Bettelpack


 

Wenn wir am 1. Mai diesen Jahres unseren vierten Jahrestag zum Umzug nach Bayern zur Kenntnis nehmen dürfen, dann fällt die bisherige Bilanz dazu eher positiv aus. Vor allem mit Blick auf die Lebensqualität, das Lebensumfeld insgesamt, dürfte die Entscheidung aus der sächsischen Landeshauptstadt wegzuziehen, vollkommen richtig gewesen sein. 

Der Freistaat ist nicht nur flächenmäßig größer als Sachsen, sondern insbesondere von der Infrastruktur eine andere Hausnummer. Natürlich existieren auch in Bayern große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Womit auch Arm und Reich zu erkennen bleibt. Doch summa summarum ist hier ein höheres Wohlstandsniveau deutlich zu erkennen. Das lässt sich nicht nur an den Immobilien, den zu großen Autos und der schniekeren Bekleidung der Mehrzahl innerhalb der Bevölkerung fest machen. Durch die seit Jahrzehnten prosperierende Wirtschaft hält sich die Arbeitslosenquote nahezu im Bereich der Vollbeschäftigung. Davon konnten und können andere Bundesländer nur träumen.

Weil das materielle Wohlergehen überall sichtbar ist, fallen sozial schwächer gestellte Menschen auf den ersten Blick kaum auf. Es scheint sie - so mein erster Eindruck über einige Monate - nicht oder nur kaum zu geben. Doch der äußere Schein trügt.

Es gibt Arme und es gibt Bettler auch hier. Nicht sehr zahlreich, aber je näher die Landeshauptstadt und weitere größere Städte heran rücken, desto sichtbarer wird die existierende Armut. Weshalb auch eine Reihe von gegründeten Vereinen und Initiativen, die jenen von Armut Betroffenen unter die Arme greifen, längst zum Alltag zählen. Die so genannten Tafeln gibt es in nahezu allen Gemeinden. So auch schon lange in Eching. Hier nennt sich der gegründete Verein " Nachbarschaftshilfe e.V. ". Auch das " Alten Service Zentrum Eching " zielt mit seinen Angeboten in diese Richtung ab.

Die Hilfsangebote werden zudem über die Gemeindeverwaltung nicht nur ergänzt. Weil aber Wohnraum seit Jahren sehr knapp ist und die Mieten extrem hoch sind, dürfte die Gefahr der Obdachlosigkeit auch in dieser überschaubaren Gemeinde durchaus gegeben sein. Inwieweit es hier, am Speckgürtel Münchens tatsächlich Obdachlose gibt, lässt sich nur erahnen. Dass so manche Wohnung von mehreren Personen genutzt  und deshalb als " überbelegt " gelten muss, könnte ein Indiz für latent vorhandene Obdachlosigkeit sein. Obwohl andererseits wegen der exorbitant gestiegenen Mieten so mancher Wohnungsbesitzer auf die hilfreiche Idee kommen könnte, seinen kostbaren Wohnraum zu teilen, um den monatlich fällig werdenden Mietzins finanziell stemmen zu können.

Das ist in Großstädten, wie Berlin, Hamburg, Frankfurt, aber auch Leipzig, Dresden oder auch Magdeburg nicht so viel anders. Wenn auch niedrigeren Niveau. Großstädte sind bekanntlich Ballungszentren, innerhalb derer sich viele Menschen auf eng bemessener Fläche zusammenfinden, dort leben, arbeiten, vor allem aber wohnen müssen. Nicht selten ist eine bezahlbare Unterkunft nicht zu finden. Dann wird die Wohnungssuche zu einem Lotteriespiel. Deshalb suchen Mieter und Suchende nach Lösungen. Ein Untermietverhältnis, eine Wohngemeinschaft wird durchaus zur Regel. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos für die Provinz, den eher ländlichen Raum. Und damit nicht für Gemeinde wie Eching bei München.

Diese Erkenntnisse vorausgesetzt, verwunderte uns dann doch ein Fall, den wir gestern Vormittag auf dem Parkplatz der Einkaufszeile unserer Wohngemeinde erlebten. Meine bessere Hälfte erzählte mir, dass sie beim Einladen des Wocheneinkaufs plötzlich von einer jungen Frau angesprochen wurde, die erklärte, sie benötige Geld, um ihre Miete zu bezahlen und um Babynahrung kaufen zu können. Daraufhin habe sie der bettelnden Frau 5 Euro übergeben. Doch diese forderte weiteres Geld, Sie benötige mindestens 100 Euro. Außerdem sollte meine bessere Hälfte mit der Frau in den Supermarkt gehen, damit sie benötigten Babyartikel kaufen könne. 

Nun, ja, beim Zuhören dieser durchaus dreisten Posse, kamen mir einige Gedanken an die vor dem Eingang zu den Märkten stehenden Verkäufer einer  Zeitschrift, die ein Münchner Selbsthilfeverein monatlich vertreiben lässt. Ich habe diesen regelmäßig eine dieser Zeitschriften abgekauft und dabei ein bis zwei Euro mehr übergeben. Aber auch die planmäßig während der Adventszeit vor diesem Eingang gesichteten Männer aus Rumänien, Georgien oder einem anderen, armen osteuropäischen Land, hatte ich wieder in Erinnerung. 

Während meiner Studienzeit in Bremen oder der späteren Berufstätigkeit als Rechtsanwalt begegneten mir arme Menschen. Es waren nicht nur ausländische Bettler, die vornehmlich am Hauptbahnhof saßen oder um Geld bittenden, in der Nähe der Eingänge standen.

Jahrzehnte später fielen mir Bettler in Dresden nicht so häufig auf. In den Stadtteilen Dölzschen, Naußlitz oder Cotta schon gar nicht. Die Armut war hier versteckt. Sie befand sich hinter den Mauer einst schmucker Häuser oder gar den Villen aus den 1930er Jahren, in denen bereits die dritte Generation lebte. Hier wohnten zumeist ältere Eigentümer, die sich finanziell über Wasser halten konnten, weil die Häuser nicht mehr oder nur in geringer Höhe belastet waren. Doch die Bewohner, zumeist Rentner oder Selbständige mit überschaubaren Einkünften, konnten keine großen Sprünge machen; schon gar nicht umfangreiche, aber längst notwendige Sanierungs - oder Renovierungsarbeiten an ihrem Eigentum durchführen lassen.

Aber bettelnde Menschen habe ich in all den Jahren dort nie gesehen. Wohl aber manche Gering - oder Zusatzverdiener, die Zeitungen austrugen, Zusteller waren oder sich als Speditionsfahrer verdingen mussten. Auch sie gelten längst als in prekären Berufen Zugehörige, die zum Teil als Arm im statistischen Sinne gelten.

Bettler, wie die junge Frau am gestrigen Donnerstagmorgen, sind mir jedoch nie begegnet. Deshalb schaute ich mir beim Vorbeifahren jene Dame etwas genauer an. Sie war adrett gekleidet, sah gepflegt aus und gab schon allein deshalb nicht das typische Bild eines Bettlers ab, dass ich kannte. Vielleicht war es keine klassische Verarmte, keine Bettlerin, keine Wohnungslose, sondern eine Drogensüchtige?

Beim Verlassen des Parkplatzes fiel mir eine Strophe aus der Ballade des Detlev von Liliencron , die dann von Achim Reichel einst als Lied veröffentlicht wurde und den Titel " Pidder Lüng " trägt,  ein, in der er singt:

... " Bettelpack! ,  fährt ihn der Amtmann an "....

Sind Bettler in der heutigen Zeit als minderwertige Menschen, gar als Pack zu bezeichnen? Nein! s kann in diesen, schwierigen Zeiten viele Menschen treffen, selbst jene, die sich noch in einem halbwegs gesicherten Umfeld bewegen.


YA HO WA 13  -  A Thousand Sighs  -  God And Hair  -  1974:

  



 


  



          

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