Nochmals: Der Neue Annenfriedhof in Dresden - Löbtau.





 Die Herbstsonne des 1. Oktober 2013 trieb mich, wie jedes Jahr seit dem 19. Dezember 2005, aus dem Haus. Geburtstage von Verstorbenen sind ja eigentlich keine richtigen mehr. Aber, was heißt das schon? Die Erinnerungen an jene wenigen Monate des gemeinsamen Zusammenlebens sind längst verblasst. Was bleibt also noch? Viele Fotoalben, Dokumente und diverse Urkunden. Immer doch noch etwas.

So machte ich mich denn auf dem Weg zum Neuen Annenfriedhof, der im benachbarten Stadtteil Löbtau liegt. Über die Wiesbadener Straße, die Dölzschner Straße und die Clara - Zetkin - Straße gelangte ich zum Nebeneingang des Friedhofsgeländes.

Die herbstlichen Impressionen kamen mir bekannt vor: Herunter fallende Blätter, bunt gefärbtes Laub und versprenkelt einige blühende Pflanzen. An den Familiengräbern, den manchmal einzelnen Grabsteinen und den nur noch schwer erkennbaren, einstigen Zuwegungen, gelangte ich an die Grabstätte. Die beiden Urnen liegen hier bald 8 Jahre. Wie die Zeit vergeht!

Die Grabpflege ist - auch wenn sie nur unregelmäßig erfolgt - immer erforderlich. Manche Flächen sehen zwar freundlicher aus, andere wiederum wirken auf den neutralen Beobachter verwahrlost. So, wie das Leben dann schließlich verlaufen ist? Familie hat nicht mehr die Bedeutung, wie vor vielen Dekaden. Da wäre der Zustand einer Reihe von Gräbern als Skandal gebrandmarkt worden. Die Sitten und Gebräuche, die gesellschaftlichen Normen ändern sich; sie sind im Wandel, ja sogar fließend.

Ich entledige mich meiner Jacke. Die Herbstsonne ist trotz der Temperatur von "nur" 16 Grad immer noch kräftig genug, mich beim Kraut zupfen, beim Grabstein säubern und beim Kürzen des Bewuchses leicht ins Schwitzen zu bringen.Ich stelle die frischen Gartenblumen in ein Plastegefäß. Es ist dieses typisch geformte, Vasen artige Gebilde, dass jetzt in der kühleren, dann in der nebligen, trüben und nassen Jahreszeit auf vielen Gräber zu finden sein wird.

Nach einer Viertelstunde ist mein Einsatz erledigt. Es ist vollbracht: Das Grab sieht jetzt optisch rund erneuert aus. Wenn der Tod bereits unter der Erde seine Hinterlassenschaften eingelegt hat, soll das Leben wenigsten sich auf der Oberfläche zeigen. Auch auf Friedhöfen ist tatsächlich noch Leben vorhanden. Die Zeit steht hier nicht still. Sie hat hier sehr wohl noch Macht. Sie fließt dahin und zeigt dem Besucher der angeblich christlichen Kultur, dass Tod und Leben nebeneinander existieren. Sie müssen es, weil beide von Natur gegeben sind.

Ich fertige noch ein paar Fotos vom Grab. Auch einige vom Friedhof. Der Blogger - Kollege Octapolis kann dieses besser. Seine Aufnahmen sind kleine Kunstwerke. Vielleicht hat er auch die etwas bessere Kamera?
Na, ja, ich bin dennoch mit meiner heutigen Ausbeute zufrieden.
Herbst auf dem Neuen Annenfriedhof in Dresden - Löbtau.
Es gibt noch den Alten Annenfriedhof, der in der Südvorstadt liegt.    
Beide haben ihre eigene Geschichte. Vor und auch nach der unsinnigen Bombardierung der Stadt Dresden durch die Alliierten.
 
http://de.wikipedia.org/wiki/Neuer_Annenfriedhof

Nachdem ich meine Utensilien wieder eingepackt habe, schreite ich gemächlich in Richtung Friedhofsausgang. Auf einer Parkbank beobachte ich kurz eine junge Frau. Sie hat einen Kinderwagen vor der Holzbank gestellt und bewegt diesen mit ihrem rechten Fuß hin und her. Hauptsächlich malträtiert sie aber ihr iPhone. Vielleicht teilt sie auch sinnfreies Gewäsch in die virtuelle Welt hinein. Dinge, die niemanden interessieren, die niemand benötigt und an die sich auch niemand erinnern wird.
Eigentlich ein interessanter Platz für ein Aufenthalt. Mutter und Kind auf dem Friedhof.

Ich gehe auf der Clara - Zetkin - Straße in Richtung Dölzschner Straße zurück. Kurz vor der Feuerwache kommt mir ein Pulk Schulkinder entgegen. Ein lautes Geschnatter nach der Schule. Es ist bereits 15.30 Uhr. Vor vielen Jahren war unser Unterricht um 13. 45 Uhr beendet - zur 7. Stunde. Dafür gab es aber kein Schulessen und auch keine Betreuung. Die Kinder eilen an mir vorbei. Einige werden von Eltern oder Großeltern abgeholt. Die Mehrzahl in des geht zu Fuß weiter. Auf die Rücken eine überdimensionierte Schultasche. An der rechten oder linken Hand noch einen oft gleich farbigen Stoffbeutel.

Ich erinnere mich an die Schulzeit meiner Tochter. Die Taschen waren voll mit Büchern, Blöcken und Schreibutensilien. Eine schwere Last, für so zarte Menschen. Später fuhr sie mit dem Fahrrad zur Schule, das erleichterte den Transport ungemein. Der Bus war für sie ein absolutes Tabu, weil damit nur Rabauken, eben jene unerzogenen Kinder fuhren, die Mitschüler oft verprügelten.Das hat es aber zu meiner Zeit auch gegeben.

Die wilde Horde war längst vorbei geeilt, als ich die Straße überqueren wollte. Zuvor hatte ich noch eine Frau mit einem Kinderwagen passieren lassen. Es ist eng dort, vor der Feuerwache in der Clara - Zetkin - Straße. Kurz nach der Einmündung zur Dölzschner Straße sehe ich wieder eine Reihe von Schulkindern. Sie warten auf den Bus der Linie 90.

An der Kreuzung zur Wiesbadener Straße befindet sich eine Kindertagesstätte. Nach und nach werden die Jüngsten in der Betreuungseinrichtung von einem Elternteil oder vielleicht beiden Elternteilen abgeholt. Auch hier zeigen sich die kommenden Generationen und geben den Takt an diesem Nachmittag an. Kinder laufen neben dem Elternteil und zeigen, dass sie immer noch genug Energie besitzen, um den Älteren alle Aufmerksamkeit abzuverlangen. So muss es auch sein. Kein Ablegen vor dem TV - Gerät oder einem Computer.

Dass Alltagsleben und verwalteter Tod so eng bei einander liegen, wurde mir jetzt wieder klar. Der Neue Annenfriedhof und das besuchte Grab liegen in einer Großstadt, hier pulsiert das Leben, zu dem auch der erlebte Tod gehört.


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