Morgenfeier

 Beim gestrigen Ausführen der beiden Vierbeiner konnte ich erneut einen, der im Sommer nicht seltenen Sonnenaufgänge begleiten. Im Osten wurde es dabei nicht nur sichtbar heller, sondern der Himmel färbte sich dort orange bis rötlich. Es war mittlerweile 5.30 Uhr, der Tag hatte längst begonnen, doch es wurde nun langsam hell. Insgesamt wird es knapp 16 Stunden dauern, bis die Dunkelheit wieder eintritt. Damit hat die Nacht dem Tag seit dem 21. Juni beinahe wieder eine halbe Stunde abgenommen.

Wenn der Hochsommer uns in Mitteleuropa mit knackigen Temepraturen über 30° C quält, dabei jeder Schritt zur Tortur wird und die Notarzteinsätze zunehmen, haben sich Millionen in den Urlaub verabschiedet; in Länder, deren Durchschnittstemepraturen weit über denen, die der Reisende sonst gewöhnt ist, liegen. Die Reiselust bleibt dennoch ungebrochen. Statistiker haben bereits einen exorbitanten Anstieg der Flugbewegungen in diesem Sommer verzeichnen können. 

Weil die Masse der Reisewütigen keine großartigen Gedanken an das, was noch vor 2 Jahren war, verschwendet, als die Weltseuche SARS Cov 19, die mehr als 8 Milliarden Erdenbürger in Angst und Schrecken hielt, wird die davor zur Routine gewordene Flugreiselust kaum eingeschränkt bleiben. Das ist gut für die damit einher gegehenden Wirtschaftszweige, die Hunderte Milliarden Euro, Dollar oder Pfund umsetzen; schlecht jedoch für unsere Umwelt.

Was seit vielen Jahrzehnten zum routinierten Ablauf von einer Vielzahl jener Menschen aus den wohlhabenden Staaten dieser Erde gehört, nämlich das Fliegen, war vor mehr als 50 Jahren noch etwas Besonderes. Weil die Welt eher klarer in bestimmte Kategorien eingeteilt war,so unter anderen auch in Gut ( der Westen ) und Böse ( der Osten ) oder auch Neutral ( die Schweiz, die es bekanntlich nie war ), mussten wir Kinder aus den Nachkriegsgenerationen jene Denkweisen natürlich auch vermittelt bekommen. Das geschah weniger über das Elternhaus, als vielmehr durch die Schule. Hier wüteten Ex - Nazis herum und versuchten den unter ihre Fittiche gestellten Kinder das beizubringen, was zum Rüstzeug für das spätere Leben erforderlich sein sollte.

Dazu zählten zweifelsohne Unterwürfigkeit und andere aus der Zeit des Faschismus übernommene Grundtugenden. Schule sollte keinen Spaß machen, sondern dazu dienen, ein Kind auf das spätere Arbeitsleben und das reibungslose Funktionieren in Staat und Gesellschaft vorzubereiten.

Tja, während ich der aufgehenden Sonne zuschaute und beobachtete, wie der zunächst in einem leichten Orangeton sich zeigende Fixstern langsam eine gelbe, hellere Farbe annahm, erinnerte ich mich an eine bestimmte Episode, die sich immer Montagsmorgens zwischen 7.50 Uhr bis 8.00 Uhr, also kurz vor dem Unterrichtsbeginn, zutrug. Da standen auf der Holztreppe zum Obergeschoss des Neubaus gut 20 bis 25 Schüler, die gemeinsam ein Lied sangen, von denen ein Einzelnes ein Gedicht vortrug oder abwechselt eine Geschichte erzählte.   

Die Pflichtveranstaltung nannte sich " Morgenfeier ". Selbstredend waren alle Schüler aus den Klassen 1 bis 9 dabei. So auch ich und zwar vom 1. April 1960 bis zur letzten " Morgenfeier " irgendwann 1964. Wann diese Einrichtung, die aus der NS - Zeit übernommen wurde, dann abgeschafft wurde, habe ich nicht mehr so genau auf den Schirm. 

Sinn dieses Veranstaltung war es wohl, den Zusammenhalt der Schulgemeinschaft zu fördern. Es mag sein, dass es in einem gewissen Maße funktioniert hat. Obwohl der viel kritisierte Leistungsdruck auch in der Volksschule vorhanden war und das Prinzip Jeder gegen Jeden auch innerhalb dieser Schulform hochgehalten und gefördert wurde, empfand ich die montägliche " Morgenfeier " als eine Art der Fortsetzung des verordneten Leistungszwangs. Beinahe jeder Schüler aus den höheren Klassen musste nämlich irgendwann vor der versammelten Schülergemienschaft einen Vortrag bringen. Dass dann und wann einer der " Auserwählten " dabei versagte und ein Raunen durch die Reihen der anwesenden Schüler ging, dürfte klar sein.

Peinlich waren solche Sitautionen alle Male und dieses nicht nur für den armen Schüler.

" Morgenfeier ", das war eben ein Auswendiglernen von Werken jener, allerdings zuvor selektierten deutschen Dichter und Denker, wie Fontane, Rilke, Brentano, Eichendorff, Storm oder Cluadius, weniger Goethe, Schiller, Hölderlin und schon gar nicht Brecht, Becher, Hesse, auch Annette von Droste - Hülshoff, Nelly Sachs oder Else Lasker - Schüler nicht ( Frauen hatten einst nichts zu melden ).

Zu dem Liedgut gehörte neben " Alle Vöglein sind schon da " oder " Wem Gott will rechte Gunst erweisen ", natürlich auch " Im Frühtau zu Berge ". Und dieses Wanderlied wurde denn gleich vielfach den ungeübten Ohren der übrigen Schüler kredenzt.



Im festen Glauben, dass es jenes Relikt aus dem nach - faschistischen Zeiten nicht mehr gibt, recherchierte ich ein wenig im Netz und fand dieses:

https://kindercampus.dk/schule/

Es erscheint mir denn, weil aus Dänemark stammend, eher als unbelastend. Wobei der Nationalismus in seiner intoleranten Ausprägung seine Renaissance zu bekommen scheint. Braune Gedanken und nationalistische Hetze sind - zumindest im Internet - längst wieder en vogue. 

" Im Frühtau... " bei der " Morgenfeier " anno 2023?



FLEUR DE LIS  -  Home Of Mind  -  Facing Morning  -  1972:



  



     

 


 

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