Pfändungsprotokoll



In den ersten Nachwendejahren geriet nicht nur so manche DDR - Lebensbiografie völlig aus den Fugen. Nein, auch der gemeine, in das Beitrittsgebiet einfallende Wessi, holte sich bei diversen finanziellen Experimenten eine dicke, blutige Nase. Das galt aber auch gleichsam für den, auf den Spuren des kapitalistischen Ex - Klassenfeindes wandelnden Ossi, der sich nicht nur als wahrer Wendehals outete, sondern sogar westlicher als der Wessi gebärdete.

Die im mecklenburgischen Landkreis Mecklenburgische Seenplatte liegende Kleinstadt Röbel verlor in der Nachwendezeit mehr als 30 % ihrer zu DDR - Zeiten registrierten Einwohner. Weil viele Betriebe dort abgewickelt wurden, es danach keine Maloche mehr gab, zog es beinahe 1.600 Einwohner in andere Regionen. Sehr oft in den Westen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Röbel/Müritz

Ab den frühen 1990er Jahren erhielt ich von einer aus Röbel stammenden Familie in Bremen einige Mandate. Neben den gleichförmigen Familienrechtssachen, unter anderem auch eine Forderungsangelegenheit, die durchaus pikant war.

Die Mandantin aus Röbel hatte nach der Wende eine Erbschaft gemacht und war finanziell betrachtet durchaus als flüssig einzustufen. Deshalb konnte sie einem jüngeren Mann, der in Neustrelitz ein Versicherungsbüro eröffnet hatte, ein Darlehn von satten 20.000 DM gewähren. Der Versicherungsmakler gab dabei an, diesen Betrag für die Sanierung des eher baufälligen Hauses, in dem er sowohl seine Wohnung als auch die Geschäftsräume unterhielt, zu benötigen.
Immerhin war die Frau aus Röbel schlau genug, sich bei der Übergabe des Geldbetrags einen so genannten Schuldschein unterschreiben zu lassen und eine Verzinsung von 6 %  zu vereinbaren.

So weit, so gut. Die Monate vergingen. Bei einem eher zufälligen Besuch in dem Büro des Versicherungsmannes stellte die Mandantin allerdings fest, dass jener Schuldner keineswegs das Wohnhaus aufgehübscht hatte. Es sah immer noch baufällig aus; wenngleich eine neue Eingangstür und neue Fenster das Objekt jetzt zierten. Dafür stand jedoch ein chicer Neuwagen, leicht sportlich akzentuiert, sowie eine Kawasaki vor der Tür. Die Mandantin ahnte nichts Gutes und sprach den Schuldner auf sein noch nicht umgesetztes Vorhaben an. Der wich mit Ausreden aus und behauptete, er habe noch keine Handwerker bekommen.

Der Versicherungsfuzzi versprach der skeptischen Mandantin, dass sie auf jeden Fall ihren Geldbetrag zuzüglich der vereinbarten Zinsen zurück erhalten werde. Mit dieser Aussage fuhr die Dame dann wieder zurück nach Röbel, wo ein Teil ihrer Familie noch lebte. Unter anderem auch ihr schwer erkrankter Ehemann. Nach dem Kurzaufenthalt in ihrem Geburtsort machte sie sich auf den Weg nach Bremen. Hier ging sie einer Tätigkeit als Lagerhilfe nach.

Es vergingen zwei weitere Jahre. Der Versicherungsagent hatte die 20.000 DM jedoch nicht zurück gezahlt. Die Dame aus Röbel erzählte dieses einem Bekannten, der sie an mich verwies. Eines Tages rief sie in meinem Büro an. Sie bat um einen Besprechungstermin. Zu dem erschien sie dann mit einigen Dokumenten. Darunter befand sich auch das Schuldanerkenntnis des Versicherungsagenten. Sie erklärte mir, dass sie jetzt ihr Geld zurück haben möchte. Ich verwies auf die Rechtslage und empfahl ihr, zunächst ein Kündigungsschreiben aufzusetzen. Sie sei aber rechtsschutzversichert, entgegnete die Dame mir. Das sah natürlich ganz anders aus. Ich ließ sie eine Vollmacht unterschreiben und formulierte das Schreiben an den Schuldner. Die fehlende Anschrift suchte ich aus dem Telefonbuch bei der Hauptpost an der Domsheide.

Das Kündigungsschreiben ließ ich als Einschreibebrief zusenden. Die darin gesetzte Frist zur Rückzahlung verstrich. Das Geld wurde nicht auf mein Kanzleikonto eingezahlt. Ich fertigte einen Mahnbescheidsantrag und ließ diesen zustellen. Die 14tägige Widerspruchsfrist verstrich. Es erfolgte von Seiten des Schuldners aus Neustrelitz keine Reaktion. Schweigen im Walde, also.

Ich ließ einen Vollstreckungsbescheid zustellen und beauftragte den Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht in Neustrelitz mit einer Sachpfändung. Nach einigen Wochen erhielt ich tatsächlich ein Pfändungsprotokoll. Darin war vom Gerichtsvollzieher vermerkt, dass der Schuldner keine Zahlung leisten könne, deshalb habe der Gerichtsvollzieher eine Reihe von Gegenständen, die sich in der Wohnung des Schuldners befanden, gepfändet.
Darunter war ein elektrische Gitarre der Marke Fender, ein Gitarrenverstärker der Marke VOX mit einer Lautsprecherbox sowie allerlei Zubehör. Weitere, pfändbare Gegenstände seine nicht vorhanden gewesen. Den Wert der Gegenstände taxierte der Gerichtsvollzieher mit zirka 5.500 DM. Aha, immer etwas!
Zudem waren meine Kosten - das war das Entscheidende - über die bestehende Rechtsschutzversicherung gedeckt. Bei einem Streitwert von 20.000 DM waren dieses immerhin mehr als 500 DM.

Ich las das Pfändungsprotokoll und wunderte mich doch ein wenig. Ein Versicherungsmakler, dem finanziell das Wasser Oberkante Unterlippe stand, leistete sich teure Elektronik sowie Musikinstrumente. Wie passt das zusammen?

Tja, das kleine Geheimnis wurde alsbald gelüftet. Der Versicherungsmann, bei dem die Mandantin zuvor einige Verträge - darunter auch die angezapfte Rechtsschutzversicherung - abgeschlossen hatte, spielte in einer Band. In einer Neustrelitzer Gruppe, die ihm beim Kauf der Gitarre und des Zubehörs geldlich unterstützt hatte. Das waren jedenfalls seine Aussagen am Telefon. Als er mich anrief heulte der Hobby - Gitarrist ins Telefon. Er könne jetzt keine Musik mehr machen, weil die Gegenstände ja gepfändet seien. Das stimmte zwar nicht ganz, denn die beweglichen Sachen sind ja nach wie vor in seinem Besitz. Er darf sie nur nicht mehr veräußern oder gar beiseite schaffen. Dass wären dann jeweils Straftaten. Auch den Kuckuck, der auf jedem Gegenstand prangte, den darf er nicht entfernen.

Ich erklärte ihm dieses lang und breit. Doch der Versicherungsmensch verstand nur Bahnhof. Er könne mit den gepfändet en Sachen nicht mehr in der Dorfband auftreten. Da sehe ja jeder Anwesende, dass die " Fender ", der Verstärker, das Wah - Wah - Pedal usw. ihm nicht mehr gehöre.
" Was spielen Sie denn für Musik? ", wollte ich von dem armen Willi wissen. " Na, Hardrock! ", antwortete der mir. " Ja? Eigene Stücke? ", hakte ich nach. " Auch! ", gab er kurz und bündig zurück.
Ich überlegte einen Moment. Ich wollte kein Kulturbanause sein. Kein Hemmschuh auf dem Weg einer eventuell steilen Karriere in Mecklenburg - Vorpommern.

" Wie wollen Sie die Schuld zurückzahlen? ", fragte ich den Versicherungsmenschen und fügte hinzu: " In Raten? ".
" Ja! ", gab er mir zur Antwort.

" Kennen Sie Black Sabbath, Thin Lizzy, Ten Years After? Rory Gallagher, Alvin Lee oder Phil Lynott? ", stellte ich ihm die entscheidende Frage. " Ja, natürlich! Warum? ", wollte er mit der Gegenfrage von mir wissen. Das reichte mir. Ich versprach ihm sogleich:
" Ich rufe nachher den Gerichtsvollzieher an. Er soll ihre Teile wieder frei geben. Okay? "

Er bedanke sich bei mir. Eigentlich hätte ich diesen Schritt nie und nimmer machen dürfen. Schließlich ging es um das Geld der Mandantin und der bin ich gegenüber verpflichtet gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass sie die Moneten von dem Pleitier wieder bekommt.
Doch der Hobby - Rockmusiker tat mir irgendwie leid. Er versuchte sich - so wie ich auch - abzustrampeln, um ein paar Kröten zu verdienen. Doch das Geschäft mit Versicherungen lief schon längst nicht mehr. Die ersten Nachwendejahre, mit der Euphorie des Neuanfangs, sie waren für viele einstige Kunden dort in der Pampa von Mecklenburg voll in die Hose gegangen. Die Treuhand machte alles platt, was nicht bis drei auf den Baum klettern konnte. Damit verloren viele ihre Jobs. Die Existenzen anderer wurden somit ebenfalls vernichtet. Ein Teufelskreis, der oft nur durch einen Wegzug unterbrochen werden konnte.

Die Mandantin hatte es deshalb richtig gemacht. Sie ging der Arbeit nach. Damit entfloh sie der Tristesse von Perspektiv - und Arbeitslosigkeit.

Ich rief den Gerichtsvollzieher an und erklärte ihm, dass ich mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen hätte. Er möge die Pfändung aufheben. " Das brauche ich aber dann noch schriftlich von Ihnen, ", gab dieser mir zu versehen. " Natürlich! ", sagte ich ihm. Eine Stunde später sendete ich ihm ein Fax, in dem ich die Rücknahme des Zwangsvollstreckungsauftrag bekundete.

Ich formulierte eine Teilzahlungsvereinbarung und schickte diese dem Schuldner nach Neustrelitz. Eine Tage später kam das Papier von diesem unterschrieben zurück. Danach rechnete ich mit dem Rechtschutzversicherer ab.

Eigentlich hatte die Mandantin sogar noch großes Glück gehabt, dass der Versicherungsmensch sich nicht gegen den Mahnbescheid zur Wehr gesetzt hatte. Denn die Übergabe des Geldbetrags hatte dieser nicht quittiert oder schriftlich auf dem Schuldanerkenntnis bestätigt. Damit konnte die Gläubigerin die Auszahlung des Geldes an den Empfänger nicht beweisen; zumal sie hierfür auch keinen Zeugen benennen konnte.

Ob der Versicherungsagent tatsächlich Raten an die Mandantin gezahlt hat, weiß ich nicht. Das Pfändungsprotokoll ließ ich in die Handakte abheften. Diese wurde nach einigen Jahren vernichtet.



" Highlands " - " Daylight Station " - " Dark Matter Traveller " - 2014:



 






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