Formverlust


Nach einer Woche konnten wir heute wieder unseren 10 Kilometer - Lauf starten. In der vergangenen Woche war dieses wegen der vielen Regentage nicht möglich und zudem bekam meine bessere Hälfte auch noch Kreislaufprobleme, dieses verhinderten. Nun aber ging es wieder los.

Unsere High Tech - Armbanduhr erinnerte uns nämlich bereits, dass die fehlenden Läufe zu einem " Formverlust " geführt hätten.

Der Mini - Computer kennt hier ein fein ausgetüfteltes Belobigungssystem. Neben einiger Symbolik rund um die erfassten Laufstrecken, hält der am Arm getragene " Big Brother " eine Bewertungsskala parat, die neben " Formerhalt " und " Formaufbau ", eben auch " Formverlust " vorsieht.

Die nicht gerade billige Variante, seine freiwillig erbrachten Laufleistungen überwachen zu lassen, ist - sofern sie aktiviert wird - in ihrer Erfassung und Bewertung des Fitnesszustandes gnadenlos.  Erst einmal per Knopfdruck in Gang gesetzt, kontrolliert die kostspielige Armbanduhr den körperlichen Zustand des Freizeitläufers, des Radlers oder Wanderers unerbittlich und dieses solange, bis sie wieder per Betätigung eines der sechs Metallknöpfe ausgeschaltet wird.

Dass ich mich 38 Jahre nach dem für nicht wenige, gegenüber dem Staat und seinen systemischen Überwachungs - und Kontrollorganen kritisch eingestellten Bundesbürgern, sinnbildlichem Jahr 1984, nun freiwillig einem ähnlichen, ja, sehr effizienterer arbeitenden Apparaten unterwerfe, liegt aber nicht nur an mir selbst.

Kürzlich " musste " ich einen neuen Personalausweis beantragen. Von dem " Schweinepreis " von 37,00 Euro mal ganz abgesehen, den ich für das Plastekärtchen, welches " fälschungssicher " sein soll, zu berappen hatte, las ich in einem per Briefpost ankommenden Aufklärungsblatt, was dieses Plasteding sonst noch alles kann, wenn man es lässt.

Wer mittels eines Zahlencodes ( Pin ) einige Funktionen aktiviert, darf sich getrost als Wanderer zwischen den virtuellen Welten fühlen. Er ( sie natürlich auch ) seine Steuererklärung ohne Papier absenden, kann Kündigungen von Versicherungen etc. online absenden und er kann beispielsweise Verträge aller Art abschließen.   

Überwacht wird er hierbei aber immer und zwar von dem jeweiligen Computersystem, welches er mittels Ausweises aktivieren konnte.

Wie schon gesagt, eigentlich sind solche Abläufe oder schon die gedachten Möglichkeiten hierfür, ein absolutes Horrorszenario ( zumindest müssten sie es für einen Absolventen einer damals noch staatskritischen Bremer Universität sein ). Die Bekämpfung von Kapitalismus, einer darauf basierenden Gesellschaft mitsamt seinen auch einst repressiven Organen, war ja bereits Voraussetzung, um sich im Dschungel der vormaligen Lehrinhalte zurechtzufinden.

Diese ist nun lange, schon sehr lange vorbei. Heutzutage sind andere Kenntnisse und Fähigkeiten gefragt. So, eben jene, die Unzahl von elektronischen Brüdern und Schwestern, die das Leben angeblich erleichtern sollen, bedienen zu können; oder überhaupt zu wissen und zu erkennen, dass es sie gibt. Bei den ständigen Modelwechseln und vielen Funktionsveränderungen fällt es einem Laien unter den Anwendern immer schwerer eine gewisse Orientierung beizubehalten. Und schon deshalb räume ich uneingeschränkt ein, dass ich auch mehr als 1 1/ 2 Jahre seit dem ich die elektronische Computer - Uhr geschenkt bekam, immer noch nicht sämtliche Funktionen meines Freundes auf der Pfanne habe.

Immerhin ist mir gelungen, durch intensives Lesen der Bedienungsanleitung nach und nach einen gewissen Überblick zu bekommen; womit jene eklatanten Einstellungsfehler kaum noch vorkommen. Was war das für ein Drama, wenn ich statt der Eingabe " Laufen " auf " Wandern " oder gar " Radfahren " gedrückt hatte und diesen Computerbefehl nicht mehr korrigieren konnte? Nach eine jeweiligen Drück - Orgie gab ich es dann auf, lief dann ohne Kontrolle durch die Uhr los und ließ den " Big Brother " einfach außen vor. So, als hätte ich mich vor knapp 40 Jahren  gegen die angedrohte Volkszählung gewehrt. Als der von Kohl und seinen Vasallen beherrschte Staat eine Vielzahl von Daten von mir erfahren wollte. Der Zeitpunkt war ungünstig gewählt, denn jetzt stand das Orwell´sche Jahr 1984 vor der Tür.

Das dilettantisch aufgebaute Projekt scheiterte schließlich, weil die Proteste zu groß waren. Schließlich kassierte der Kohl - Staat auch noch ein richtungsweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass dem Bürger ein Abwehrrecht in Gestalt der informationellen Selbstbestimmung an die Seite stellte.

Tja, beinahe 4 Dekaden später hält sich die Aufregung über das Ausspähen von sensiblen persönlichen Daten in sehr engen Grenzen. Im Gegenteil:  Millionen Nutzer der so genannten Sozialen Medien geben freiwillig und in selbstdarstellerischer Absicht ihr intimes Umfeld preis, kokettieren dabei mit allerhand Daten und Ereignissen, in der Absicht sich selbst aus der Masse hervor zu heben.

Genau genommen zähle ich auch dazu, dann nämlich, wenn ich meinen Klein - Computer um das Handgelenk schnalle, auf " Laufen " gehe und danach auf " Los ". Dieses ist sodann ebenfalls das Startsignal für die teure Uhr, um jede Menge Daten über mich zu sammeln. Zwar nicht für " Big Brother ", den Papa Staat oder andere, unbekannte, unheimliche Mächte, aber: Man kann ja nie wissen, ob die gespeicherten Daten nicht auch an Dritte gelangen. Selbst so manche sichere Datenverbindung ist schon gehackt worden. Und mit medizinisch relevanten Daten lässt sich unter anderem prima Spam - Werbung betreiben. 

Wenn dann der unbekannte Dritte von meinem " Formverlust " erfährt, wäre es ihm möglich, mich mit Reklame voll zu müllen, wie etwa Aufbaupräparate aller Art, Schmerzgels oder gar Lektüre über das " Joggen / Laufen  im Alter "?


EARTHLING  SOCIETY  -  Universal Mainline  -  Albion  -  2004:



   


     


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