Geschichten aus der Straßenbahn - " Ooooh! "
Die Bremer Straßenbahn Aktiengesellschaft war auch in den 1980er Jahren ständig bemüht, ihr Image durch Werbeaktionen aufzupolieren. Das gelang zwar nicht immer, aber durchaus immer öfter. So zählte die Einführung der so genannten Bremer Karte zu diesen Aufbesserungsbemühungen. Diese " kleine Revolution " innerhalb des Öffentlichen Nahverkehrs ( ÖPNV ) wurde durch den einstigen Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier vor 35 Jahren offiziell eingeführt.
Das einst von den Auto - Fetischisten als untauglicher Versuch gesehene Konzept, den ÖPNV dadurch attraktiver zu gestalten, blieb zunächst in der Entwicklungsphase stecken. Bahn fahren hatte vormals das Image der armen Leute - Mobilität. Mit zunehmender Verkehrsdichte aber stellte es sich nicht nur als sinnvolle Alternative zu den immer kostspieliger werdenden Individual - Fortbewegungsmittel PKW dar.
Statt in der Bremer City stundenlang - nicht selten ergebnislos - einen Parkplatz zu suchen oder eine nicht gerade billige Tiefgarage zu nutzen, kaufte ich mir dann ab den 1990ern im Abonnement eine Bremer Karte. Sie garantierte mir, dass ich stressfrei und nahezu immer pünktlich an mein Ziel in der Innenstadt oder gar zum Knast nach " Oslebs " kam. Ich stieg an der Haltestelle " Malerstraße " oder " Weserwehr ", manchmal auch " Ludwig - Quidde - Straße " ein und wurde gefahren, musste mich nicht über andere Autofahrer ärgern, keinen Unfall riskieren und schonte den eigenen Wagen dabei - billiger war´s zudem auch.
Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich dabei auch mit der so genannten " Speckflaggen - Karte " unterwegs war oder ob es eine andere, bunte Plastekarte war, die ich den ständig präsenten Kontrolleuren unter die Nase hielt, wenn es hieß " Fahrscheinkontrolle " und ein Pulk auffällig unauffälliger Damen und Herren den Straßenbahnzug okkupierten, um tagsüber " Schwarzfahrer " heraus zu fischen.
https://www.kreiszeitung.de/lokales/bremen/speckflagge-unterwegs-13375971.html
Während der beinahe 10 Jahre, die ich beruflich mit Bus & Bahn hinter mich brachte, waren eine Vielzahl an Erlebnissen dabei, die irgendwie in Erinnerung verblieben. Ob es nun jene waren, über die ich bereits in diesem Blog geschrieben habe oder diese, von denen ich vielleicht irgendwann noch schreiben werde, sie alle zählen zu den Geschichten aus der Straßenbahn:
https://draft.blogger.com/blog/post/edit/8221564797470254880/6711100097588276514
https://draft.blogger.com/blog/post/edit/8221564797470254880/3600560278048364960
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So auch jene, die aus den frühen 1990er Jahren stammt, in denen ich als Feld - Wald - und Wiesenanwalt meine Brötchen in der Freie und Hansestadt Bremen zu verdienen versuchte und dabei auch solche Mandate übernahm, die zwar wenig Geld, aber dafür ´ne Menge Arbeit mit sich brachten. Es waren kleinere Strafrechtsfälle, bei denen ich immer hoffte, sie könnten dann doch ein " Folgemandat " nach sich ziehen.
Mein einstiger Kollege Hans - Werner L. hatte es dabei schon etwas weiter gebracht. Er wurde durch die landesweit bekannte Dramaturgie im so genannten " Gladbecker Geisel - Prozess " als Strafrechtler bekannt und erhielt damit in der Tat eine Reihe von Klienten. Zwar auch nichts, was sich in Form wohl klingender Münze sofort auf dem Konto niederschlug, aber immerhin war sein Name bekannt. Und just in diesen Folgejahren hatten wir einige Male miteinander zu tun.
Hans - Werner L. vertrat überwiegend ausländische Mandanten, die sich nicht nur mit der Ausländerbehörde, den Verwaltungsgerichten oder wegen ihres nicht seltenen Eintauchens in das klein - kriminelle Drogen - Milieu, mit der Polizei herum schlagen mussten. Da war ein sozial eingestellter Anwalt, der sein Honorar in 50 DM - Raten abstottern ließ, gerade en vogue. So, wie ich auch, allerdings nicht unbedingt im Strafrechtsbereich.
Nun, es ging vormals um angeklagte Kosovo - Albaner, die in einer Bande im niedersächsischen Umland gut ein halbes Dutzend Fahrscheinautomaten gesprengt hatten, um an die Geldkassetten zu gelangen. Die Beute war zwar mit einigen Zehntausend DM durchaus beachtlich, der Schaden lag aber insgesamt im mittleren sechsstelligen Bereich.
Sie wurden gefasst, in U - Haft verfrachtet und Monate später kam es zu einer Anklage. Der Hauptverhandlungstermin stand an. Deshalb trafen wir uns im Büro des benannten Kollegen. Eine Verteidigungsstrategie sollte hier entwickelt werden.
So fuhr mit der " 10 " an jenem Mittwochvormittag in Richtung Hauptbahnhof und wollte an der Haltestelle " Am Dobben " aussteigen. Hier befand sich damals das Büro des Kollegen L.
Der Straßenbahnzug rumpelte von Haltestelle zu Haltestelle. Es war noch ein alter Zosse der Baureihe GT4, den die BSAG nach und nach ausrangieren würde, weil es inzwischen die modernen Niederflurbahnen gab. Der alte Zosse aber sollte mich an jenem Morgen zu meinem avisierten Ziel, das Büro des Kollegen L, bringen. Mit mir fuhren - es war eher ein Zufall - ausnahmslos graue, aber wohl frisierte Bremerinnen, die irgendwo aus der Vahr und einem jener Mietblocks der Gewoba " kommend, in Richtung Innenstadt, dann also in der Söge - oder Obernstraße aussteigen wollten.
Irgendwie sahen sie alle gleich aus. Einen Einheitslook tragend, der aus einer hellen, nicht zu sportlich akzentuierten Jacke, einer hellen Stoffhose und dunkleren Schuhen bestand. Bewehrt waren sie mit einer Damenhandtasche im niedrigeren Preissegment, wo garantiert auch eine Bremer Karte schlummerte. Darauf wartend, dass sie einem der, zu jener Tageszeit nicht selten auftretenden Kontrolleuren unter die Glüsen gesetzt wird. Diese bremische Grundeinstellung hatte ich als BSAG - Vielfahrer längst wie ein lästiges Selbstverständnis übernommen. Man ( n ) / Frau war zwar arm, aber kein Schwarzfahrer, weil sich das nicht gehörte.
Es waren überwiegend allein stehende, ältere Damen, durch die die Sitzbänke an jenem Morgen belegt waren, wohl Rentnerinnen, die mutmaßlich ihren Mann schon längst unter die Erde gebracht haben mussten. Möglicherweise war dieser auch im Krieg gefallen, ist während des Alliierten Bombardements auf die schöne Hansestadt Bremen ums Leben gekommen oder an den Folgen diverser Kriegsverletzungen gestorben.
Diese oder ähnliche Gedanken mussten mir vielleicht einst durch den Kopf gegangen sein, als ich jene Grauen, wohl frisierten im Rentner - Standardlook um mich herum sitzende Bremerinnen genauer betrachtete. Sie bezogen mutmaßlich eine eher schmale Rente, eine Witwenrente noch oben drauf gesattelt und wohnten in einer 1 1/2 bis 3 Zimmer - Wohnung in der Vahr, der Gartenstadt Vahr oder noch weiter raus, in Osterholz und Osterholz - Tenever.
Während der alte BSAG - Zosse vor sich hin schaukelte und mit quietschenden Bremsen von Haltestelle zu Haltestelle zog, beobachtete ich die stummen alten Damen, aber so, das sie es selbst nicht mit bekamen, denn ich war in dem Pulk von mehreren Dutzend Alt - Bremerinnen nicht nur der einzige Kerl, sondern darüber hinaus noch Auswärtiger, Absolvent der ungeliebten " Roten Kaderschmiede ", der Universität Bremen, und damit viel zu jung, um die bremischen Gepflogenheiten exakt zu kennen. Diese sahen eben an jenem Mittwochvormittag vor, dass Man ( n ) / Frau sich in der City traf, um sich zu treffen, weil eben eine Bremerin aus den ferneren Stadtteilen sich dort eben trifft.
Der Triebwagen mit Beiwagen ( Anhänger ) in der sandfarbenen Ausführung der BSAG legte sich auf der zurückzulegenden Strecke einige Male ordentlich in die Kurven. Dann neigten sich die frisierten Häupter der Insassen in diese Richtung mit. Es sah eigentlich ulkig aus, weil die Haarschopfe der Alten nahezu gleich aussahen, so, als würden sich reife Ähren in einem Kornfeld bei seichtem Wind von links nach rechts und umgekehrt neigen.
Dann kam der BSAG - GT4 - Zosse zur Haltestelle " Am Dobben ". Er musste dort an einer Ampel warten. Die graue Fracht sah dabei aus dem Fenster und beobachtete das, was ich dann auch sah:
Ein dunkel gekleideter Fußgänger wollte bereits vor der Ampelkreuzung die Straße überqueren und wurde wenige Meter nach dem Betreten der Fahrbahn von einem heran brausenden Auto erfasst, nach dem Aufprall auf die Fußgängerseite zurück geschleudert und blieb dort regungslos liegen. Ein kollektiver Aufschrei, nein, ein gedämpftes Stöhnen des Mitgefühl durchdrang den Triebwagen, ein lang gezogenes " Oooh! ".
Der Triebwagen fuhr wieder an. Ich stand an dem Ein - und Ausstieg und wartete noch einen kurzen Moment, ehe die Bahn wieder anhielt. Die Türen öffneten sich mit einem zischenden Ton und klappten sofort nach außen. Ich stieg aus. Bloß weg hier, war wohl mein erster Gedanke.
Die Masse der Grauhaarigen fuhr weiter. Dorthin, wo sich die verrenteten Bremerinnen eben öfters trafen - in die Innenstadt. Bei " Karstadt, Horten, Hertie ", bei " C & A " oder " Finke ", " Bauermann " oder " Woolworth ".
Ach, ja, und Deutscher Meister sind wir damals auch geworden. Aber, das interessierte eigentlich nur Werder - Fans!
" Ooooooooooh! "
JARVIS STREET REVUE - Heidi Ho - Canadian - 1970:
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