landschaft und Nina und alles nur schwarzweiß
Micha, mein Micha, und alles tut so weh
tu das noch einmal, Micha, und ich geh!
Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael
nun glaubt uns kein Mensch, wie schön's hier war ha ha
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'
alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'
alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr


Für den gemeinen Wessi damals unbekannt, unverstanden und weites gehend unhörbar. Lebte er schließlich in einer anderen, der westdeutschen Welt, mit den vielen An - bis Unannehmlichkeiten des Kapitalismus, nicht viel anders, allerdings viel komfortabler. Weshalb er den Farbfilm von " ORWO " aus Wolfen gegen harte Deutsche Mark immer kaufen konnte; vorausgesetzt, er hatte die Hartwährung in der eigenen Hosentasche.

Nina Hagen sah das einige Jahre später dann genauso:










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