Amt - Agentur - Affentheater!
Als vor mehr als 30 Jahren in einem, schon reichlich betagten, Bremer Wohnhaus, das sich eher durch eine Höhe von drei geschossen, denn wegen seines guten Allgemeinzustandes, auszeichnete, zusammen mit einem Studienkollegen die ersten Gebühren als Rechtsanwalt zu verdienen gedachte, erschien an einem Vormittag - selbstverständlich unangemeldet - eine Mittfünfzigerin in unserem Büro in der Brunnenstraße 5. Ich las wohl gerade, wie immer während der noch anhaltenden Saure Gurkenzeit des Sommers 1987, in meinem Leib - und Magenblatt aus Hamburg herum. Dort wurde das beschrieben, was die große weite Welt von vor und während dieser Zeit ausmachte. Der Journalismus hatte einst eben noch Qualität.
Jene, für mich ältere, indes altersmäßig nicht um Lichtjahre voraus laufende Bremerin, wollte von mir wissen, wie es um die Rechtssache ihres Sohnes bestellt sei. Diese hatte noch der Vorgänger, Rainer Metz, angenommen. Jetzt war ich deshalb berufen, die Rechtssache fortzuführen. Es ging um Arbeitslosengeld, das zu jener Zeit durch das Arbeitsförderungsgesetz bestimmt und geregelt war. Arbeitslosengeld ( ALG ) war, neben der Arbeitslosenhilfe, die erste Säule des Sozialtransfersystems, das mit der Sozialhilfe den existenziellen Niedrigpunkt darstellte.
ALG bekam deshalb nur ein Anspruchsteller, der in den letzten drei Jahren vor seiner, bei dem Arbeitsamt zwingend anzumeldenden Arbeitslosigkeit, mindestens 360 Kalendertage eine beitragspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat. Dieses war auf §§ 100 ff < § 104 I u. III > AFG einzulesen.
Wie immer, wenn der Gesetzgeber Regelungen trifft, die entweder auslegungsfähig, also zu unbestimmt sind, oder wie Kaugummi gezogen werden können, gab es auch in jenem Fall Streit über eben diese Rahmenfrist.
Kollege Metz hatte deshalb gegen den Ablehnungsbescheid des Arbeitsamtes Bremen Widerspruch erhoben. Und bei einem solchen Rechtsmittel dauert es bei der Bearbeitung zumeist Monate. Die Mutter des Mandaten war ungeduldig und machte Druck. Sie hatte mehrfach im Büro angerufen. Ich versuchte sie zu beruhigen, alsdann abzuwimmeln.
Nun stand sie mir also leibhaftig gegenüber. Eine resolut auftretende Frau. Die längst geschieden war und, so erzählte sie mir, zusammen mit dem knapp über 20 Jahre alten Sohn, in einer Wohnung lebte. Die Kosten dafür teilten sich beide Personen, weil auch beide eine Arbeit hatten.
Das änderte sich aber bald. Sohnemann hatte keinen richtigen Bock auf Maloche als Hilfs - und Gelegenheitsarbeiter im Hafen, bei " Jacobs ". " Beck´s " oder " Kellogg´s ", obwohl er dort - mit Blick auf seine nicht vorhandenen Ausbildungsabschlüsse - eigentlich glänzend verdiente.
Aber, Sohnemann hatte keinen richtigen Drive, seine Mutter aber dafür kein Geld, und deshalb sollte Söhnchen - der sich wohl der heute längst üblichen Selbstfindungsphase befand - zumindest an dem Bestreiten der laufenden - und Lebenshaltungskosten beteiligen; just durch das ihm zustehende Arbeitslosengeld.
Die Damen des Arbeitsamtes Bremen indes wollten ihm dieses verweigern. Er wäre damit im fliegenden Galopp glatt in die Sozialhilfe eingestiegen. Doch: Diese hätte es nicht gegeben, weil er mit Mutti in einer Haushalts - und/oder Bedarfsgemeinschaft, demnach unter einem Dach und aus einem Kühlschrank sowie mit einer Waschmaschine lebte. Dieses Sofortabstieg wollte Mutti nun verhindern. Sie selbst war in einer der vielen bremischen Verwaltungen tätig. Verdiente nicht die Welt; dafür kam die Knete aber so was von pünktlich auf ihr Konto bei der Bremischen Sparkasse.
Nun, Mutti stand jetzt unangemeldet in meinem dunklen, leicht muffig riechenden und mit IKEA - Möbeln ausgestatteten Büro und zeterte über die Unfähigkeit des Arbeitsamtes, hier, in Bremen. Ich antwortete ihr stoisch mit einem " Joh - , Ja - , Jau " - Singsang. Ehrlich besagt und damals so gefühlt, sie tat mit ein wenig leid. Doch sie störte mich jetzt und ging mir eher auf die Pappe.
So zückte ich die Handakte hervor, die in einem alten, mittelblauen " Leitz " - Pappdeckel eingelegt war und blätterte darin herum. Dann sagte ich zu Mutti mit einem barmherzigen Unterton: " Frau XYZ. ich sehe mir die Sache gleich noch einmal an und melde mich dann bei ihnen. Ja? "
Zufrieden stob sie aus dem Büro.
Eigentlich hatte ich nicht die Spur von Motivation, mir diese Akte reinzuziehen. Es war Sommer. es war draußen warm, es waren Ferien und ich saß in meinem muffigen Loch, das sich Anwaltsbüro schimpfte, in Wahrheit aber ein ehemaliger Kaufmannsladen war, der vor Jahrzehnten von unserer hoch betagten Vermieterin und ihrem längst verstorbenen Mann, mehr schlecht als recht betrieben wurde. Solange, bis die Supermarktketten, die SB - Geschäfte und Discounter auf dem Markt erschienen und dadurch alle " Tante Emma - Läden " vernichteten.
Ich saß hinter meinem " IKEA " - Schreibtisch, vor mir diese verdammte, müffelnde, blaue Akte, neben mir eine Tasse " Eduscho " - Kaffee aus unserem neu angeschafften Kaffeeautomaten von " Krups " und blätterte Seite um Seite in der Akte herum. Was interessiert mich die Rahmenfrist von 360 belegten Kalendertagen innerhalb von drei Jahren nach § 104 I u. III AFG? Ich sah mir die Beschäftigungsnachweise und eine entsprechende Aufstellung dazu an. Was sollte daran falsch sein? 360 Tage, sind 360 Tage und keine 352 Tage. Auch wenn gemeinhin feststeht, dass der Grundsatz " Iuris non calculat " auf hierauf Anwendung findet, legte ich mir einen rautierten Block aus meiner Uni - Zeit neben die Tasse Kaffee und notierte mir die Tage, die Sohnemann unwillig zur Kloppe gefahren oder gegangen sein sollte.
Hmh, irgendetwas stimmte hier doch nicht. Mutti´s Früchtchen ( ich komme gleich noch dazu ) arbeitete einige Wochen auch in der Nachtschicht und hatte an einigen Samstagen Überstunden geschoben. Letztere sind zwar für die AFG - Bemessungsgrundlage relevant; doch, auch für die Arbeitstage des Mandanten? Ich notierte mir die Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage und kam - die Samstagsarbeit mit hinzu addiert - auf sagenhafte 366 Werktage, statt auf nur lumpige 352, wie sie die Arbeitsamtsmitarbeiterin in der Steinsetzerstraße in Bremen errechnet hatte.
Aha, jetzt habe ich sie am Haken!
Einen Tag später rief ich in der Dienststelle der Mutti an und berichtete ihr von dem Ergebnis meines Aktenstudiums. Ich begründete daraufhin den Widerspruch mit meinen neuen Erkenntnissen und sandte das Schreiben in Richtung Bremen - Habenhausen, dorthin. wo die Behörde ihren Sitz hatte.
Es dauerte vielleicht noch eine Woche, dann kam ein Widerspruchsbescheid von dem Arbeitsamt Bremen, Steinsetzerstraße 11 - 13, 2800 Bremen. Hieran stand, dass dem Widerspruch abgeholfen wird und dem Mandanten ab ... Arbeitslosengeld in Höhe von X DM wöchentlich zustünde. Aha, warum also nicht gleich so.
Ich fertigte eine Fotokopie des Bescheides an; das Original schickte ich dem Mandanten per Post.
Damit war die Rechtssache jedoch noch nicht beendet. Nun musste ich meinen Gebühren noch hinterher laufen, denn einen Vorschuss hatte ich von dem Klienten oder dessen Mutter nicht verlangt. Wovon den auch? Beide waren eher Hungerleider, die so gerade um die Runden kamen. Ich indes hatte zumindest meine Arbeitslosenhilfe in Höhe von knapp 735 DM, das Schwarzgeld von einigen Asylantragstellern und zudem ein Gemeinschaftskonto bei der Sparkasse in Bremen - Hemelingen, auf das ein Dispo von 15.000 DM eingeräumt worden war.
Hungerleider waren wir beiden Junganwälte zwar auch, aber auf eine andere Art. Und die Robe als Berufskleidung hatten wir uns nicht vom Sozialamt bezahlen lassen, so, wie einige andere Kollegen.
Ich beantragte also gleich, dass das Arbeitsamt feststellen möge, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten wegen der Schwierigkeit in der Sach - und Rechtslage erforderlich war und füge meine Gebührenrechnung an. Die belief sich auf 2/3 einer so genannten Mittelgebühr nach § 116 I BRAGO, nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer.
Das Amt prüfte und zahlte Wochen später den Betrag. Und dieses sogar anstandslos.
Die Mutti sah ich danach nie wieder; wohl aber ihren Sohnemann. Der stand eine Male am Szene - Eck im Steintor, dort, wo sich zur damaligen Zeit, die Fixer, die Drogensüchtigen und auch viele Punks trafen. An der Kreuzung Sielwall, Ostertorsteinweg, Am Dobben und Vor dem Steintor war der Treff jener - oft gestrandeten - Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ihr eigenes Leben nicht auf die Kette bekamen. Ich sah ihn dort an der berühmt, berüchtigten Ecke stehen, als die Straßenbahn - Linie 10, 2 oder 3 dort vorbei fuhr.
Jetzt war mir auch klar, warum die Mutter so sehr auf die Klärung der Arbeitsamtsangelegenheit drängte. Sohnemann hätte vielleicht die gesamte Kohle für Drogen vertan. So aber floss das Geld, die Arbeitslosengeldzahlung auf ihr Konto. Und für dieses hat ihr Söhnchen eben keine Vollmacht.
Aber dieses ging mich als sein Rechtsvertreter nichts an. Ich erstritt seine Ansprüche gegenüber der Behörde, die heute bekanntermaßen Agentur für Arbeit heißt. Geändert hat sich seitdem zwar einiges an der Struktur der Behörde, die sich nicht nur einen moderneren Anstrich gegeben hat. Die Abläufe sind indes nahezu identisch; behördenintern geht es eher seinen langsamen Gang. Und dieses ist es eben auch, was mich dann auf die Palme bringen kann.
Da stellte unser Schwiegersohn vor mehr als 5 Monaten einen Leistungsantrag bei der Agentur in München. Er hatte zuvor als IT - Mitarbeiter einen eher gut bezahlten Job gehabt, ehe er sich dazu entschloss einige Monate in die Elternzeit zu gehen. Der ausländische Arbeitgeber drängte ihn, den Vertrag aufzuheben. Doch dieses ist mit erheblichen Nachteilen, so auch mit einer Sperrzeit von vielen Wochen verbunden, wenn sich ergeben sollte, dass der Arbeitslose die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet hat. Bei einem Aufhebungsvertrag wird dieses regelmäßig angenommen. Also ließ er das Arbeitsverhältnis als ordentliche, betriebsbedingte Kündigung zum 31.03. 2017 auslaufen.
Die Agentur in München indes befasste sich erst gar nicht mit diesem Fall. Sie führte einen Sprachtest durch und ließ den Leistungsantrag wochenlang unbearbeitet liegen. Mehrere telefonische Nachfragen ergaben keinerlei Information zu dem Fortgang des gestellten Antrags. Dabei wurde ihm sogar wahrheitswidrig mitgeteilt, dass die Einkommens - und Vermögensverhältnisse der Ehefrau noch geprüft werden müssten.
So langsam wurde es für die Münchner Agentur peinlich.
Es gab keinen Grund, die Bearbeitung über viele Wochen zu verschleppen; außer dem, dass die Sachbearbeiterin etwas gegen Ausländer hat. Und dieses unterstelle ich dem Laden im allgemeinen und der Zenzi, die mit seinem Fall befasst ist, im besonderen.
Bayern, eben!
So fertigte ich vorgestern eine einstweilige Anordnung gegen die Agentur in München und ließ dieses von dem Schwiegersohn unterzeichnet, per Fax an das Sozialgericht senden.
Wie sich die Bilder, auch nach mehr als 30 Jahren gleichen.
Die Welt hat sich radikal geändert, der deutsche Verwaltungsarsch ist indes immer fetter geworden. Ob Bremen, München, Bückeburg, überall begegnete mir die gleiche Sch...
Nun, ja, inzwischen muss ich damit nicht die Brötchen verdienen. Mit diesem Arbeitsamt - Agentur - Affentheater.
" Virus " mit " Endless Game " - Album: " Revelation " - 1970:
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