" Langer, kannst´e mal eben? "



Vor etwa 2 Jahren quartierte sich der fünfköpfige irisch - deutsche Hauptteil der Familie vorüber gehend bei uns ein, da das eigene Haus in Oberschleißheim noch nicht ganz bezugsfertig war.

Das von unseren abgereisten Gästen für 12 Tage in Beschlag genommene Zimmer muss gereinigt werden. Warum wundert mich das jetzt nicht? Ich nahm mir deshalb heute Nachmittag die Betten vor und zog dort die Bettwäsche ab. Eine durchaus Schweiß treibende Angelegenheit, denn draußen herrschten beinahe 30 ° C. Dazu war es schwül. Kein Wetter also, bei dem man sich anstrengen sollte. Dennoch: Der Kehraus muss beginnen.

Nachdem ich die Bettbezüge, die Kopfkissen und die Laken allesamt in den Wäschekorb bugsiert hatte, holte ich aus dem Gästebad zudem die dort liegen gebliebenen Utensilien. Der Korb war längst voll. Ich wuchtete ihn in die Waschküche. Zunächst war ein Waschgang mit Bettwäsche an der Reihe. Die vielen Handtücher sollten später folgen.

Betten abziehen, Handtücher auswechseln, Putzen - all diese Tätigkeiten, sie kamen mir plötzlich seltsam bekannt vor. Und, tatsächlich, ich fühlte mich in die Zeit ab den frühen 1970er Jahre zurückversetzt. Als hätte ich eine Art " Timetunnel " betreten, der mich zeitlich in jene Epoche zurück katapultierte, in der im Haus meiner Eltern ständig fremde Leute ein - und ausgingen.
Es waren Angehörige und - dieses nicht so selten - der Kurschatten der in Bad Eilsen vorübergehend lebenden Menschen.

Der Ort am Rande des Weserberglandes, idyllisch eingebettet von Harrl, den Bückebergen und den sich in Sichtweite befindlichen Messingsberg, den Luhdener Klippen und dem Hainholz als Teile des Wesergebirges. Die Aue ( Bückeburger Aue ) zerteilt Bad Eilsen, dass den Status eines staatlichen anerkannten Heil - und Kurbades hat.

Hier herrschte den der Goldenen Ära des BRD - Sozialstaates, nämlich während der Brandt / Schmidt - Kanzlerschaft, im wahrsten Sinne des Wortes: Hochkonjunktur.
Zehntausende Kurgäste pro Jahr wurden einst in dem nur knapp 1.500 Einwohner zählenden Ort beherbergt.
Das bedeutete auch, dass entsprechende Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden mussten. Es wurde fleißig gebaut. Der Ort, das kleine Bad Eilsen, es wuchs. Im Gleichschritt entstanden Hunderte neuer Arbeitsplätze. Davon profitierten auch die umliegenden Dörfer, die zur Samtgemeinde gehören.

Die Region prosperierte. Und dieses über mehr als 2 Jahrzehnte.
Logisch, dass alsbald die Pensionen wie Pilze aus dem Boden schossen. Aber, nicht nur dort versuchten die Bad Eilser mit dem Kur – Boom Kasse zu machen. Auch der private Vermietungsbereich weitete sich aus. Viele Hauseigentümer versuchten sich ein ordentliches Zubrot mit der Vermietung von Fremdenzimmer zu verdienen. Dazu war es allerdings erforderlich, dass der Vermieter bei den verweilenden Kurgästen bekannt war.

Nachdem zunächst meine Schwester und später auch mein Bruder und ich ihre Zimmer in dem elterlichen Haus aufgegeben hatten, wurden diese renoviert und sodann zu Fremdenzimmer umfunktioniert. Unsere Mutter war ja als LVA – Mitarbeiterin, die den Kurgästen die vorgesehenen und auch zumeist vorgeschriebenen Speisen als Diät zu kredenzen hatte, direkt an der Quelle.

Ab Mitte der 1970er Jahre waren deshalb sämtliche vier Fremdenzimmer zeitweise ganzjährig voll belegt. Das war gut für die Aufbesserung der Haushaltskasse. Aber, nicht nur dort konnte das eingenommene Geld verbraucht werden. Weil das Prinzip der fiskalisch neutralen Einnahmen in jener Zeit bei eine Vielzahl von Anbietern der Fremdenzimmer gang und gäbe war, durfte sich der jeweilige Privatanbieter über einen warmen Geldregen freuen. Allerdings waren bei dieser Art von Vermietung die damit verbundenen Kosten zu berücksichtigen. Ähnlich wie im Hotelgewerbe beliefen sich diese auf zirka 30 % des Bruttoumsatzes.

Da Personalkosten nie anfielen, konnten die Privaten jene Fremdenzimmer erheblich günstiger anbieten und waren somit zumeist besser belegt.





Ab 1982 kamen die Schwarzen in Bonn an die Macht. Mit ihnen rührte der einstige Arbeits - und  Sozialminister Blüm das gesamte Gesetzeswerk um und ließ die Arbeitnehmeransprüche auf Kuren radikal zusammenstreichen. Sukzessive schmolzen die Zahlen der von den Kassen gewährten Kuren zusammen. Es gingen damit die Grundlagen für die Kurorte verloren. Bad Eilsen verlor zunehmend jene Arbeitsplätze, die sich in dem Zeitraum zuvor gebildet hatten. Auch mit der Vermietung von Fremdenzimmern ging es bergab.

Die Zeit des Geldverdienens durch die private Vermietung von Fremdenzimmer war dann zu Beginn der 1990er Jahre nahezu vorbei. 

Während meine bessere Hälfte und ich die Bettwäsche in dem geräumten Gästezimmer abzogen, die beiden Betten neu bezogen, die Papierschnipsel, das Bonbonpapier, die Holzstiele der verzehrten Eissorten beiseitigten, dazu intensivst den Staubsauger kreisen ließen, erinnerte ich mich an jene Zeiten, in denen im elterlichen Haus 4 bis manchmal 5 ( der inzwischen vom nicht mehr genutzten " Beat - oder Partykellerraum " zu einem Zimmer mit Waschgelegenheit umgebaute Raum dazu gerechnet ) Zimmer vermietet waren. 

Die seit Beginn der 1970er zunächst zwei an Angehörige von Kurgästen vermieteten Räume waren eher spartanisch eingerichtet. In ihnen befanden sich neben einem Bett / Doppelbett, einem Kleiderschrank, zwei Nachttische auf denen jeweils eine Nachttischlampe der einfacheren Ausführung stand, ein kleinerer Tisch, zwei Sessel, ein Waschbecken mit Warm - und Kaltwasser - Armatur, darüber war eine Seifenschale und eine Waschtischablage montiert sowie ein dazu gehöriger Spiegel, über dem eine Lampe montiert war. Zudem lag oft ein Läufer vor den Betten und es hingen einige kleinere Bilder an der Wand. das ganze wurde für 12 DM als Mehrfachübernachtung und 15 DM als Einzelübernachtung pro Person inklusive Frühstück angeboten.

Dass sich diese Preise im Laufe der Jahre erhöhten, dürfte selbst redend sein. Denn es waren nicht nur die Steigerungsraten der allgemeinen Lebenshaltungskosten, sondern auch die ständig vorhandene Nachfrage und sicherlich ebenso die Wertschätzung der hierfür eingebrachten Arbeit. Ohne jene profanen Haushaltstätigkeiten, wie Frühstückstisch decken, das Reinigen der Fremdenzimmer oder die Bettwäsche und Handtücher waschen, aber auch das Neu beziehen der Betten, könnte eine kleiner, privater Pensionsbetrieb nicht bestehen. Sauberkeit war bei meiner verstorbenen Mutter denn das oberste Gebot. Schließlich hätte sie bei verschmutzten Zimmern wohl nicht jede Vielzahl an Gästen gehabt, die innerhalb jener Zeitspanne bis zur Mitte der 1990er Jahre im Haus übernachteten, das Frühstück einnahmen sowie auch bereit gestellte Getränke verzehrten.
Ja, es war viel Arbeit, die sich unsere Mutter dabei aufhalste, um sich selbst dann jene materiellen Wünsche zu erfüllen, die ohne diesen - steuerfreien - Hinzuverdienst kaum zu erfüllen waren.

In den " Spitzenjahren " lagen die von ihr fein säuberlich in einem Oktavheft notierten Bruttoeinnahmen bei zirka 35.000 DM. Hinzu kam das " Klimpergeld " aus der Getränkekasse. die in etwa 500 bis 600 DM brutto pro Monat extra einspielte. Ja, davon ließ sich dann doch relativ gut leben. Im Vergleich zu den beiden Verdiensten aus ihrer Berufstätigkeit hatten die Eltern alsdann einen durchaus sehenswerten Wohlstand angehäuft.
Zudem konnten sie sich nicht gerade preiswerte Urlaubsreisen leisten und auch wir als Jugendliche und später erwachsene Kinder durften von jener " Schwarzarbeit " partizipieren. Ohne die ein Studium, die Familiengründung meines jüngeren Bruders und die Hochzeiten sowie dortige, spätere Anschaffungen in der Form nicht möglich geworden wären.

Bei diesem Geschäftsmodell benötigte indes einer exakten Planung, aber auch meiner Mithilfe während der Ausbildungs - und Studienzeit. Ohne der hätte dieses nie und nimmer funktioniert. So erinnere ich mich noch daran, dass in schöner Regelmäßigkeit ein handgeschriebener Zettel auf dem Küchentresen lag, in der in der für unsere Mutter typischen, sehr krakeligen Schrift jener Satz geschrieben stand, an den ich mich beim Beziehen unseres Bettes regelmäßig erinnerte und diesen dann mit einem gewissen, leicht spöttischen Unterton gegenüber meiner besseren Hälfte wieder gab: " Langer, kannste mal eben die 1, 2, 3, 4 machen. "

Der als Frage formulierte, dann krakelig nieder geschrieben Satz, war dabei ohne das erforderliche Fragezeichen versehen. Woraus ich als proletarisch sowie einst Autoritätsgläubigkeit erzogener und so aufgewachsener Sohn rück schloss, dass es sich nicht um eine Bitte, vielmehr um einen Auftrag oder noch drastischer, im selbst erfahrenen, militärischen Jargon, um einen Befehl handelte.

Ich funktionierte dann, wie erwartete. Die 1, 2, 3, 4 , war bei der Rückfahrt von der LVA - Arbeitsstelle der Mutter in meinem R 4, wie befohlen, gesäubert, bezogen und vorbereitet.

Jawoll, moi general!



WERWOLF  -  My Story  -  Creation  -  1982:





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