Butzewacke
Gestern war Sonntag, der 8.12.2019 - der 2. Advent. Ich hatte den Tisch für unseren morgendlichen Brunch ( = Breakfast + Luch / Frühstück + Mittag ) gedeckt. Neben Ei, Wurst, Schinken, Käse, Fisch, Tomaten, Gurken, Oliven, scharfen Paprikaschoten, Marmeladen, Brötchen, Croissants, Kaffee, O - Saft, saß - wie immer zu diesem Anlass - unsere Katze Nele auf dem Tisch. Sie springt aus dem Stand locker die 70 cm hoch und landet elegant auf der Holzplatte. Wohlwollend registrierten wir Neles Anwesenheit.
Nele verlangte nun ihrerseits, dass wir sie am Brunch teilnehmen lassen. Sie bekommt hierzu einen separaten Teller. Darauf legen wir ein Stückchen Wurst; am heutigen Sonntag war es ein Stück der ausgelassenen Forelle. Nele mampfte sofort los. Ihr mundete das zarte Forellenfilet ausgezeichnet. Nachschlag drohte und wurde von mir umgehend bewilligt.
Während Nele schmatzte und sich anschließend das Schnäutzel leckte, erinnerte ich mich spontan an eine beinahe gleichgroße Katze des einstigen Studienkollegen C. Er wohnte damals bereits mit seiner Lebensgefährtin I. in dem haus der Schwiegereltern in Bremen - Hemelingen. Dort betrieb der Schwiegervater einen kleineren Sanitärbetrieb. Er hatte vor einigen Jahren die Meisterprüfung abgelegt und sich später selbständig gemacht. Was schon zur damaligen zeit ein knüppelhartes Geschäft war, denn es gab in diesem Gewerke reichlich Konkurrenz.
Um Personalkosten zu reduzieren spannte der Schwiegervater, der mit Nachnamen W. hieß, den Studienkollegen C. regelmäßig in den Geschäftsbetrieb mit ein. So erfuhr von ihm, was sich dort im betrieblichen, aber auch familiären Umfeld, abspielte.
C. war in der Familie, die aus W´s Ehefrau und drei Töchtern bestand seit langem voll integriert. Er ging in den beiden Häusern in Bremen und dem Dorf Bollen bei Achim, wo W. in der Nähe des einstigen SV Werder Bremen - Profis Uwe Reinders wohnte, ein und aus.
Mit zu der Familie zählte auch eine grau - braune Katze. Sie war nicht mehr ganz jung; so um die 19 Jahre alt und hörte auf den Namen " Butzewacke ".
Eines Tages traf ich mit C. wegen der Ausarbeitung eines Referats in dem Haus von W. in Hemelingen. Es war ein älteres Gebäude, dass wohl in den 1940er Jahren gebaut wurde, als in Hemelingen noch Rüstungsbetriebe und Werften für Kriegsschiffszubehör existierten. Die Familie des Klempnermeister wohnte jedoch in einem großzügig und eher hoch wertig sanierten Haus in der Westerstraße. Manchmal verwechselte ich diesen Straßen - mit dem Nachnamen der dort lebenden Ws.
Während des 6 1/2 jährigen Studiums war ich viele Male dort und
habe mit dem Kollegen C. einige Ausarbeitungen für die vielen Leistungsnachweise
erstellt. Ich kannte die Wohnung eigentlich sehr gut und natürlich auch die
dort lebende Katze " Butzewacke ", die ständig auf einem der etwas
teureren Stühlen im Wohnzimmer lag und sich nur dann zeigte, wenn ich mal
wieder Kuchen mitgebracht hatte. " Butzwacke " mochte nämlich Süßes;
insbesondere aber auch meinen gekauften Zuckerkuchen, den Käsekuchen, aber auch
Amerikaner verschmähte sie nicht.
" Butzwacke " wuchs mir im Verlauf der vielen 1980er
Jahren ans Herz. Weil " Buzewacke " ein sehr ungewöhnlicher Name für
ein Katze ist, wollte ich von meinem Studienkollegen C. wissen, woher seine
Verlobte und er diesen Namen aufgeriffen hatten. So ganz schlüssig konnte C.
mir dieses nicht erläutern. Eines Tages hätte seine Verlobte I. den Namen für
die bereits länger lebende Katze erfunden, erklärte mir C. Ich machte mir daher
meine eigenen Gedanke dazu und vermutete, dass C., nachdem er seine
Lebensgefährtin I. damals kennengelernt hatte, eben auch verliebt war und sie
sich in jener Zeit wechselseitig mit spinnerten Kosenamen bedacht hatten,
woraus auch die Wortschöpfung " Butzewacke " hervor gegangen sein
könnte. Schließlich erhielt dann die Katze den Phantasienamen.
" Butzewacke " lebte sehr lange. Sie wurde mindestens 23
Jahre alt und schlief eines Tages friedlich ein. Bis zu diesem Zeitpunkt
erlebte " Butzewacke " einiges in dem Hause der Ws.
So auch eine handfeste Ehekrise. Der Herr des Hauses, den ich
" Johnny " nannte, weil des Nachname mit dem eines meiner verehrten
Bluesmusikers identisch war, hatte sich in Frankfurt am Main eine Freundin
zulegte. Genauer gesagt: Eine um 24 Jahre jüngere Jura - Studentin, die er dort
mit aushielt. Okay, diese sah natürlich besser als seine eigene Ehefrau aus,
die damals so um die Mitte Vierzig war. Obwohl noch schlank, gepflegt und immer
chic gekleidet, sah man der Ehefrau des W. die vergangene Zeit und die Geburt
der drei Kinder durchaus an. Aber diese konnte die Eskapaden ihre Mannes
dennoch nicht klaglos hinnehmen. Sie stellte ihn zur Rede und wurde von dem
wütenden Mann verprügelt.
Eines Tages erzählte mir mein Studienkollege davon. Ich war ein
wenig entsetzt, denn ich hatte die Ehe der Ws eher als harmonisch und
funktionierend bewertet. Doch der Schein trog. Weil die Ehe kriselte, ja
bereits auf der Kippe stand, zogen Ws dann nach Bollen, später zurück nach
Bremen in die Westerstraße. Mein Studienkollege und seine Verlobte mussten
deshalb ebenfalls umziehen. Von der Westestraße in die Bollener Landstraße,
dorthin, wo Uwe Reinders, den wir beide als Werder - Fan natürlich verehrten,
und von dort zurück in die Westerstraße. " Butzewacke " blieb indes
immer in der Westerstraße und ließ es sich dort gut gehen.
W. beendete die kurze Affäre mit der Jura - Studentin aus
Frankfurt am Main und besann sich auf seine eigentlichen Aufgaben, nämlich die
Weiterführung des Installationsbetriebs und den damit verbundenen Zwang Geld
verdienen zu müssen, um seine Verbindlichkeiten begleichen zu können.Auch die
beiden jüngeren Töchter des W. mussten schließlich ernährt werden, weil sie als
Schülerinnen noch kein eigenes Einkommen haben konnten; während die älteste
Tochter I. bereits in der Ausbildung bei einem Fahrzeugzubehörhersteller war
und wenig später dort weiter arbeiten durfte.
W. hätte sich eigentlich einen Sohn gewünscht, der später dann
seinen Betrieb weiterführt. Doch daraus wurde nichts; gleichwohl eine Tochter
den Malerberuf erlernte und danach ergriff. So blieb das Handwerk immerhin in
der Familie der Ws.
W. war - so wie wir auch - Werder - Fan. Er besaß eine Dauerkarte.
Deshalb hatte er einige Privilegien, die wir als Studenten nicht reklamieren
konnten. W. saß damals überdacht auf der Südtribüne; während wir sehr oft im
Regen stand. Das Weserstadion hatte damals ein völlig anderes Aussehen das weit
entfernt von dem einer komfortablen Arena anzusiedeln war. W. musste sich nie
in die langen Menschenschlangen vor den Einlasstoren einreihen, brauchte keine
Karten an den noch existierenden Kassenhäuschen erwerben oder Wochen zuvor an
den Vorverkaufsstellen nach diesen fragen. W. kam auch immer erst eine
Viertelstunde vor dem Spielanpfiff mit seinem Mercedes auf den VIP - Parkplatz
gefahren und sprintete dann zu dem Südtribünenaufgang hoch. Die Rückfahrt
verlief genauso stressfrei. Er verließ das Stadion regelmäßig eine
Viertelstunde vor dem Spielschluss, nachdem er zwei Hemelinger Bier getrunken
und über seinen dort sitzenden Bekannten einige Aufträge in der Tasche hatte.
Nachdem mein Studienkollege und ich das Examen im Dezember 1986 in
der Tasche hatten, bedachte uns W. ab und zu mit einigen
Forderungsangelegenheiten, die von seiner Installationsfirma kamen. Eine
Ehescheidung der Ws hatten wir jedoch nie auf den Tisch. Ws schienen sich -
zumindest oberflächlich - versöhnt zu haben. Die beiden anderen Töchter gingen
auch nach und nach aus dem haus und nabelten sich von den Eltern ab. Vielleicht
hatte sie W. deshalb wieder gefangen und kam zurück auf den berühmten Teppich?
Wie dem auch sei, nach dem friedlichen Einschlafen des
Stubentigers " Butzewacke " legten sich Ws keine weitere Katze zu. So
wurde das Haus in der Westerstraße immer leerer. Schließlich lebten nur noch
die Ws selbst dort, nachdem auch mein Studienkollege und späterer Berufskollege
C. Ende der 80er Jahre in Las Vegas geheiratet hatten.
" Butzewacke " durfte dieses jedoch nicht mehr mit
erleben - sie verabschiedete sich lange zuvor in den Katzenhimmel. Ob es dort
wohl auch Kuchen gibt?
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