Fahrerflucht


Vor einiger Zeit erinnerte ich mich an den Namen eines einstigen Studienkollegen und Mitbewohners im Mensa - Wohnheim an der Universität Bremen. Ich gab dessen Namen bei Tante Google ein und.... Ja, es gab ihn noch. Und, ja, erwohnte immer noch dort, wo ich ihn vormals aufgesucht hatte, um einen eher unappetitlichen Rechtsfall zu besprechen. 

Wir kannten uns seit einigen Jahren, denn der Student ( mit Klarnamen Hartmut - teilanonymisiert G. ) war genauso eine " arme Sau " wie ich. Er versuchte sich mit einem Zweitstudium an der Universität und hatte nach dem abgeschlossenen Wirtschaftsingenieur an der Fachhochschule sich im Studiengang Ökonomie eingeschrieben. Hartmut war deshalb bereits Mitte Zwanzig und quälte sich durch das Studium, denn er stand ideologisch nicht hinter dem, was ihm von den marxistisch orientierten Professor gelehrt worden war. Er hatte da eher eine gut bürgerliche, ein wirtschaftskonforme Grundeinstellung.

Dennoch verstanden wir uns gut. Ich provozierte ihn wegen seiner CDU nahen Denkweise, er konterte dann sofort und wir stritten miteinander, ohne das es persönlich oder ausfallend wurde.

Hartmut G. war damals mit einer Studentin liiert, die ebenfalls in jenem Wohnheim an der Uni ein Zimmer gemietet hate. Beide sahen sich fast jeden Tag. Sie blieben auch nach dem Abschluss ihres Studiums ein Paar und lebten in einer Drei - Raum - Wohnung einer Siedlungsgesellschaft in der Stadt D,. die nur wenige Kilometer von Bremen entfernt liegt. Die Beiden versuchten nach Beendigung der Ausbildung finanziell irgendwie auf die Beine zu kommen. Die Lebensgefährtin des G. erhielt eine befristete Teilzeitstelle als Lehrerin; er versuchte sich selbständig zu machen.

So ähnlich erging es mir nach dem Ende des Jura - Studiums auch. 

Eines Tages rief mich G. in meinem Büro in Bremen - Hastedt an. Er schilderte mir kurz, dass er Ärger mit der Bremer Strafjustiz bekommen habe, die ihn zu einer Geldstrafe verurteilen wollte. Was aber viel gravierender für ihn werden konnte: Er sollte seinen Führerschein für ein halbes Jahr abgeben. Warum, erklärte er mir einige Tage später, als ich ihn in seiner Wohnung in D. aufsuchte.

G. schilderte mir hierbei seine Sichtweise des Ereignisses, das ihn nun eventuell viel Geld und eine Zeit lang seine Fahrerlaubnis kosten sollte. Er war dabei emotional aufgeladen. Will heißen: Er zeterte wie Rohrspatz, ob der ungerechten Behandlung durch die Dritte Gewalt in diesem, unserem, von seinem Kanzler Kohl geschaffenen Wohlstandslande, dessen Wirtschaftsform er in den höchsten Tönen lobte.

Nachdem ich mir den Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen ein wenig genauer angesehen hatte, befragte ich G. Seine Schilderungen wichen - naturgemäß - weit von dem ab, was ihm die Bremer Staatsanwaltschaft um die Ohren schlug. Ich empfahl ihm, die Strafsache nicht weiter aufzuwühlen, die Geldstrafe und den Entzug der Fahrerlaubnis zu akzeptieren und die ganze Angelegenheit abzuhaken, ehe es vielleicht noch arger für ihn kommen könnte.

Doch G. war uneinsichtig. Er schien auf Krawall gebürstet zu sein und wollte die ihm verpasste Ohrfeige wegen des " Unerlaubten Entfernen vom Unfallort " nicht so ohne weiteres hinnehmen. G. sinnte nach Satisfaktion. Ich erklärte ihm das weitere Prozedere und ließ ihn eine Strafprozessvollmacht unterschreiben. Dann nahm ich die mit Postzustellungsurkunde ( PZU ) gerichtliche Entscheidung in Kurzform ( ein Strafbefehl ist nichts anderes als eine Schmalspurform eines Urteils ) an mich und beantragte bei dem Amtsgericht Akteneinsicht " zu den üblichen Bedingungen ".

Nach ein paar Tagen erhielt ich die Nachricht, dass ich die Akte zu den bekannten Zeit in der Geschäftsstelle der " Verkehrsabteilung " beim Bremer Amtsgericht abholen könne. Ich blätterte diese danach durch, ließ die wichtigen Seiten kopieren und sandte den in einem roten " Leitz " - Pappdeckel vor mir liegenden Sermon zurück. Ich informierte G., dass er sich umgehend bei mir melden möge. In dem kurzen Telefonat schilderte ich ihm, was gegen die Gerichtsentscheidung zu tun sei. Ich legte hiernach " Einspruch " bei dem Amtsgericht ein und wartete.

Eine Wochen danach rief mich G. wieder an. Er teilte mir mit, dass er eine Ladung vom Gericht bekommen habe. Kurz darauf erheilt ich diese auch. Der Termin war bereits einen Monat später und dieses, obwohl die Verkehrsabteilungen des Bremer Amtsgerichts damals schon chronisch überlastet waren. Wenn ein Gerichtstermin also so kurzfristig angesetzt wurde, dann nur, weil die Strafsache eindeutig war.

Am Tag der Gerichtsverhandlung saß Hartmut G. bereits auf der Holzbank vor dem Sitzungsraum. Er war überpünktlich, nervös und textete mich die ganze Zeit voll. Ich hatte mich längst vorbereitet und gab ihm die Order, bei Fragen des Gerichts vollkommen unverbindlich zu antworten und zu behaupten, er habe von einem Unfall, also einem Anfahren eines hinter dem eigenen PKW stehenden Autos nichts bemerkt. Er sei beim Ausparken sehr vorsichtig gewesen, sei nur Schritttempo gefahren und habe sich durch eine mehrfache Rückschau vergewissert, dass er dem hinter ihm stehenden Wagen nicht zu nahe komme.

Vorsicht ist nämlich die Mutter der Porzellankiste. Dieses gilt auch uneingeschränkt im Straßenverkehr. 

Dann briefte ich ihn, auf meine, nachdem der Richter und der Staatsanwalt das Fragerecht wahr genommen hätten, auf meine gestellte Frage, ob er während des Ausparkvorgangs das Autoradio lauter gestellt habe, nur mit einem deutlichen " Ja " zu antworten.

Die Strafsache gegen Herrn G. wurde aufgerufen. Wir betraten grußlos den Sitzungssaal. Der Richter, mir selbst und nach den Erzählungen der Kollegen, nicht als " hardliner " bekannt, erklärte der im Zuschauerbereich sitzenden Schulklasse kurz und knapp warum es gehe, dann stellte er an G. einige Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen. Danach las der Staatsanwalt große Teile des Textes aus dem Strafbefehl vor. Der Richter, machte dabei auf mich einen eher gelangweilten Eindruck. Er kannte solche Fälle zur Genüge und hatte sie einige Hundert Mal in seinem Berufsleben auf dem Tisch liegen gehabt. 

" Wollen Sie sich zu dem Vorwurf hier äußern? ", leierte er die ewig lautende Frage herunter.

" Ja, möchte ich. ", antwortete ihm G.

Dann stellte der Richter einige weitere Fragen zu dem Ablauf an jenem Tag, an dem G. ein anderes Auto beim Ausparken auf dem Gelände der Universität beschädigt haben sollte. Er hörte sich die Ausführungen des sichtlich nervösen G. geduldig an, murmelte dabei öfters " Hmh! " oder ein " Schön " sowie " Gut " und übergab dann das Fragerecht an den Staatsanwalt, der noch gelangweilter hinter seinem Tisch saß und dabei dann und wann in seiner Akte blätterte. 

" Herr Verteidiger haben Sie Fragen? ", wollte der Richter von mir wissen. " Ja! ", antwortete ich ihm. In Richtung des Mandanten Hartmut G. seitwärts blickend formulierte ich dann: " Nach dem Einsteigen in den Wage, haben Sie da das Autoradio eingeschaltet? " Er antwortete mir absprachegemäß mit einem ebenso knappen " Ja! " Danach wollte ich nur noch von ihm wissen, ob er an dem Lautstärkeregler gedreht habe und ob er das Autoradio über Zimmerlautstärke habe spielen lassen. Auch hierauf antwortet er mir mit einem " Ja! "

Der Richter blickte mich ein wenig vorwurfsvoll an, als wolle er mir sagen, dass er längst erfasst habe, worauf ich hin zielen wollte. Nach der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte und der herrschenden Meinung in den damals einschlägigen Strafgesetzkommentaren, handelt ein Autofahrer dann nicht vorsätzlich, wenn er nach Würdigung sämtlicher Tatumstände einen Verkehrsunfall nicht bemerken konnte, weil das Autoradio beispielsweise laute Musik spielt und er einen Anprall dadurch nicht habe hören und registrieren können. Der Staatsanwalt blickte seinerseits nur mit einem müden Blick bei seinem Aktenstudium auf und blätterte sodann weiter in seinen vorliegenden Unterlagen.

" Na, schön. Dann werden wir mal die beiden Zeugen hören. ", erklärte der Richter und wandte sich zu der so genannten Protokollführerin, die während der Aussage und Befragung von Hartmut G. fleißig in Stenografie mit schrieb. " Bitte rufen Sie dann mal den Zeugen A. auf. ", gab er ihr die Anweisung. Die Gerichtsdame schnarrte in das Mikrophon: " Herr A. bitte in Sitzungssaal .... eintreten! "

Die Tür ging auf und eine jüngerer Mann erschien. Der Richter belehrte ihn darüber, dass er die Wahrheit zu sagen habe und das eine Falschaussage strafbar sei. Dann erfragte er seine Personalien und erläuterte ihm, warum er an jenem Vormittag hierher bestellt worden sei. Dann stellte der Richter seine Fragen, durch die er von dem Zeugen wissen wollte, was sich an jenem frühen Nachmittag auf dem Uni - Parkplatz ereignet habe. Der Zeuge schilderte dieses aus seiner Erinnerung in etwa so, wie er es auch in der schriftlichen Befragung durch die Bremer Polizeidienststelle angegeben hatte. 

Ein Studienfreund und er hätten dort einige Zeit vor einer Reihe Autos gestanden und sich unterhalten, als sie das ausparkende Fahrzeug des Hartmut G. bemerkten, weil es ohne abzubremsen an einen gegenüber stehende Wagen angefahren sei. Das andere Fahrzeug habe dabei sichtbar gewackelt. Daraus hätte beide dort stehenden Männer geschlossen, dass sich die Autos berührt hätten.

Es sah für G. nicht gut aus.

Der Staatsanwalt verzichtete auf sein Fragerecht. Nun war ich an der Reihe. Ich wollte von dem Zeugen wissen, wie weit er von dem ausparkenden Wagen des G. entfernt gestanden habe, ob der genau gesehen habe, dass dieses Auto an das andre, das parkende Fahrzeug angestoßen sei und wohin der PKW des G. anschließend gefahren sei. Der Zeuge konnte mir diese Fragen - wie es aus der Akte hervor ging - genau beantworten. Dann holte ich zum entscheidenden Schlag aus: " Haben Sie gehört, dass in dem ausparkenden PKW laute Musik gespielt wurde? ". " Nein! Daran kann ich mich nicht erinnern, weil wir nur das Auto selbst beobachtet haben und uns darauf konzentrierten. ", antwortet er mir. Ich bedankte mich bei dem Zeugen. Der Richter entließ ihn aus dem so genannten Zeugenstand und gab den Hinweis, dass er eine Entschädigung für seine Aufwendungen, wie Fahrtkosten beanspruchen könne.

Danach rief er den zweiten Unfallzeugen herein. Der beschriebene Ablauf wiederholte sich.

Zum Schluss der Beweisaufnahme verlas er den Inhalt einer eingereichten Rechnung, wonach bei dem Zusammenprall der Fahrzeuge an dem parkenden Wagen ein Schäden von mehr als 300 DM entstanden sei. 

Wäre es ein Betrag unter 50 DM, so hätte die Staatsanwaltschaft nach den damaligen Vorgaben erst gar keinen Strafbefehl beantragt, denn das Verfahren wäre wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. So aber musste der gesamte Zinnober durch geleiert werden. Das heißt, nach der erfolgten Strafanzeige durch die beiden Unfallzeugen, begann der Staatsapparat zu laufen. Die Polizeibehörde in D. erheilt von der in Bremen ein Amtsermittlungsersuchen, ließ - wie zumeist üblich -  einen Streifenwagen ausschwärmen und kontrolliert, ob der ihnen benannte PKW in der Nähe der Meldeanschrift zu sehen ist. Manchmal werden zur Beweissicherung sogar Fotos von einem Auto gemacht.

Danach wird der Fahrzeughalter angeschrieben und diesem erklärt, dass eine Ermittlungssache gegen ihn geführt wird. In diesem Fall war der PKW auf die Lebensgefährtin des G. zugelassen. Die hatte nun - in Unkenntnis der Rechtslage - das Schreiben der Polizei beantwortet und dabei auch die Frage nach dem Fahrer. Ein Kardinalfehler, weil sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht hätte berufen können, denn sie  war ja eigentlich die Verlobte des G. Der weitere Fehler war, das G. gegenüber der Polizei ebenfalls Angaben zur Sache gemacht hatte. Als Beschuldigter hätte er dieses nicht machen müssen.

Nun, G. kam hier leider zu spät zu mir. Weshalb ich nun die heißen Kartoffeln aus dem Feuer zu holen versuchte. 

Der Richter blickte in Richtung des immer noch gelangweilten Staatsanwalts und sprach diesen erwartungsfroh mit den Worten: " Herr Staatsanwalt, ich sehe hier keinen nachweisbaren Vorsatz und könnte das Verfahren nach § 153 a StPO einstellen. "

" Ja,ja,! Ich bin damit einverstanden! ", gab der ihm zur Antwort.

" Herr Verteidiger, kann sich Ihr Mandant mit einer Einstellung gegen 350 DM Geldauflage einverstanden erklären? ", wollte er dann von uns wissen. Ich blickte nur kurz zu G. herüber. Der nickte und gab mir das Okay. Der Richter wandte sich erneut zu der Damen in schwarzer Robe und diktierte ihr die eigentlich immer gleich lautenden Sätze, ließ diese von der Protokollführerin erneut laut vorlesen und verabschiedete sich von uns.

" Glück gehabt, Hartmut! ", sagte ich in einem tadelnden Ton zu G. Dann verließen wir das Gerichtsgebäude. 

Einige zeit später rief mich G. im Büro an. Er zeterte wie wild am Telefon herum. Ich hatte ihm meine Gebührenrechnung geschickt. 

Diese wurde vom Konto seiner Lebensgefährtin M. einige Tage später bezahlt.

Ich sah G. seitdem nie wieder.



AMON DÜÜL II  -  Restless Skylight Transistor Child  / Race From Here To Your Ears  -  Live In London  -  1973:

 



         


      


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