´Nen Bettelsack zu Weihnachten!

Joh, jetzt ist es geschafft - die Heilige Nacht liegt vor uns. Die Schlachten sind geschlagen, das Konto überzogen, das Portemonnaie leer, dafür sind der Kühlschrank und das Wohnzimmer voll. Weihnachten 2019 klopft an die Tür. Wollen mer es rein lasse?

Während ich heute bei " NORMA " meine auch aller letzten Einkäufe vor dem geheiligten Fressfest in aller Frühe erledigte und mit einem vollen Leinenbeutel den Rückweg antrat, erinnerte ich mich an das Weihnachtsfest 1990. Ich wohnte damals in einem Haus in der Waterloostraße in Bremen. Eine eher sehr bescheidende Unterkunft von knapp 75 m², unter dem Dach. Hier wurde es im Sommer fast unerträglich heiß; im Winter dafür sehr kalt, so dass die Wäsche auf dem darüber liegenden Boden an fror. Eigentlich ein " Scheißloch ", dass jedoch mehr als 900 DM je Monat kostete. Auch zu dieser Zeit waren bezahlbare Wohnung - nicht nur in Bremen sehr rar. Es herrschte - wie sich die Bilder nach 30 Jahren immer noch gleichen - akuter Wohnungsmangel.

So entschied ich mich also, dieser Not gehorchend, für die Dachwohnung in der Waterloostraße. Ab und zu kamen Bekannte und Verwandte zu Besuch, die die Unterkunft gar nicht so schlecht fanden. Das lag aber auch daran, dass sie selbst noch bescheidender hausten oder besser: Weil sie noch weniger Geld zur Verfügung hatten, konnte auch diese sich keine bessere Wohnung leisten.

Es war am 24.12.1990, als es gegen Mittag klingelte. Eine Bekannte, die mit ihrem iranischen Freund einige Straßen weiter wohnte, stand vor der Tür. Sie sah übermüdet und irgendwie verheult aus. Obwohl ihr Auftauchen sehr überraschend kam,  bat ich sie herein. Meine damalige Frau war davon nicht sonderlich begeistert.Unangemeldeter Besuch ist im fest gefahrenen Gefüge der teutonischen Weihnachtszeremonie so ziemlich das Letzte, was den davon Betroffenen widerfahren kann - de facto, der Super - Gau.

Ich bot ihr eine Tasse Tee an.Kaum hatte sie an dem billigen IKEA - Küchentisch Platz genommen, sprudelte es aus ihr heraus. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf und schilderte uns dabei, wie ihr iranischer Freund sie behandele. Er sei völlig egoistisch, dazu noch uneinsichtig, ein egoistischer Macho, eben. Nein, so habe sie sich das Leben mit dem Mann nicht vorgestellt. Und, nein, sie wolle nicht mehr mit ihm zusammen sein. Dann erzählte sie, was der Grund für ihre maßlose Enttäuschung war.

Keyghobad Y. , den sie zuvor liebevoll mit " Robert " umgedeutscht hatte, war am 23. 12., demnach einen Tag vor Heilig Abend, einfach zu iranischen Freunden und Genossen nach Köln gefahren. Dort trafen sich einige Gegner des iranischen " Ajatollah " Chomeni und dessen Mullah - Regimes. Robert zählte dazu. Er war zuvor als Asylsuchender aus dem Iran ausgereist, also " geflohen ", weil er sich mit den politischen Verhältnissen nicht identifizieren konnte. Er stellte danach in Bremen einen Asylantrag und wartete seitdem auf eine gerichtliche Entscheidung hierüber. das konnte schon damals dauern. Es zogen mehrere Jahre ins Land, ehe eine Vielzahl von Iranern einen relativ sicheren Aufenthalt erstreiten konnten.
Robert ging indes einen anderen Weg. Er lernte eine deutsche Frau, nämlich Sabine W. kennen, zog bei ihr als Asylbewerber ein, gab gegenüber den Behörden aber nicht an, dass er mit ihr liiert war und erhielt deshalb Leistungen nach den damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen.

Einige Jahre plätscherten an dem - wohl eher ungleichen Paar - vorbei. Ihre Lebenssituation führte nicht gerade dazu, dass sich Robert in diesem Zeitraum den hiesigen Gepflogenheiten anpasste. Im Gegenteil: Robert war Moslem, so wie viele Iraner, die ich in Bremen in den Studien - und . Berufsjahren kennen lernte. Allenfalls waren eine Hand voll Baha'i , manchmal auch Christen unter ihnen. Sie stellten und stellen heute noch eine absolute Minorität in dem Land dar.

Nun, Robert war politisch besehen, eher links orientiert, er fühlte und bezeichnete sich als Kommunist. Was in der damaligen Zeit denn eher als Schimpfwort bei den Bundes - Spießern eingeordnet wurden und heutzutage mit einem Augenbrauen - Hochziehen und dem anschließenden altersmilden, sehr müden Lächeln quittiert wird, galt unter uns eine eine Art Image, als zur Schau gestellte, irgendwo aus dem Dunklen der eigenen Vergangenheit, hervor geholte Profession. Auch Robert zählte zu jenen selbst Auserwählten. Zusammen mit seinen Genossen aus Köln wollte er theoretische Wege und Möglichkeiten eines Umsturzes in seinem Heimatland diskutieren.

Tja, die Theorie ist schon zu jener Zeit nur grau gewesen. Aus dem hoch fliegenden Plänen wurde nichts. Das Mullah - Regime existiert mehr als 40 Jahre danach und unterdrückt, wie bereits zu jener Zeit,  die eigene Bevölkerung.

Keyghobad indes focht das alles nicht an, er schwadronierte mitsamt seinen politischen Freunden, den Genossen, über eine Konter - Revolution. An jenem Heiligen Abend des Jahres 1990, als seine Lebensabschnittsgefährtin bei mir ( uns ) in der Küche der Wohnung des Obergeschosses in der Waterloostraße 50 in Bremen saß und sich die Frustration darüber aus dem eigenen Leibe heulte.

Nach mehr als einer Stunde des Zuhörens, des Versuchs, sie, die am Heiligen Tag so arg Gebeutelte, die zwar den eigenen, den katholischen Glauben, längst zu ihren biografischen Altlasten gelegt hatte, hatte sich bei mir ausgeweint. Über ihren moslemischen Freund, den Papier - Kommunisten, der die Theorie einer iranischen Konter - Revolution mit entwickeln wollte. Allerdings im gesicherten Ausland, an einem Ort, irgendwo in Köln der 1990er Jahre, drängte meine ehemalige Angetraute auf Aufbruch. Nicht zu neuen Ufern, sondern zu den lieben Verwandten. Zu ihren Eltern, die in einem Dorf zwischen Bremerhaven und Cuxhaven wohnten. Die dort seit ewigen Zeiten lebten und zeitweise bei irgendeinem Bauern arbeiteten, bevor der Vater dann als " Wanderarbeiter " im Straßenbau sich verdingte, die Mutter drei Kinder gebar, der Vater dann die Stelle als Hausmeister der noch existierenden Volksschule bis zu seiner Pensionierung inne hatte und dafür eine billige Wohnung oberhalb des Schulgebäudes erhielt.

Nach der Wochen zuvor entschiedenen, unvermeidbaren Streit zu der existenziellen Frage: " Fahren wir zu meinen oder deinen Eltern? ", zog ich mich - immer noch ein wenig unwirsch - im Schlafzimmer um, während die Ex - Frau sich mit dem Uberraschungsbesuch an einem Lösungsansatz für die Beseitigung der Beziehungskrise arbeitete. " Schmeiß' den doch wieder raus! ", lautete ihr pragmatischer Vorschlag.

Wir mussten los fahren. Bis zum Zielort dauerte es mehr als eine Stunde; die Bescherung war für 16.00 Uhr angesetzt - es wurde Zeit.

Sabine W. verabschiedete sich und wünschte uns frohe Weihnachten. Sie hatte sich dazu entschlossen, doch noch zu ihren Eltern zu fahren.
Das kostete ihr Überwindung, denn ihr Vater war ein ehemaliger SS - Mann, ein Alt - Nazi, ein ausgemachter Rassist, der ihren Freund Robert als " Kuffnukke " abtat. Er weigerte sich, mit Robert zu sprechen ; überhaupt den Freund als solchen zu tolerieren. Ich wusste das, denn Sabine hatte mir die Ausfälle ihres Vaters dazu ausgiebig geschildert.

Während der Fahrt auf der Autobahn, dachte ich über Sabines Weihnachtsstress nach. Ihr Freund schmiedet im fernen Köln revolutionäre Pläne, der Nazi - Vater lehnt diesen unisono ab, weil er Ausländer hasst und jetzt steht Weihnachten vor der Tür. Dagegen ist der " Pflichtbesuch " bei den Schwiegereltern ein Nichts.
Ich hatte zwar auch nichts auf der Naht, war aber Deutscher und Anwalt - kein Bettelsack also.
Obwohl ich damals eigentlich einer war - ein zum Weihnachtsfest kommender Schwiegersohn.

' Nen Bettelsack zu Weihnachten, eigentlich!




PROCOL HARUM - In Held T `Was In I -  Shine On Brightly - 1968:










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