Das Kunstwerk, der Landgerichtspräsident, die Räumungsklage.
Es ist mittlerweile 30 Jahre her, als im August ein kleiner, nicht mehr ganz so junger Mann, in der damaligen Kanzlei meines Kollegen und mir aufschlug. Er legte mir einen wild durcheinander gebrachten Stapel Papier auf den IKEA - Schreibtisch und bat mich, diese Dokumente einmal durchzusehen. Da eine Systematik nicht zu erkennen war, lies ich ihn zunächst eine Vollmacht unterschreiben und vereinbarte mit ihm einen Termin für den folgenden Nachmittag.
Ich legte den muffig riechenden Papierstapel auf die andere Seite des Schreibtisches und holte später einen,der typischen, blauen DIN A 4 - Hefter aus einem Stapel hervor, in dem ich die Unterlagen hinein legte.
Am folgenden Tag suchte ich die überreichten Schriftstücke wieder aus dem Hefter und begann diese Seite für Seite zu lesen und zu ordnen. Was mir darin zur Kenntnis gegeben wurde, hörte sich nicht gut an. Es war die Rede von einem gekündigten Mietvertrag, Mietrückständen und sogar einer Räumungsklage. Keine guten Vorzeichen für einen Rechtsanwalt und sein Bestreben durch einen gewonnen Prozess nicht nur Knete auf das Konto zu bekommen, sondern auch der Gerechtigkeit als praktizierenden Organ der Rechtspflege gedient zu haben.
In dem Papier - Chaos wurde es langsam lichter und ich hoffte, das dieser Kuddelmuddel nicht nur endlich beendet werden könnte, sondern nicht mehr schlimmere Schreiben in sich verbergen würde. Doch die Hoffnung trog mich. Es wurde wesentlich schlimmer, denn eine Zwangsräumung stand an, weil der Mandant G. durch das Amtsgericht Bremen ein Versäumnisurteil erhalten hatte, dass inzwischen längst rechtskräftig war. Der Vermieter ließ über eine piekfeine Bremer Kanzlei irgendwo in der Innenstadt, dort, wo die Monatsmieten zu hoch waren, wie ein Jahresumsatz unseres Büros, aus dem VU ( Versäumnisurteil ) die Zwangsvollstreckung betreiben.
Der zuständige Gerichtsvollzieher hatte längst einen Räumungstermin festgelegt. Aber auch das Amt für Soziale Dienste, das in solchen Fällen obligatorisch benachrichtigt wurde, hatte G. zu einem Gespräch geladen. Er erschien nicht. Er gab auch keine Schlüssel bei dem Gerichtsvollzieher ab. Er legte die Hände in seine schmuddelige Pluderhose und behauptete steif und fest, er habe so etwas wie Räumungsschutz.
Doch diesen hätte er beantragen müssen und zwar bei dem zuständigen Amtsgericht - Abteilung Mietsachen - ( so hieß es damals noch ). G. indes war untätig. Er blieb untätig. Er nervte wegen seiner Untätigkeit. Der Räumungstermin stand fest. Er sollte in der darauf folgenden Woche stattfinden.
Es war damit zu spät, es war vorbei, bye, bye, Augustmond!
Ich versuchte G. die Situation zu erklären, ihm die rechtliche Seite plausibel zu machen. Er verstand wohl nur Bahnhof, denn G. hatte einen Dachschaden. Bei ihm fuhr der Fahrstuhl nicht ganz nach oben, Eigentlich hätte G. einen Betreuer zur Seite gestellt bekommen müssen. Er hätte vielleicht nach Bremen - Ost in die Geschlossene gemusst. Oder zumindest in das Betreute Wohnen für psychisch Kranke. Doch G. wohnte noch und lebte im Viertel - im Bremer Steintor.
Dort, wo sich die Multi - Kulti - Szene, der Bremer Kiez, die hanseatische Subkultur ballte. G. gehörte da eigentlich nicht hin, denn G. war krank.
Ich gab G. die Unterlagen wieder und erklärte ihm, dass ich in dieser Rechtssache nichts mehr für ihn tun könne. Das war´s! G. verließ das schmuddelige Büro in der Brunnenstraße 5 und ward seit jenem Tag nicht mehr von mir gesehen.
Einige Tage später erhielt ich kurz vor 18.00 Uhr einen Anruf von dem Landgerichtspräsidenten C., der mich wegen des Räumungsverfahrens von G. befragte. C. war Sozialdemokrat durch und durch. Er war Gewerkschaftler durch und durch. Er war ein sozialer, gewerkschaftlich tätiger Sozialdemokrat, wie es sie vormals zuhauf in Bremen gab. Die schwarzen Kritiker der CDU nannten diese Konstellation SPD - Filzokratie. Da war ein Fünkchen Wahrheit enthalten, wenn der Pygmäen - Stamm mit Namen Bremer CDU, diesen Realzustand geißelte. Aber, die andere Seite der Medaille waren solche Filzokraten, wie Henning Scherf, Landgerichtspräsident C. oder ähnliche Bremer. Es waren allesamt soziale Sozialdemokraten, die es damals noch vielfach gab.
Also, der Präsident am Landgericht C. rief mich so kurz vor 18.00 Uhr in meinem Büro an und wollte von mir wissen, ob in der Rechtssache des G. alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien. " Ja! " ( § ), antwortete ich ihm ein wenig respektvoll, denn immerhin rief C. in seiner Funktion als Landgerichtspräsident an. Wann geschieht dieses schon? Eher dann, wenn ein Richter irgendwelche Hauptverhandlungstermine absprechen wollte. Also Richter C. wollte dann noch von mir wissen, ob ich wüsste, dass sich in der Wohnung von G. ein Kunstwerk befände. Ein Kunstwerk? Was für ein Kunstwerk? " Nein! ", antwortete ich dem Landgerichtspräsidenten, " Von einem Kunstwerk weiß ich nichts! "
" Na, gut, dann kann man da nichts mehr machen!", entgegnete er mir am Telefon und legte mit einem freundlichen " Auf Wiedersehen " auf.
G. wurde wohl am Tag danach geräumt. Der Gerichtsvollzieher hatte dabei das große Besteck aufgelegt. Ich erkannte dieses aus dem Räumungsprotokoll, dass ich bei der noch vorgenommenen Akteneinsicht lesen durfte. G. war also geräumt, doch sein Leben war damit nicht geordneter. Er wurde in ein Obdachlosenheim oder eine so genannte Unterkunft für Wohnungslose untergebracht. Dann verlief sich seine Spur im sozialen Dunkel einer Großstadt, die - wie heute durch angeblich zutreffende statistische Erhebungen - immer noch das höchste Armutsrisiko bundesweit in sich birgt.
Bremen ist arm, Berlin ist arm und sexy, Bayern ist überwiegend reich. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass dort keine geistig Verwirrten mit einem Kunstwerk in der Wohnung leben.
Gut´s Nächtle mit:
§ Julie " Jules " Driscoll and Brain Auger´s Trinity : " This Wheels On Fire " - 1968
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