Fensterstreicherin
Wenn ein Gegenstand in die Jahre gekommen ist, könnte es zumeist Probleme geben. Nicht wenige Dinge werden störanfällig; sie funktionieren nicht mehr so, wie es gewünscht, erhofft oder erwartet wird. Irgendwann müssen solche Gegenstände vielleicht ausgetauscht werden.
Bei Hausbauteilen, wie Dachziegeln, dem gesamten Dach selbst, wird es alsdann so richtig kostspielig. Für nicht gerade wenige Hauseigentümer übersteigen derartige Geldsummen das zur Verfügung gestellte Budget.
Bei anderen, zum Wohnhaus gehörenden Teilen, wie etwa der Fenster, lässt sich ein Austausch, eine Teilerneuerung, eventuell durch Reparaturen oder Streichen für eine gewisse Zeit lang hinauszögern. Allerdings kosten auch derartige Maßnahmen Geld. Es sei denn, sie werden von dem Hauseigentümer selbst oder - dieses dürfte erheblich billiger sein - im Wege der so genannten Schwarzarbeit erledigt.
Aber auch Arbeitskräfte, die solche Aufträge an dem Fiskus vorbei erledigen, sind - nicht nur - hier, in dem an der Vollbeschäftigungsgrenze stehenden Freistaat Bayern, nur sehr schwer zu bekommen. Wer handwerklich geschickt ist, also keine zwei " linken Pfoten hat ", der legt bei Malerarbeiten besser die Hand selbst an.
Seit unserem Um - und Einzug nach Eching beobachten wir, dass eine Nachbarin im schräg gegenüber liegenden Haus, einige ihrer zur Südwestseite eingebauten Fenster selbst streicht. Daran dürfte nichts außergewöhnliches sein, wenn es da nicht einige, etwas skurrile Umstände gäbe.
Zunächst ist die Fensterstreicherin mindestens Mitte bis Ende 70. Okay, auch ältere Menschen können solche Arbeiten noch problemlos durchführen. Aber, die Arbeitsmittel, die wir bei dem Streicheinsatz der Nachbarin erkennen konnten, waren dazu nur bedingt geeignet. So nutzte sie hierfür einen Flach - statt einen Rundpinsel, der zudem zu breit war. Und auch die fehlenden Vorbereitungen zu der Streichaktion zeugen von eher sehr begrenzter Professionalität. Wer einen Fensterrahmen oder die Fensterlaibung selsbt anstreichen möchte, sollte die Flächen außerhalb mit dem sattsam bekannten " Tesa - Krepp " abkleben, damit dort keine Farbe aufgeschmiert werden kann.
Unabhängig von dem Fehlen jener Schutzmaßnahmen, stellten wir uns beim Zusehen der streichenden Nachbarin die Frage nach dem Nutzen dieser jährlichen Aktion. Lässt sich das Leben jener schon betagten " Augen des Hauses " verlängern? Oder: Was bringt diese Anmalerei an weiteren Nutzen?
Tja, unsere - aus eigener Erfahrung heraus - getroffenen Feststellungen besagen, dass der Nutzen jener Anstreicharbeiten n eher im rein optischen Bereich liegt. Mit der Herummalerei lassen sich alte Fenster nicht verbessern. Sie bleiben exakt so Luft - und Wärmedurchlässigkeit wie zuvor. Auch die Lebenserwartung des Holzes kann durch permanente Überpinselei nicht signifikant erhöht oder verbessert werden. Altes Fensterholz bleibt altes Fensterholz und wird durch solche Streichaktionen nicht zu einem neuen.
So sinnierten wir bei einem Pott gebrühten Kaffee aus dem Automaten und ständig zu der Fensterstreicherin herüber schauend, über jene Zeiten, in denen die " Augen des Hauses " noch sehr, sehr einfach - wenn auch von einem Fachmann, einem Tischler fertig gestellt, waren.
Die Fensterscheiben bestanden aus einfach, dünnen Glas. Die Fensterscheibe wurde auf Maß geschnitten, dann in den per Hand angefertigten Fensterrahmen eingesetzt und anschließend mit Fensterkitt abgedichtete. as unbehandelte Holz musste noch vor dem Einsetzen zumindest ein Mal grundiert und sehr oft zwei Mal lackiert werden, ehe es in die gleichfalls von einem Tischler gefertigte Fensterlaibung eingesetzt werden konnte. In der Regel handelte es sich bei solchen sehr einfach gefertigten Fenstern um solide Tischlerarbeiten.
Doch auch solche, gute Handwerksarbeit kommt in die Jahre und beginnt Alterserscheinungen zu zeigen, wenn sie nicht regelmäßig gepflegt oder repariert wird. So lösten sich nach einem gewissen Zeitraum Kittteile, weil dieser durch die Witterung brüchig wurde. Wurde die Schäden nicht beseitigt, drangen Regen, Schnee und Frost in das Holz hinein, ließen dieses faulen und irgendwann brüchig werden. Das Fenster hielt nicht mehr dicht. Dann half auch kein Streichen mehr. Es musste ersetzt werden, sonst zog es an jenen schadhaften Stellen " Wie Hechtsuppe ".
Neben dem Neuverkitten mussten Holzfenster alle Jahre turnusmäßig erneut gestrichen werden. Widrigenfalls die Farbe, der Holzlack eben, dort Risse zeigte, irgendwann aufplatzte und Nässe dorthin dringen konnte, was den Rahmen ebenso faulen ließ. Ein so marodes Zimmerfenster hielt ebenfalls nicht dicht. Die Wärme verließ den Raum nahezu ungehindert nach draußen. Es zog in der Nähe des Fensters, im Herbst oder bei kaltem Regenwetter bildete sich auf den Scheiben ein Feuchtigkeit; im Winter bei Frost lustige Eisblumen. Für uns als Kindern ein willkommener Anlass, daran herum zu kratzen oder mit dem eignen Atem die Eiskristallgebilde zum Schmelzen zu bringen. Wir hauchten solange darum herum oder legten unsere noch warmen Hände auf die Scheibe bis wir wieder nach draußen in den Hof oder Garten sehen konnten.
Was wir als Kinder einst nicht wissen konnten, solche Eisblumen waren ein sicheres Anzeichen dafür, dass die Fenster nicht dicht waren und der Raum trotz Heizen mit Holz, Eierkohlen und Brikett oder später auch Heizöl, nie durchgängig warm wurde. Das Heizen erfolgte dann für " den Hof ".
Viele Jahre später tauschten unsere Eltern die maroden Holzfenster in angeblich modernere Plastefenster aus. Aber auch deren Lebensdauer war begrenzt, weil die Herstellmethoden noch nicht ausgereift waren, gammelten auch die Plastefenster mit Doppelverglasung vor sich hin. Zum Schluss ließen unsere Eltern verbesserte weiße Plastefenster einbauen, die beinahe undurchlässig blieben.
Und gerade dieser Schritt wäre auch bei der streichenden Nachbarin dringend angezeigt. Bei den jetzigen Energiepreisen eine absolute Notwendigkeit. Doch die Nachbarin hat erst in vergangenen Jahr ihre fast 40 Jahre alten Gasheizung sanieren lassen und den Kesselofen ausgetauscht. Diese erforderliche Aktion muss angesichts der aktuellen Preissteigerungen auf dem Energiesektor als sinnlos betrachtete werden, denn bei den alten, durchlässigen Zimmerfenstern, heizt auch sie demnächst für " den Hof ".
Die Kosten für einen Einbau energetisch eiwandfreier " Augen des Hauses " scheut sie wohl oder das dafür erforderliche Geld ist nicht vorhanden. Andrerseits steht seit dem abgelegten " Abi " der Enkeltochter nun ein dritter PKW, ein silbergrauer BMW Kabriolett mit schwarzem Schiebedach vor der Haustür.
Die " Augen des Hauses " sieht auf dem ersten Blick kein Nachbar, den Pseudo - Sportwagen jedoch jeder und zwar ständig. Der Mensch ist eben nur zu oft ein irrational handelndes Herdentier.
THE CREATION - Painter Man - 1966:
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