Christstollen made in GDR


Weihnachten ist ja bekanntlich schon eine Weile her. Genauer gesagt: Das Weihnachtsfest 2020 - in " Corona " - Zeiten von den Regierenden in Berlin besonders beworben - war vor genau 111 Tagen ( ? ); das nächste Heilige Fest folgt in exakt 255 ( ? ) Tagen. Viel Zeit also, um sich Gedanken darüber zu machen, was den vermeintlich Liebsten auf den Gabentisch gestellt werden kann ( darf! ).

Wenn der Dezember 2021 anbrechen wird, die Tage längst wieder deutlich kürzer geworden sind, die Nächte dafür zu lang, dann sitzen meine bessere Hälfte und ich - hoffentlich gegen " Corona " geimpft - an dem Küchentisch, der uns nämlich einen Blick durch das breite Fenster in die Wohnstraße verschafft, beobachten, wie die Nachbarschaft krampfhaft den heidnischen Brauch der Weihnachtsbeleuchtung sowie des Schmückens von Tannenbäumchen oder ähnlichen Gedöns zu imitieren versucht und unser kleineres, aber längst feines Häuschen nahezu konkurrenzlos das bisher Dagewesende erneut überstrahlt.

Wir werden ab 15.30 Uhr bis 16.00 Uhr einen Pott Kaffee trinken, einen Früchtejoghurt aus einem Schälchen essen und hauptsächlich Scrabble spielen. Das Letztgenannte hält die Grauen Zelle da oben in Betrieb, beugt der Altersdemenz vor und bietet ausreichend Gelegenheit, dem drohenden Verfall des deutschen Schriftguts durch Anti - Duden - Anhänger im Internet entgegen zu treten. 

Wenn wir so zusammensitzen, wird irgendwann eine Geschichte wieder aktuell, die meine bessere Hälfte - ungewollt - mir bereits einige Male erzählt hat. 

Die Großmutter mütterlicherseits lebte zu DDR - Zeiten in Hirschberg an der Saale. Im Grenzgebiet also, nur einen Steinwurf vom " besseren " Westen entfernt. Doch unerreichbar für sie und die übrigen 16,675 Millionen Einwohner. Die Grenze war in jener Zeit längst dicht. Die ehemalige DDR - Führung unter dem Genossen Walter Ulbricht hatte am 13. August 1961 eine Mauer durch Berlin und sonst überwiegend mit Stacheldraht bewehrte Zäune aufstellen lassen. In jener Zeit, so Mitte der 1960er Jahre, herrschte der so genannte Kalte Krieg zwischen dem Osten einerseits, dem Westen andererseits und zudem den Chinesen. Die Zeichen standen weltweit auf Konfrontation. 

Ab jenem Zeitpunkt waren Verwandtenbesuche, die zunächst nur für Westdeutsche möglich waren, kaum möglich. Erst Jahre später erfolgten Reiseerleichterungen für BRD - Bürger. Dann auch Besuche für Ostdeutsche ( allerdings überwiegend nur für Rentner ). In diesen Jahren entwickelte sich das " Westpaket " zu einem Kommunikationsmittel. Unter sehr eingeschränkten Bedingungen durften Westdeutsche ihren Verwandten Pakete zusenden, in denen sich - selbstverständlich kontingentiert - vornehmlich Lebensmittel befanden. Insbesondere Schokolade, Kakao und Bohnenkaffee waren damals die Renner. Was in Westdeutschland nicht gerade erschwinglich und deshalb durchaus als Luxusgut galt, konnte eine DDR - Bürger erst gar nicht erhalten. Und wenn, dann zu noch horrenderen Preisen.

Das so genannte Westpaket enthielt später weitere Artikel, die in der Mangelwirtschaft der DDR nur unter sehr beschränkten Bedingungen erhältlich waren. Darunter fielen auch Backzutaten, wie Hefe, Zitronat, Rosinen oder Mandeln. Das Versenden von diesen Lebensmitteln war größtenteils problemlos. Viele andere Artikel, wie Bücher, Zeitschriften oder Schallplatten war untersagt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Westpaket

Zu den damaligen Gepflogenheiten der Westverwandtschaft der Großmutter meiner besseren Hälfte, die überwiegend in Niedersachsen wohnte, gehörte es, einige Wochen vor dem Weihnachtsfest jene Zutaten für einen Dresdner Christstollen zu versenden, die eben in der DDR nur schwerlich zu bekommen waren. Der Dresdner Christstollen zählt zweifelsohne zu den kulinarischen Köstlichkeiten rund um Weihnachten. Allerdings war der gemeine Wessi oft nicht willens und in der Lage, sich jene wohl schmeckende Festtagsbeigabe zu gönnen, indem er dafür einige Mark berappt. Was der Ostdeutsche kaum zu Gesicht bekam, konnte sein westlicher Pendant zur Weihnachtszeit zwar käuflich erwerben, wollte es aber zumeist nicht. Jedenfalls wollte er dafür nichts bezahlen.

So kam es dann zu eine Art Kompensationsgeschäft, wie es zwischen den beiden deutschen Staaten später gang und gäbe wurde. Der Westen lieferte die Zutaten ( sieh unten ), der Osten stellt die Ware her und schickt diese in den Westen zurück.

Nun, diese schon damals bekannte Variante der Lohnsklaverei wurde über viele Jahre verfeinert und auf alle Wirtschaftszweige ausgedehnt. Die DDR war bereits Ende der 1970er Jahre de facto pleite und suchte nach Auswegen, um an die begehrten Devisen ( besser: Westmark, Dollar, englische Pfund usw.) zu gelangen. So wurde in der Folgezeit nahezu alles an hergestellten Waren exportiert, was sich irgendwie dafür verhökern ließ.

Zurück zum Dresdner Christstollen.

Oma Ost aus Hirschberg an der Saale erhielt also ein Westpaket mit jenen erforderlichen Zutaten, die zur Herstellung jener Leckerei notwendig waren. Als das avisierte Paket aus der VW - Stadt Wolfsburg einige Wochen vor Weihnachten eintraf, legte sie bald los.  

In ihrer einfachen Küche mit einer überschaubaren Ausstattung, aber auch keinen Backofen, wurde gerührt, abgeschmeckt und geknetet, was das Zeug hergab, um der lieben West - Verwandtschaft zu zeigen, dass der einfache Ossi auch damals bereits etwas konnte. Die Geldgeier im Westen warteten bereits auf das Ostpaket mit dem leckeren Dresdner Christstollen, den sie selbst nie und nimmer hätten backen können. Das erledigte dann ein örtlich Bäcker, der den Mehrpfünder in seinen Ofen schob. Nachdem dieser die Backstube verlassen konnte ( zuvor musste noch in Ostmark bezahlt werden ), legte Oma Hirschberg die Leckerei in einen Karton, schleppte diesen zur Poststelle, entrichtete dort ein zwar geringeres, aber dennoch für sie hohes Porto und entließ den Dresdner Christstollen auf den Weg gen Westen.

https://www.stollen-aus-dresden.de/herstellung-zutaten

Dann kam das ersehnte Paket aus Hirschberg an der Saale beinahe überpünktlich an. Die West - Verwandtschaft stürzte sich auf den Christstollen made in GDR und vertilgte diesen bis nach den Festtagen. Billiger ging es kaum, denn für die Zutaten mussten die Westlern nicht so viel DM bezahlen und bekamen die Köstlichkeit beinahe umsonst. Oma Hirschberg hingegen zahlte eigentlich drauf, auch wenn sie von den geschickten Zutaten für sich noch einen Stollen übrig hatte.

Ich war ein wenig entsetzt, als ich diese Geschichte zu ersten Mal hörte. Diese geldgeilen Banausen aus Wolfsburg, dachte ich so bei mir. 



U.S. CHRISTMAS  - Suzerain  -  Run Thick In The Night  -  2010:




  

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