Die Leidensgeschichte des Manfred K.



Beim gestrigen Rundgang um den nahe gelegenen Echinger See erinnerte ich mich wieder an meine erste Norwegen - Reise, die sich in einigen Wochen zum 50 Mal jährt.

Es waren die letzten in der CVJM - Jungenschaft der evangelischen Kirchengemeinde Bad Eilsen. Es waren beinahe immer die gleichen Jungen, Schüler und Nachbarn, die sich jede Woche in Bad Eilser Jugendheim trafen. Hier wurde bei Cola, Fanta, Sprite, gemeinsam aus der " Mundorgel " und mit Wandergitarren - Begleitung gesungen, ab und an gebetet und auch geraucht.

An einem solchen Nachmittag entstand bei dem so genannten Leiter der Gruppe Manfred K. aus Bad Eilsen der Gedanke, im kommenden Sommer des Jahres 1970 eine größere Fahrt mit einem Bus zu machen. Seine Überlegungen, diese Reise nach Norwegen zu absolvieren, mündeten einige Wochen später in konkrete Planungen. Manfred K. sah und hörte sich in den benachbarten Dörfern um, wo er schließlich ein Busunternehmen auftat, dass uns in das ferne skandinavische Land bringen sollte.

Manfred K. und zwei weitere Begleiter in seinem Alter organisierten die mehr als 14tägige Fahrt in das Land der vielen Fjorde, Berge und vor allem Wiesen. Dort schlugen wir nämlich später regelmäßig unsere drei mit genommenen Zelte ( Fachjargon: Koten ) auf. 

Die Fahrt vor 50 Jahren führte uns von Bad Eilsen über die Autobahnen nach Hamburg, durch Schleswig - Holstein bis zur deutsch - dänischen Grenze hinter Flensburg bis zum dänischen Fährhafen Hirtshals. Dort setzte uns die Fähre nach 4 1/2 Stunden über den Skagerrak in Kristiansand wieder an Land. Der Bus fuhr uns bis hoch nach Lom. Von dort nach Odda, Oslo und zurück nach Kristiansand.

Die Reise war für uns als ausnahmslos in der Provinz geborene und lebende Jugendlich ein Abenteuer, von dem wir noch viele Jahre danach zehrten.

Allerdings ging das wahre Leben auch dort weiter. Ich beendete meine Ausbildung, leistete meinen Kriegsdienst, holte das Fachabitur nach und begann mein BWL - Studium an der FH in Wilhelmshaven.

In dieser Zeit jobbte ich unter anderem auch in der Glasfabrik H. Heye in Obernkirchen. Dort traf ich in einem Sommer der späten 70er Jahre wieder auf Manfred K. Auch er versuchte sich mit einem Studium.
Was er genau studierte, blieb für mich zu diesem Zeitpunkt unklar. Manfred K. hatte das Abitur an dem Gymnasium in Bückeburg vielleicht gar nicht geschafft.
An jenem Tag, an dem ich Manfred K. seit beinahe 8 Jahren wieder sah, irritierte mich vor allem seine Leibesfülle. Ja, er war pummelig geworden. Hatte einen so genannten Schmerbauch, der unter dem T - Shirt, dass er zu einer viel zu engen Jenas trug, deutlich hervor stach.

Er fragte mich an jenem Tag doch glatt, ob ich mit ihm arbeiten wolle. Eine aufgesetzte, überhebliche Art eines vielleicht 5 Jahre älteren Studenten, der sich in Hannover mit irgendeinem Studium herum schlug
Wir versuchten uns mit einem Gespräch. Es ging um das Studium, die Hochschulpolitik und den AStA. Nach wenigen Sätzen, die er darüber verlor, merkte ich das sein Elternhaus und seine pseudo - christliche Erziehung dabei ganze Arbeit geleistet hatte. Er war mutmaßlich ein CDU - Fan und mindestens Mitglied des RCDS. Sei´s drum, dachte ich damals.

Nach dieser Begegnung sah ich Manfred K. über viele Jahre nicht mehr. Ich hörte nur noch etwas von meiner in Bad Eilsen arbeitenden Mutter über ihn. Sie traf Manfred K. einige Male im Ort. In seinen Gesprächen schwärmte er immer noch von der damaligen Norwegen - Reise. Das war damals mehr als 10 Jahre her. Manfred K. arbeitet inzwischen in der evangelischen Kirchengemeinde in Bad Eilsen.

Er heiratete später eine Lehrerin. Sein Vater, der in Bad Eilsen die Kirchenorgel spielte, verstarb Jahre danach. Manfred K. verkaufte dessen Haus in Bad Eilsen und ließ in einem Vorort von Bückeburg einen Neubau errichten. Dort wohnte er seit den 80er Jahren mit seiner Frau. Er war inzwischen in der evangelischen Gemeindeverwaltung in Bückeburg angestellt. Kein Traumjob, aber dafür krisensicher. Und während ab den Nullerjahren die Arbeitslosigkeit in Rekordhöhen schnellte, im Osten des Landes durchgängig zweistellige Prozentwerte verzeichnete, war Manfred K. auf der - zumindest beruflichen - Sonnenseite des Lebens fest gezurrt. Existenzsorgen hatte er keine, zumal auch seine Frau als Oberstudienrätin glänzend verdiente.

Manfred K. nahm seine soziale Lage so, wie sie auch für einen Außenstehenden zu sehen war. Er gönnte sich was. Er kaufte sich ein Wohnmobil und reiste herum. Der Wohlstand in Hause K. zeigte sich auch an der Einrichtung. Ob es nun das Mobiliar oder die technischen Geräte waren. K. sparte dort nicht. Das brauchte er auch nicht, denn K. führte eine Doppelverdiener - Ehe.

Doch, bei allem sozialen Aufstieg, es gab einen dunklen Punkt in K.´s Biografie. K. war Alkoholiker. Er trank, nein, er soff zeitweilig 3 Flaschen Korn - am Tag, versteht sich. Er soff jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr.
Solange, bis der Arzt ihm die Rote Karte zeigte. Eigentlich hätte K. einen Entzug machen müssen. Doch K. war dazu nicht in der Lage. Er bekam sein eigenes Leben - ohne materielle und finanzielle Not geführt - nie wieder in den Griff.

K. ging nicht in eine Suchtklinik. Er unterzog sich nicht einer Entziehungskur. K. soff weiter.

Irgendwann, nach meiner Erinnerung war es zu Beginn des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts, hörte ich, dass Manfred K. gestorben sei. Er muss um die 64 Jahre alt geworden sein. Der Alkohol hatte ihn geschafft. Das Leben eher nicht. Aber Alkohol gehört offensichtlich auch zum Leben dazu.
Ein Tod, ja, ein sicherer Tod, auf Raten.



CLIMAX CHICAGO BLUESBAND  - Reap What I´ve Sowed  - A Lot Of Bottle  -  1970:



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