Wer liest denn heute noch?


Als auch für mich mit dem Jahr 1970 nicht nur ein neues Jahrzehnt begann, sondern meine Volljährigkeit langsam aber sicher in die nahe Zukunft rückte, wusste ich damals zwar, was ich in meinem weiteren Leben nicht wollte, jedoch nicht so ganz, was ich wollte. Zu den Dingen, die ich partout nicht oder noch nicht in meiner Lebensplanung hatte, zählten zum Beispiel, keinen Beruf für zirka 700,-- DM brutto als Verkäufer ausüben, vorerst keine Familie gründen und auch nicht beim Barras bleiben. Aber auch eine eigene Wohnung, die mich aus den Klauen der Eltern hätte befreien können, stand nicht einmal ansatzweise auf der Zukunftsagenda.

So wurschtelte ich mich denn in den frühen 1970er Jahren einfach durch das Leben und bedauerte diejenigen Gleichaltrigen, die sich  um aus dem piefig - miefigen - Umfeld der Familie heraus zu kommen, viel zu schnell heirateten, um eine eigenen Wohnung beziehen zu dürfen. Denn: Ohne Trauschein gab es keinen Mietvertrag.

Das war auch in dem sozialistisch geprägten deutschen Bruderstaat jenseits der Grenze nicht viel anders. Auch dort herrschte nicht nur ein permanenter Wohnungsmangel, sondern zudem auch eine ähnlich gelagerte Denkweise vor. Wer keine Ehe schließen wollte, dem blieb der Wunsch nach einer eigenen Wohnung über Jahre hin verwehrt. So kam es denn auch, wie es in solchen Situationen immer kommt: Es wurde von den Menschen ein Ausweg aus jener Misere gesucht und der hießt dann " Heirat ".

Egal, ob es der oder die Richtige war oder nicht. Hauptsache, man(n) / frau konnte dem familiären Umfeld zunächst entfliehen. 

Oft wurden solche " Zweckehen " bereits nach wenigen Jahren wieder geschieden. Mit dem Ergebnis, dass bei Ehepartner eher desillusioniert auf die Suche nach einem neuen Glück waren. Aber auch ein zweiter Versuch konnte dabei scheitern. Eine Garantie, dass es mit dem Erfahrungen aus der Vergangenheit beim erneuten Anlauf, das eheliche Glück zu finden, besser funktioniert, gab es auch dann nicht.

Hierüber diskutiere ich dann und wann mit meiner besseren Hälfte.

Beim Austausch jener - manchmal auch leidvollen - Erkenntnissen zeigte sich alsdann, dass die Abläufe auf jenem Feld der zwischenmenschlichen Beziehungen nahezu identisch waren. Egal, ob Ost oder West, sozialistisch oder kapitalistisch, BRD oder DDR, das Spießertum in jener Zeit, also in den frühen 1970er Jahren war das gleiche und es lauerte überall und nirgends auf uns als damals noch junge sowie unerfahrene Menschen.

Doch: Während ich erst viele Jahre nach dem Abschluss meines Jura - Studiums eine feste Bindung einging, um dann dabei " ins Klo " zu greifen, ereilte dieses Schicksal meine bessere Hälfte bereits früher. 

Nun, der einst Auserwählte war ein sturer Bock aus Brandenburg, den sie während des Studiums kennen lernte, mit dem sie eine Familie gründete und von dem sie sich wenige Jahre danach wieder scheiden ließ. Der Brandenburger war nicht nur ein auf Karriere im Sozialismus getrimmter Mitläufer, sondern er hatte dabei auch Stasi - Verbindungen. Der Karrierist, Sohn eines Hochschullehrers und einer ungelernten Ehefrau, absolvierte sein technisches Studium, legte danach eine Promotion ab und begann im Parteiauftrag in Schwerin seine berufliche Laufbahn. Seine Ehe wurde wenig später geschieden. Er unternahm einen zweiten Versuch, der ebenfalls voll " in die Hose ging ".

Dann kam die Wende. Der einstige Parteibuchakademiker musste sich - wohl auch - aufgrund seiner Vergangenheit umorientieren. Er gründete ein Unternehmen, über das er viele Jahre hinweg gute Geschäfte zu Russland pflegte, da er , vornehmlich aber seine dritte Frau, die russische Sprache beherrschte. Als Merkel - angeblich wegen der Annexion der Halbinsel Krim durch Russland - die Wirtschaftsbeziehungen zu dem Land auf ein Minimum absenken ließ, brachen die Umsätze in der Firma des Ex - Stasi - Mitarbeiters ein.

Nicht nur deshalb rumorte es alsdann im so genannten Osten Deutschlands ordentlich. Die Brauen und die AfD bekamen hier Oberwasser. Und auch der Herr Unternehmer aus dem Kaff P. in Mecklenburg - Vorpommern ließ seine Fahne im reaktionären Wind hoch heben. Er wurde AfD - Wähler und sonderte alsbald jenen Schwachsinn ab, der aus dem Dunstkreis dieser Partei kam. Nun, dass kam nicht von ungefähr. Weil er sich von der Russland / Putin freundlichen Gesamtrichtung jener Partei eigne Vorteile verspricht, wurde sodann aus dem guten SED -  Genossen ein treuer AfD - Anhänger, der just jene Lügengeschichten wider käut, die er über entsprechende Quellen im Internet immer wieder bestätigt erhält. Der Begriff " Filterblase " trifft hier auf den " feinen " Herrn vollends zu. Er zog nur jene Informationsquellen hinzu, die seine zuvor über solche erhaltene Meinung ohnehin bestätigen.

Für Menschen, die seine Meinung nicht teilen und dabei auf andere Quellen, wie beispielsweise Bücher hinweisen, hat er nur ein verächtliches: " Wer liest denn heute noch? " übrig. Der Herr Unternehmer aus dem Nordosten des Landes ist natürlich auch Impfgegner. Er ist auch gegen Zuwanderung, gegen " Schein - Asylanten ", gegen alles Fremde, was seine " gute " deutsche Herkunft beeinflussen oder gar beseitigen könnte. So wurde dank der eigenen Fehltritte und Fehler im Leben des einst braven Parteisoldaten und treuen Genossen ein richtig brauner Stießel. 

" Wer ließt denn heute noch? "



Na? Ich auf jeden Fall!




SCHÖNHERZ  -  Between Judgement And Madness  -  What A Night  -  1978:






 


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

" Eine Seefahrt, die ist lustig. " - nur nicht in den 60er Jahren zum AOK - Erholungsheim auf Norderney.

" Oh Adele, oh Alele, ah teri tiki tomba, ah massa massa massa, oh balue balua balue. " und die Kotzfahrt nach Wangerooge.

Widerspruch zwecklos!