Der 31.12.1969 war ein....?
Vor beinahe 50 Jahren fiel Silvester auf einen Mittwoch; der darauf folgende 1. Januar des neuen Jahres und auch Jahrzehnts war demnach ein Donnerstag. Als das ereignisreiche Jahr 1969 zu Ende ging, lag in der Region um die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover Schnee. Die Temperaturen lagen im Frostbereich, so, wie im gesamten Dezember dieses Jahres.
Es erwartete jene Region aber ein nasskalter Jahresanfang, denn zeitweise begann es zu tauen. Keine besonders guten Voraussetzungen, um ein neues Jahrzehnt zu beginnen.
In der Provinz, in der ich zu jener Zeit so langsam, aber dafür eher unsicher, groß wurde, waren derartige Ereignisse nicht wichtig. Der Durchschnittsbürger ging hier trotz widriger Wetterumstände pflichtbewusst seiner Arbeit nach. Egal, ob es stürmte, regne, schneite oder sogar die heiße Sonne schien.
In diesem Umfeld wurde ich auch erzogen. Pflichtbewusst und nicht aufmüpfig zu sein, gehörte zu den Tugenden, die auch nach der Volksschule ständig einzuhalten waren.
Das passte allerdings nicht mit dem Lebensstil meiner Idole, die sich ausschließlich im Musikgenre herum trieben. Sie ließen sich die Haare lang wachsen, trugen unanständige Kleidung, nahmen zudem auch neben dem all gegenwärtigen Alkohol, diverse Rauschmittel zu sich. Kurzum: Diese Damen und Herren, sie waren keine. Deshalb mussten sie verachtet werden.
Das galt auch uneingeschränkt in der piefig - miefigen Provinz. Dort, wo spätestens ab 22.00 Uhr die Bürgersteige hoch geklappt wurden, weil der nächste Arbeitstag bereits ab 4.00 Uhr bis 6.00 Uhr morgens begann. Das galt ab dem 1. April jenes Jahres uneingeschränkt auch für mich, denn ich hatte eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann begonnen, die - so wurde ich auch erzogen - auf jeden Fall zu Ende gebracht werden musste. Ich hatte bereits ab Herbst 1969 zu dieser Ausbildung keine Lust mehr; hätte gerne etwas anderes gemacht. Aber: Das anerzogene Pflichtbewusstsein machte mir eben einen dicken Strich durch die Rechnung.
Deshalb musste ich ab dem 29.12.1969 in dem kalten Räumen des Altenburg´schen Eisenlagers die Inventur mit erledigen. Am 31.12. gegen 12.00 Uhr war dann endgültig Feierabend und ich zog den grauen Arbeitskittel aus, quetschte ihn in die Aktentasche und verschwand auf der Lange Straße in Bückeburg in Richtung des Fahrrad - und Musikfachgeschäfts Pelzig, wo ich Tage zuvor in der Auslage eine Single der US - Band " Steppenwolf " entdeckt hatte. " Move over " heißt die A - Seite und die B - Seite trägt den Titel " Powerplay ". Die Stücke waren tanzbar und so konnte ich die 45er - Vinylscheibe ruhigen Gewissen für 4,75 DM erwerben. Wenig später spielte ich diese neben anderen, aktuellen oder bekannten Single auf diversen Feten auf meinem Plattenhobel ab.
Mit der Neuererwerbung, die ich - wie eine Reihe anderer Scheiben zuvor - von meinen mir verbliebenen 40 DM Ausbildungsvergütung ( 50 DM kassierten meine Elter als so genanntes " Kostgeld " ein ) gekauft hatte, fuhr ich mit dem Bus ab 13.17 in Richtung Bad Eilsen. Dort hörte ich mir die neue Scheibe im " Beatkeller " des Hauses meiner Eltern in einer für mich angemessenen Lautstärke an.
Die Eltern waren noch auf der Arbeit ( Schwarzarbeit oder Schichtarbeit ) und kamen erst gegen 16.00 / 14.30 Uhr zurück. Genug Zeit also, um das eher unerwünschte " Gejaule " durch das Haus dröhnen zu lassen.
Nach dem Eintreffen der Eltern war damit Schluss. Gesittet wurde sich ab Nachmittag in das Wohnzimmer gesetzt und der Fernseher eingeschaltet. Ab 19.00 Uhr gab es dann das Abendbrot, ehe die Eltern im Schlafzimmer umzogen. Sie wollten zum Silvestertanz in das nahe gelegene " Cafe´und Restaurant Hose ". Wie in jedem Jahr, spielte dort eine Tanzkapelle auf. Es wurden aktuelle Schlager, Schunkellieder und Oldies gedudelt. Nichts für die ohnehin noch minderjährigen Ohren.
Ich verzog mich in den " Beatkeller " und legte jene englischsprachigen Single auf, die damals populär waren:
https://www.chartsurfer.de/musik/single-charts-deutschland/jahrescharts/hits-1969/top-100
Deutsche Schlager und das Kaugummi - Gedudel der " 1910 Fruitgum Company " ( mit Ausnahme von " Simon Says " ) sowie auch Engelbert oder Tom Jones kamen nicht auf meinen Plattenteller.
So saß ich allein und stundenlang im Keller und hörte Musik von den Single, die ich davor bereits Hundert Male abgenudelt hatte. Ich saß und harrte der Dinge, die letztendlich dann doch nicht kamen. Niemand klingelte und begehrte Einlass in meinem Refugium. Niemand war draußen zu sehen oder zu hören. Und niemand zündete Böller, legte Kracher - Matten oder jagte tolle Raketen in den Himmel.
Alles war ruhig, im Heeßen / Bad Eilsen des letzten Tages im untergehen - eher bewegten - Jahrzehnt der 1960er.
Der Tag, die Nacht des 31.12.1969 verabschiedete sich dann beinahe so, wie er / sie begonnen hatte: nahezu ereignislos, auf jeden Fall aber nicht ganz geräuschlos. Um Mitternacht ließen dann doch einige Bürgerinnen und Bürger eine handvoll Raketen in den kalten, sternenklaren Nachthimmel steigen. Ich stand dabei draußen, ein Glas Cola in der Hand und sah ihnen hinterher. Wie sie empor stiegen, zischend, heulenden, jaulend, bis sie ihre vor bestimmte Höhe erreichten und dann mit einem lauten Knall zerplatzten.
Das war´s dann. Nach einigen Minuten war das Schauspiel vorbei. Mehr gab´s nicht zu sehen. Das Geld dafür war weg, verschossen, verbrannt, vertan.
In wenigen Stunden werden statt einiger Hunter Mark mehr als 100 Millionen Euro in die kalte Luft des Jahres 2019 / 2020 gejagt. Schließlich gibt es genug Möglichkeiten, diesen Zinnober zu kaufen. Ehrlich: Ich hielt, halte und werde nie etwas von diesem Brimborium halten. Geldverschwendung. Es hat mit Brauchtum und schon gar nichts mit Kultur zu tun.
Nun ja, die Zeiten haben sich eben geändert. Und mit ihnen, sind viele Dinge inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, die an jenem einsam Abend des 31.121969 nicht denkbar gewesen wären. Die neuen Kommunikationstechniken zum Beispiel. Sie ermöglichen es mir, den Beginn des Neuen Jahres mittels Übertragungsmöglichkeiten am Monitor miterleben zu dürfen. Dafür brauche ich mir kein teures Feuerwerk zu kaufen.
An jenem 31.121969 aber saß ich allein mit meiner schon bemerkenswerten Technik im Keller und hörte meine Musik. Jene Stücke aus dem endenden Jahrzehnt und wartete darauf, dass es endlich ins Neue Jahr ging.
STEPPENWOLF - Move Over - Monster - 1969:
Kommentare